Leseprobe

Der aus Anlass der italienischen Landesausstellung 1884 entstandene Plan (Abb. 1) zeigt Turin als eine betont moderne Stadt: Durch rote Linien markiert, demonstriert die Karte, dass der gesamte historische Kern durch eine Straßenbahn erschlossenwird. Die amsüdlichen Po-Ufer stattfindende, ebenfalls rot hervorgehobene »Esposizione Generale Italiana« ist als ein Teil der Stadt erkennbar, deren tradierte Gitterstruktur hier lediglich unterbrochen wird. Das Ausstellungsgelände selbst (Abb. 2) scheint indes unterschiedliche Zeiten in sich zu vereinen: im oberen, ebenen und axial organisierten Bereich die kommerziellen Pavillons; in der unteren, hügeligen Zone am Fluss die »Sezione Storia dell’Arte«. Diese beinhaltete nicht nur ein »Castello Medievale«, sondern darüber hinaus 17 piemontesische Bauten des 14., vor allem 15. Jahrhunderts in Form eines »Villaggio«.1 1 Hauptstadtfrage, Wirtschaftspolitik und die erste allgemeine Landesausstellung Italiens Durch die 1871 vollzogene nationale Einigung Italiens unter Führung des Savoyerhauses war die 1860 bis 1864 an Turin gegangene Hauptstadtfunktion nach Romübergewechselt. Das in Turin seit 1563 ansässige Herrschergeschlecht der Savoyer, das 1720 die Territorien von Piemont und Sardinien zum Königreich Sardinien zusammengefasst hatte, stellte die Könige der als konstitutionelle Monarchie gebildeten italienischen Nation. Die Fixierung einer Hauptstadt für die neue Einheit war wegen der historischen Bedeutung der Städte und Regionen Italiens sowie aufgrund von deren unterschiedlicher Rolle imEinigungsprozess äußerst diffizil. Dieser Wechsel, zunächst Turin, dann Florenz (Hauptstadt: 1865– 1871), bis schließlich die Kapitale in Rometabliert wurde, zeigt die komplizierte politische Situation des italienischen nation building. Mit Rom als endgültiger Hauptstadt drohte die im äußersten Nordwesten Italiens gelegene Stadt Turin ihre zwischenzeitlich erlangte übergeordnete politische Geltung zu verlieren.2 In Anbetracht der Tatsache, dass im Turiner Palazzo Carignano von 1861 bis 1864 das nationale Parlament getagt hatte,3 schien es umso bedeutsamer, dass in dieser Stadt die erste Landesausstellung des geeinten Italiens stattfand.4 Der Ort der »Esposizione« im Gelände des Castello Valentino (Abb. 2: rechte Seite), einemehemaligen Lustschloss der Regentin Maria Cristina (erbaut ab 1630), erscheint wie eine verräumlichte Kontinuität der an das Savoyerhaus geknüpften Geschichte der Stadt.5 Nachdemdas Castello Valentino seit der napoleonischen Besetzung verschiedenen, darunter auch militärischen Zwecken gedient hatte, war der Garten nach demVorbild Abb. 1 [Anonym.], Plan der »Esposizione Generale Italiana in Torino 1884« und der Stadt Turin. Città di Torino (Museo Torino) – Biblioteca civica Centrale, Cartografico 8/10.13, Foto: © Biblioteche civiche torinesi.

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