Das Eigene im Bau 79 q trag die chronologische Sequenzierung der Kunstgeschichte ebenso wie die zwischen Ahistorischem und Historischem changierende Zeitauffassung der Ethnografie zum Gegenstand hat (Kap. 5). Trotz dieser Einschränkung muss angemerkt werden, dass die Musealen Architekturdörfer der Millenniumsausstellung keineswegs als rein wissenschaftliche Projekte zu betrachten sind. Ihre Konzeptionisten haben nämlich das eigene architektonische Erbe nicht nur als Forschungsgegenstand behandelt, sondern auch explizit als Konstituente der nationalen Kultur unter Ägide der politischen Feierlichkeiten des Millenniumsjahrs vorgelegt. Allerdings unterscheiden sich die Dorfkomplexe anmehreren Stellen vomübergeordnetennationalpolitischen Programmder Landesausstellung. So fällt es schwer, den ethnografischen und kunsthistorischenObjektivitätsanspruch der Dörfer mit demmitunter explizit ethno-nationalistischen Kolorit der Millenniumsfeierlichkeiten in Linie zu bringen. Ebenso problematisch erscheint die Deckungsgleichheit der imAusstellungskontext propagierten Modernisierungs- und Fortschrittsgedanken mit der in der Präsentation von historischer und vernakulärer Architektur erhaltenen retrospektiven Vergangenheitsverherrlichung und Verlusterfahrung. Solche Widersprüche zwischen dem politisch-ideologischen Rahmen der Millenniumsausstellung und dem Konzept der Architekturdörfer lassen es nicht zu, die Bauensembles als Teile eines exhibitionary complex zu interpretieren, in dem Sinne, wie Tony Bennett nach Michel Foucault die Expositionskultur des 19. Jahrhunderts als Artikulation von immanenten Machtverhältnissen analysiert.21 Vielmehr rückt bei den darzustellenden Budapester musealen Dörfern die individuelle Praxeologie der Ausstellungsmacher in den Vordergrund, ähnlich wie in anderen parallelen Tendenzen der Musealisierungen in Ostmitteleuropa. Wie zuletzt Nóra Veszprémi in Bezug auf die Museumsgründungen in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie – und insbesondere in Ungarn – unterstrich, ist weniger die von oben forcierte politische Agenda als ihre Triebfeder zu betrachten.22 Vielmehr waren die neuen Entwicklungen in der Museumswelt der disziplinären Identität und dem institutionellen Engagement der beteiligten Akteure geschuldet. Desgleichen wird – konträr beziehungsweise komplementär zu dem bisher in der Forschungsliteratur dominierenden Interpretationsrahmen23 – der mangelnde nationalpolitische Imperativ imProgrammder musealen Dorfkomplexe als Indiz der Entwicklung gewissermaßen autonomer Fachkulturen und somit als eine spezifische Facette der politischen Indifferenz problematisiert.24 Abb. 4 [Anonym.], Die Ruinen der Burg Trencsén (heute Trenčín, Slowakei) (aus: Das tausendjährige Ungarn und die Millenniums- Ausstellung. Sammlung von Photographien hervorragendster Gegenden, Städtebilder und Kunstschätze Ungarns sowie der Sehenswürdigkeiten der Ausstellung. Hg. v. Ernő Pivényi u. a. Budapest 1896).
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