Leseprobe

264/ 265 Abb.5 Christoph Gertner Bacchanal, 1623 durchgepauste Vorzeichnung in Kohle, Feder und Pinsel in Braun, braun laviert, 320 × 387 mm Gundelach (1566–1654) zugeschrieben, der zuvor unter anderem am Prager Hof tätig war.21 Aber auch Augsburger Zeichner wie Lukas Kilian (1579–1637) oder Christian Steinmüller (1587–1651) weisen in ihren Zeichnungen bis ins Detail stilistische Ähnlichkeiten mit dem Weimarer Blatt auf.22 Vergleichbare Motive aus dem Dreißigjährigen Krieg hat Hans Ulrich Frank (um 1590/95–1675) in einer 25 Blätter umfassenden Serie von Radierungen umgesetzt.23 Eine dritte »Goltzius«-Zeichnung aus der Goethe-Sammlung mit der Darstellung eines Bacchanals, möglicherweise Die Hochzeit von Peleus und Thetis (Abb. 3; Tab. 1.6)24 verweist auf die frühe Rezeption der Utrechter Malerschule in den deutschsprachigen Gebieten. Vermutlich wurde die Zeichnung ebenfalls durch Stimmel 1814/15 als ein Werk »Bloemaert[s] in Utenwals [?] Manier« erworben, bevor diese Zuschreibung dann im Laufe der Zeit (spätestens durch Schuchardt) in »Goltzius« verändert wurde.25 Eine weitere »Goltzius«-Zeichnung in der Großherzoglichen Sammlung trägt das ligierte Künstlermonogramm »CGA 160[8?]«, das entweder übersehen oder falsch gelesen wurde. Jedenfalls gelangte das Blatt Venus bittet Zeus um die Aufnahme des Äneas in den Olymp (Abb. 4; Tab. 1.17)26 als Werk von Goltzius in die Sammlung, wie zwei alte Namensaufschriften auf der Rückseite vermuten lassen. Erst Wolfgang Schade gelang 1962 die Auflösung des Monogramms, das als Kürzel Christoph Gertners (1575/80–nach 1623) erkannt wurde – eine Zuschreibung, die Heinrich Geissler bestätigte.27 Bei der Weimarer Zeichnung handelt es sich vermutlich um die Vorzeichnung für ein auf Kupfer gemaltes Gemälde Gertners, auf dem die vor Zeus kniende Frau eindeutig als Venus zu erkennen ist.28 Auf der Weimarer Zeichnung hingegen weisen der Schild und die Lanze eher auf Pallas Athene hin; jedoch ist rechts unten die Reinwaschung des Äneas durch den Stromgott Numicus zu sehen, die nach seiner Göttlichsprechung auf Bitte seiner Mutter Venus erfolgte (vgl. Ovid, Metamorphosen XIX, 581–608). Die Figuren verweisen in ihrer Voluminosität auf Kupferstiche von Goltzius, wie etwa auf die Hochzeit von Amor und Psyche (1587), dem eine Komposition von Bartholomeus Spranger (1546–1611) zugrunde liegt.29 Auch eine Gemäldekopie dieser Komposition wird neuerlich Gertner zugeschrieben, was seine Vertrautheit mit dem grafischen Werk von Goltzius hinreichend belegen würde.30 Und auch eine unter dem Namen Jacob Jordaens 1852 in die Sammlung gelangte, spätmanieristische Zeichnung mit der Darstellung eines weiteren Bacchanals (Abb. 5; Tab. 1.20)31 wurde von Werner Schade und Heinrich Geissler als Arbeit Christoph Gertners erkannt.32 Das Blatt ist wiederum mit dem ligierten Monogramm »CGA« signiert und 1623 datiert, die »späteste bisher bekannte Zeichnung« des Künstlers.33 Eine vergleichbare Verwechslung findet sich bei einer Zeichnung in Stuttgart, die früher ebenfalls dem flämischen Künstler Jacob Jordaens zugeschrieben war, wie die alte Namensaufschrift »J Jordanes« belegt.34 Das Blatt wird heute Sebastian Schütz (um 1595–nach 1631) zugeschrieben, der in der Nachfolge von Gertner am Hof in Braunschweig tätig war. Beide Gertner-Zeichnungen sind wie die zuvor besprochene dritte »Goltzius«-Zeichnung anschauliche Belege für die frühe Rezeption der Utrechter Manieristen Abraham Bloemaert (1566–1651) und Joachim Wtewael (1566–1638) im deutschsprachigen Raum kurz nach 1600, die vor allem auf entsprechenden Reproduktionsgrafiken nach dem malerischen Werk der beiden Künstler beruht haben dürfte. Die Übernahme der tradierten Zuschreibungen an niederländische Künstler mag daher nicht verwundern.

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