Leseprobe

60 Will man ausschließlich den Quellen folgen, so wird es wahrlich schwer, wenn nicht unmöglich, Zwingerskulpturen für Paul Heermann zu sichern. Ja, man könnte sich sogar fragen, warum man dort überhaupt nach Werken Heermanns suchen soll. Diese Frage wurde bereits, wie ich meine überzeugend, von Asche beantwortet, denn es besteht tatsächlich zumindest eine große Wahrscheinlichkeit, dass der Künstler hier tätig wurde. Spätestens ab 1716 nahm das Zwingerprojekt nämlich rasant an Fahrt auf, da die Hochzeit des Kurprinzen in greifbare Nähe rückte, weshalb die Orangerie in ein spektakuläres Festareal verwandelt werden sollte. Dafür wurde nun jeder Mann gebraucht. Der Hofdichter und spätere Geheimsekretär Johann Ulrich von König (1688–1744) besang »den Wunderschönen Bau des Zwingers« mit entsprechend anschaulichen Worten: »Wie tausend Hände hier zur Arbeit schwitzend eilen, so muß sich auch das Aug, um sie zu sehn, vertheilen: Der schnitzelt, jener leimt, der hobelt, dieser sägt, der füget, der zerschneid, der bohret, dieser schlägt, der zeichnet, jener mahlt, der bildet Helden-Köpffe, der haut ein Brust-Bild aus, und jener Blumen-Ttöpffe. Der angelegte Bau wächst augenscheinlich fort, kommstu des Abends her, kennstu nicht mehr den Ort, den Du des Morgens doch selbst hast errichten schauen, so schnell steigt hier das Werck, so eifrig geht das Bauen.«14 samte skulpturale Ausstattung des Zwingers zu bewältigen. Diese umfasste bis 1719 – abgesehen von der opulenten ornamentalen Bauplastik – 54 Großfiguren, 48 Putti und 87 Vasen,9 insgesamt also 189 freistehende Skulpturen. Geht man davon aus, dass ein Bildhauer für die Ausführung einer einzigen lebensgroßen Steinfigur mindestens drei Monate benötigte, wird die Problematik klar, selbst wenn man die Beteiligung von Gehilfen mit in Rechnung stellt. Selbst Asche räumte bereits ein, es wären »bei weitem nicht alle Bildhauer, die im Zwinger am Werke waren, […] erfasst worden«.10 So ist etwa vor einigen Jahren durch Sabine Wilde der königlich-sächsische Hofbildhauer Jacob Lehmann (?– 1726) »entdeckt« worden, der eine große Werkstatt unterhielt und nachgewiesenermaßen an königlichen Großprojekten arbeitete, weshalb man wohl von ihm mit gleicher Selbstverständlichkeit Werke im Zwinger suchen darf, wie es Asche für »seine« Bildhauer getan hat.11 Einerseits gibt es also einen Mangel an historischen Dokumenten zu beklagen, andererseits muss man sich gewahr sein, dass diese, selbst wenn es sie gibt, mit einer gewissen Vorsicht zu lesen sind. So finden sich etwa im 1726 verfassten Inventar der Skulpturensammlung die beiden heute im Palais im Großen Garten aufgestellten Marmorgruppen Herakles mit Telephosknaben und Silen mit Dionysosknaben als Werke von Paul Heermann verzeichnet,12 während Gerald Heres belegen konnte, dass sie tatsächlich Pierre de L’Estache (um 1688–1774) geschaffen hat.13 Abb. 35 Paul Heermann und andere, Urteil des Paris, 1716–1718, Wallpavillon, Zwinger, Dresden (Foto um 1900)

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