Leseprobe

59 Paul Heermann in Dresden – Facetten seines Schaffens Stefan Dürre Der Skulpturenschmuck des Dresdner Zwingers Der barocke Dresdner Zwinger (Abb. 56, 57) – der Name leitet sich von dem schon früh gärtnerisch genutzten ehemaligen Raum zwischen der inneren und äußeren Stadtmauer der mittelalterlichen Befestigung Dresdens ab – entstand unter der Leitung des Architekten Matthäus Daniel Pöppelmann (1662–1736) ab 1711. Die prächtige Anlage war ein wesentlicher Bestandteil der unter August dem Starken (1670–1733) in Angriff genommenen Umgestaltung Dresdens in eine repräsentative Residenzstadt. Der neue Bau sollte als höfischer Festplatz und Lustgarten dienen und stand im Zentrum der 1719 zelebrierten Hochzeit des Kurprinzen Friedrich August II. (1696– 1763) mit der Kaisertochter Maria Josepha von Habsburg (1699–1757). Mit diesem grandiosen Ereignis fand die erste Bauphase, obwohl erst zwei Flügel errichtet waren, einen vorläufigen Abschluss. Der Stadt-, oder heute sogenannte Glockenspielpavillon mit seinen Bogengalerien wurde bis 1728 angefügt, jedoch blieb die zunächst nur aus Holz errichtete Nordostseite offen, und es erfolgte keine Vervollständigung des Skulpturenprogramms.1 Als wesentliches Element der theatralischen Wirkung des Zwingers war von Anfang an ein umfangreicher Skulpturenschmuck geplant. Welche Skulpturen aus der ersten Bauphase (1712–1718) stammen, ist weitgehend bekannt, und manches davon ist auch noch im Original erhalten, wenngleich stark lädiert und durch Ergänzungen auf wenig Ursprungssubstanz reduziert.2 Von den Künstlern, die unter der Leitung des Hofbildhauers Balthasar Permoser (1651– 1732) an der Ausführung der plastischen Gestaltung des Zwingers arbeiteten, gelten lediglich sechs Meister als mehr oder weniger gesichert: Paul Heermann (1673–1732), Johann Joachim Kretzschmar (1677– 1740), Benjamin Thomae (1682–1751), Christian Kirchner (1691–1732), Johann Matthäus Oberschall (1688–1755) und Paul Egell (1691–1752). Für sieben weitere Bildhauer wird eine Beteiligung zumindest in Erwägung gezogen.3 Leider finden sich in den Akten zur Frage »Wer machte was?« keine konkreten Hinweise,4 und so ist es oft lediglich die Stellung eines Künstlers als Hofbildhauer, von der dann eine Mitarbeit am Zwingerprojekt abgeleitet wurde. Nur hinsichtlich Permoser gibt es bessere Anhaltspunkte, denn er berichtete selbst, dass er Hermen am Wallpavillon »eigenhändig und ohne Modell« aus dem Stein geschlagen habe,5 während der Herkules auf demWallpavillon durch Signatur für ihn belegt ist.6 Angesichts der äußerst mangelhaften Quellenlage ist es kaum verwunderlich, wenn man feststellen muss, dass es nicht möglich ist, Paul Heermann bestimmte Skulpturen im Zwingerkomplex eindeutig zuzuordnen. Überliefert ist lediglich, dass er dort nicht näher beschriebene Reparaturarbeiten tätigte, die nicht sehr umfangreich gewesen sein können, da er dafür nur mit vier Talern bezahlt wurde.7 Dennoch hat der Dresdner Kunsthistoriker Sigfried Asche (1906–1985), der Großes für die Erforschung der sächsischen Barockplastik geleistet hat, versucht, unserem Meister eine Reihe von Skulpturen im Zwinger zuzuschreiben.8 Diese Zuweisungen – dies muss bei aller Hochachtung vor Asches grundlegender Arbeit gesagt werden – basieren jedoch nicht nur auf Vergleichen mit gesicherten Werken Heermanns, sondern auch auf teilweise mehr als fraglichen Zuschreibungen. Dass die solchermaßen praktizierte »Händescheidung« nicht mehr in Allem überzeugen kann, sollte daher nicht überraschen. In der Tat hat man beinahe den Eindruck, als wären die Zwingerskulpturen einfach auf die damals fassbaren Bildhauer aufgeteilt worden, und zwar je nachdem, zu wessen Œuvre man vermeinte, Verwandtschaften zu erkennen, selbst wenn diese nur aus vagen Zuschreibungen bestanden. Grundsätzlich ist außerdem festzustellen, dass es für die wenigen von Asche favorisierten Bildhauer, die dazu zeitgleich noch andere Aufträge zu erfüllen hatten, vollkommen unmöglich gewesen wäre, in lediglich sechs Jahren die ge­  Abb. 34 Paul Heermann, zugeschrieben, eine der beiden nördlichen Doppelhermen, 1716–1718, Wallpavillon, Zwinger, Dresden

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