Leseprobe

12 führen, wurden in der Nachkriegszeit vor allem die zerstörten Städte dokumentiert. Die fotografische Veranschaulichung der Gesellschaft mit den Menschen, der Mode und der Wirtschaft erfuhr in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine sehr umfangreiche Beachtung, die uns heute zum besseren Zeitverständnis verhilft. Große Bekanntheit erreichten die sozialdokumentarischen Fotografien von Christian Borchert (1942 –2000) im Osten und Herlinde Koelbl (*1939) im Westen Deutschlands aus den 1970er und 1980er Jahren, die in bis dahin ungekanntem Maße die persönliche Intimität aufbrechen. »Das deutsche Wohnzimmer«4 von Koelbl oder »Familienporträts«5 von Borchert sind Serien, die den Menschen in seinem ganz privaten und familiären Umfeld porträtieren. Unsere Neugier ansprechend, beschreiben diese Fotografien exemplarisch die gesellschaftlichen Umstände, Lebensweisen und Einzelschicksale. Sie sind heute nicht nur zeitgenössisches Dokument, sondern bereits Forschungsgegenstand in der Kunstgeschichte, der Politik- und Kommunikationswissenschaft sowie der Soziologie. Daneben etablierte das Fotografenpaar Bernd (1931 –2007) und Hilla (1934 –2015) Becher die Dokumentation von Industriebauten, deren sachliche Behandlung mit mehreren Aufnahmen zugleich eine Bestandsaufnahme des Industriezeitalters darstellt. Die Fotografen werden damit zu Chronisten unserer Kultur- und Zeitgeschichte. Die Fotografin Ursula Arnold (1929–2012), eine bekannte kritische Betrachterin der Wirklichkeit in der Deutschen Demokratischen Republik, formulierte dazu sehr treffend: »Das Foto kann die Zeit stillstehen lassen, das Moment der Vergänglichkeit, das Moment der Unwiederbringlichkeit visuell erhalten. Zeugnis der Zeit zu geben ist Intention der Fotografie.«6 In dem Zitat wird deutlich, welch großes Potenzial der als Disziplin der Kunstgeschichte noch verhältnismäßig jungen Gattung »Fotografie« eigen ist.  S. 30 | 31

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