Leseprobe

Das Eigene im Bau 77 q mierung des eigenen Architekturguts in den Dorfkomplexen über die primäre Durchsetzung der durch das Ausstellungsdispositiv diktierten nationalpolitischen Agenda weit hinausgeht und sich allen voran auf die Epistemik der sich zu jener Zeit herausbildenden Kulturdisziplinen – vor allem der Ethnografie und der Kunstgeschichte – zurückführen lässt. Die epistemischen Dispositionen zur vernakulären Architektur im Ostmitteleuropa der Jahrhundertwende subsumierte Ákos Moravánszky im weiteren kunst- und kulturgeschichtlichen Kontext unter dem Begriff der »Entdeckung«.14 Hierbei wird die Hinwendung der Kunst- und Architekturschaffenden zur vernakulären Kultur am Beispiel der Internalisierung der Volkskunst in der künstlerischen Produktion und derer Verwurzelung in der Populärkultur dargelegt. Zweifelsohne lässt sich das Ethnografische Dorf der Millenniumsausstellung in die Tendenz der generellen Zuwendung zur bäuerlichen Kunst und Architektur imausgehenden 19. Jahrhundert eingliedern. Eine Spezifik stellt indessen, wie noch ergründet werden soll, die stark wissenschaftlich ausgerichtete Erfassung ländlicher Architektur dar. Dieser positivistischen Tradition der Erforschung bäuerlicher Bauweisen wird in der kunsthistorischen Forschungsliteratur bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt, umso mehr dafür der mythisch verklärten Entdeckung von Volkskunst und -architektur, die in der Baukunst, in den Bildkünsten, in der Literatur und in der Musik der frühen Moderne ihren Niederschlag fand.15 Dass auf der Millenniumsausstellung neben demEthnografischen Dorf eine Assemblage von historischen Baukopien zur Schau gestellt wurde, deutet ein über die Faszination für die vernakuläre Baukultur hinausreichendes Verständnis des Eigenen durch das Medium Architektur an. Die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts exponentiell steigende populärkulturelle Aufmerksamkeit für die historischen Bauwerke kulminierte imPrachtalbummit demTitel »Das tausendjährige Ungarn und die Abb. 2 György Klösz, Straße im Ethnografischen Dorf, 1896 (Budapest Főváros Levéltára, XV.19.d.1.09.029).

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1