Leseprobe

1 Spaniens Einladung Das Jahr 1929 stellte für den spanischen Staat einen ganz besonderen Moment dar: Mit zwei bedeutenden Großveranstaltungen, die gemeinsamals »Exposición General Española« (Allgemeine Spanische Ausstellung) beworben wurden, strebte das Land nach internationaler Aufmerksamkeit. Es war zugleich Kulminationspunkt und Anfang vom Ende einer Ära, als am 7. Mai 1929 in Sevilla die »Exposición Ibero-Americana« (Ibero-Amerikanische Ausstellung) und wenige Tage später, am 19. Mai 1929, in Barcelona die Weltausstellung »Exposición Internacional de Barcelona« (Internationale Ausstellung in Barcelona) eröffneten.1 Im Beisein von Diktator Miguel Primo de Rivera (1870–1930; reg. 1923–1930) und des spanischen Königspaars fanden nachmehreren Verzögerungen zwei internationale Veranstaltungen statt, die Spanien zu einem neuen Platz in der Weltgemeinschaft verhelfen sollten. In Sevilla versammelten sich fast alle Länder vonNord- über Mittel- bis nach Südamerika, einige spanische Regionen und südspanische Städte in verschiedenen Ausstellungspavillons.2 In Barcelona kamen alle offiziellen Teilnehmer aus Europa.3 Zum einen wollte man die engen historischen Verbindungen nach Amerika unterstreichen und neu beleben, andererseits sollten sich die spanische Landwirtschaft, Industrie und Kunst »in edlemWettstreit mit den anderen Teilnehmerländern« präsentieren.4 1.1 Die spanischen Ausstellungen 1929 als internationale Bühne Primo de Rivera richtete sich höchstpersönlich mit einem Grußwort an die Leserinnen und Leser des 800 Seiten starken Ausstellungskatalogsmit demklingenden Titel »Libro de Oro« (Goldenes Buch) und ließ es sich nicht nehmen, den Aufbruch Spaniens in eine glorreiche Zukunft einzuläuten sowie die iberoamerikanischen Verbindungen als episch zu charakterisieren.5 Ganz in diesem Duktus richtete auch der Direktor der Weltausstellung von Barcelona, Marqués de Foronda, einen flammenden Appell an die Öffentlichkeit, über die spanischen Errungenschaften zu staunen und Spanien als friedliebendes und fleißiges Land besser kennenzulernen. Das erklärte Hauptziel sei es, die vitale und reichhaltigeWiederbelebung Spaniens in der Welt bekannt zu machen. Die klare Zukunftsvision des Vaterlandes sei eine perfekte Synthese des überall sichtbaren zeitgenössischen Lebens. Auch mit Blick auf die glorreiche Vergangenheit des Landes und die wissenschaftlichen Fortschritte befände sich Spanien auf dem Niveau der fortschrittlichsten Länder. In Sevilla und Barcelona zeige sich, wie ein kultiviertes Volk industriell vorwärts strebe und für den ökonomischen wie intellektuellen Austausch bereit stünde.6 Erklärter Zweck der Ausstellungen in beiden Städten war, Spanien nach außen als potenteMittelmacht zu etablieren und intensivere Handelsbeziehungen zu knüpfen sowie nach innen auf das Leben im ganzen Land einen anhaltenden national-konservativen Einfluss zu nehmen. Auf beiden Veranstaltungen tritt der nationalistische Charakter des Regimes Primo de Riveras deutlich zu Tage. Ob es die städtebaulichen Anlagen zentraler nach »Spanien« benannter Plätze oder der Baustil zahlreicher Ausstellungsgebäudemit klaren Reminiszenzen auf Bauwerke der spanischen Architekturgeschichte waren, an beiden Orten offenbarte sich ein »historistisches und folkloristisches Pastiche in einer überhöhten Verpackung von bisher unbekanntem Ausmaß«.7 Alles in allem wird man sich dieser Beurteilung von Ramón Villares und Javier Moreno Luzón anschließen können, zumal das Verständnis vonNationwährend des Regimes von Primo de Rivera 1923 bis 1930, wie auch in älteren Nationalbewegungen auf der Iberischen Halbinsel, eine imaginierte Gemeinschaft umfasst, die besonders in den 1920er Jahren künstlich und ideologisch aufgeladen mit den unterschiedlichsten Mitteln geformt wurde. Die Unabhängigkeitsbewegungen imLateinamerika des 19. Jahrhunderts und besonders der Verlust der spanischen Kolonialgebiete Kuba, Puerto Rico und Philippinen 1898 hatten die spanische Gesellschaft über Jahre in eine Schockstarre versetzt. Intellektuelle der 98er Generation begegneten dieser Krise mit einem kastilisch geprägten Nationalismus, der in den 1920er Jahren durch den Philosophen José Ortega y Gasset in seiner Schrift »España invertebrada« (Wirbelloses Spanien, 1921) weiter befeuert wurde.8 Allerdings lässt sich parallel dazu eine nicht unerhebliche Akzeptanz für Dezentralisierung konstatieren. Die in Spanien bis weit ins 20. Jahrhundert durchschlagenden aufklärerischen Ideen des nach Karl Christian Friedrich Krause benannten Krausismo führten zu einem Territorialverständnis dezentraler Autonomien, in dem unterschiedliche Identitäten ein Staatsgefüge bildeten.9 Diese Tendenzen lassen sich auch auf den beiden Veranstaltungen 1929 konstatieren. Spanien präsentierte sich als einheitliches Staatsgebildemit einer klar in Kastilien verortetenMitte unter gleichzeitiger Bezugnahme auf verschiedene Regionen. ImMachtzentrumherrschte 1929 immer noch Miguel Primo de Rivera, auch wenn zu diesem Zeitpunkt bereits erste Risse im politischen Gefüge sichtbar wurden. War es ihm 1923 gelungen, sichmit Unterstützung der spanischen Krone unter Alfons XIII.

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