Leseprobe

13 Bildhauerei im Kunsthandel zu sehen bekommt. Die virtuos gearbeitete Gruppe zeigt einen alten, jedoch kraftvollen Mann mit mächtigen Flügeln, der voller Hingabe und Bewunderung ein anmutiges weibliches Wesen emporhebt, das huldvoll einen Lorbeerkranz hält. Schon der Darstellungsgegenstand war ungewöhnlich, und so näherte ich mich neugierig und studierte, was auf der Beschriftung zu lesen war: »Saturn und Ops von Paul Heermann«. Was für ein unglaublicher Glücksfall! Nur ein Jahr zuvor hätte mich zwar sicher der außerordentliche Reiz der Skulptur angesprochen, mir aber ihr Schöpfer nicht so viel bedeutet. Nun aber erkannte ich sofort, dass wir in unserer Galerie kein Werk haben, das in vergleichbarer Weise vor Augen führen kann, um welch bedeutenden Künstler es sich bei Paul Heermann handelt. Die Skulpturensammlung besitzt mit der Porträtbüste von August dem Starken (Kat.-Nr. 3) zwar ein herausragendes Beispiel seines Könnens, das sich auch in den beiden allegorischen Büsten von Herbst und Winter (Kat.-Nr. 4) zeigt, und kann dank eines Ankaufs von 2006 mit der 70 Zentimeter hohen Gruppe der Züchtigung (Kat.-Nr. 2) auch eine figurale Komposition des Meisters ihr eigen nennen – dass Heermann jedoch in Stil und Ausdruck neben Permoser bestehen kann, lässt sich an diesen Schöpfungen nicht ablesen. Für mich stand daher von Anfang an fest, dass der angemessene Platz für Saturn und Ops die Dresdner Sammlung ist. Der Preis war allerdings, wie bei einem Werk mit solchem Seltenheitswert nicht anders zu erwarten, so hoch, dass das Vorhaben ziemlich aussichtslos erschien. Ein Jahr später war das Stück wieder auf der Messe zu sehen, was den Vorteil hatte, dass man es potentiellen Sponsoren vorführen konnte, die sich auch alle sehr begeistert zeigten – doch von einem realisierbaren Ankauf war man noch weit entfernt. 2018 erforderte überdies, wie bereits erwähnt, die Rückerwerbung von Giambolognas Mars alle Anstrengungen und Ressourcen, sodass Saturn und Ops in schier unerreichbar weite Ferne rückte. Da wir jedoch vor allem durch die Ernst von Siemens Kunststiftung und die Kulturstiftung der Länder, für deren Wohlwollen und großzügige Unterstützung ich nicht genug danken kann, immer wieder ermuntert wurden, die Hoffnung nicht aufzugeben, da auch sie von der Qualität des Werkes und seiner Wichtigkeit für die Dresdner Sammlung überzeugt waren, verloren wir die so begehrenswerte Gruppe nie aus den Augen – selbst während der schwierigen Jahre der Pandemie nicht. Als mit der Rudolf-August Oetker-Stiftung, von der wir schon so viel Gutes erfahren haben, und unseren Freundeskreisen Raffaello und Paragone weitere Unterstützer gefunden werden konnten und die Kunsthändler ihrerseits, da sie ebenfalls der Meinung waren, dass Saturn und Ops unbedingt nach Dresden gehen sollte, bereit waren, ihre Preisvorstellungen substantiell zu reduzieren, kam es schließlich im Sommer 2022 zu einer glücklichen Einigung. So ist es nach jahrelangem Ringen und Bangen gelungen, das vielleicht schönste Werk Paul Heermanns doch noch für die Dresdner Sammlung zu gewinnen, wofür ich allen Beteiligten äußerst dankbar bin. Dieser bedeutende Ankauf wird hoffentlich dazu beitragen, dass der Ruhm der sächsischen Bildhauerkunst, der durch die vielen Kriegsverluste so große Einbußen erlitten hat, wieder heller erstrahlen kann. Die Marmorgruppe Saturn und Ops ist aber nicht nur durch ihre raffinierte Komposition, ihre virtuose Technik und sinnliche Oberflächengestaltung eine enorme Bereicherung für die Dresdner Skulpturensammlung, sie steht auch symbolisch für den kulturellen Anspruch Sachsens zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Denn die Skulptur zeigt die innige Zuneigung eines Ehepaares, der römischen Götter Saturn und Ops, die als Regenten des glücklichen und fruchtbaren »Goldenen Zeitalters« galten. Da sich August der Starke gern als Saturn, der ein neues Goldenes Zeitalter für sein Land begründet, feiern ließ, kann die Gruppe auch als Sinnbild der glanzvollen augusteischen Epoche gesehen werden. Die Dresdner Kunstsammlungen sind berühmt für ihre Gemälde und ihre Schatzkunst. Dass ihre dritte Säule, die Skulptur, die einmal von überragender Bedeutung war, dann aber durch mangelnde Ausstellungsmöglichkeiten über die Jahre etwas ins Hintertreffen geriet, auf diese Weise wieder mehr ins Licht gerückt werden kann, freut mich besonders. Der vorliegende Band lädt somit zur Entdeckung neuer Facetten der reichen Kunstgeschichte Sachsens ein. Er beinhaltet eine umfassende Darstellung von Paul Heermanns Leben und Werk sowie einen Katalog seiner Werke in der Skulpturensammlung und lässt Heermann damit endlich aus dem Schatten Permosers treten. Mein Dank gilt hier den Autoren dieses Buches und ganz besonders der Kuratorin für Renaissance- und Barockskulptur an der Dresdner Skulpturensammlung, Claudia Kryza-Gersch, ohne deren unbestechliches Auge und glühende Begeisterung die Ankäufe und spektakulären Neuzuschreibungen herausragender Werke in den letzten Jahren nicht möglich gewesen wären.

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