Leseprobe

Die Weimarer Sammlung der niederländischen Zeichnungen heute Waren sie vielleicht als reine Stiftzeichnungen gedacht? Wurden einige von späterer Hand mit dem Pinsel ergänzt? Wenn ein oder zwei Blätter gewissermaßen unvollendet geblieben wären, wäre diese Hypothese nachvollziehbar, aber dass das Gros unvollendet sein soll, erscheint wenig plausibel. Die Gruppe dieser Zeichnungen im sogenannten sorgfältigen Stil kann selbst noch einmal in zwei Untergruppen aufgeteilt werden. Die erste Gruppe enthält zehn Blätter, von denen sich sieben in Weimar (Abb. 1–5, 7, 8), eines in der Albertina in Wien und zwei im Kunsthandel befinden; sie zeigen alle Häfen, Festungen, Schlösser und Städte rund um das Mittelmeer.7 Obwohl sie thematische und stilistische Ähnlichkeiten aufweisen, unterscheiden sie sich untereinander in ihren Blattmaßen. Es ist davon auszugehen, dass sie nicht als Serie gedacht waren. Bis auf zwei Zeichnungen tragen diese Blätter die gleiche Signatur mit einem etwas eigenwilligen großen »R« am Anfang, das möglicherweise als Kombination der Buchstaben »A« und »R« gedacht war. Zudem weist der Buchstabe »d« eine überschwängliche, nach links geneigte Krümmung auf, während die nachfolgenden Buchstaben unverbunden angehängt sind.8 Die zweite Untergruppe besteht aus acht Blättern, die niederländische, flämische und deutsche topografische Darstellungen zeigen. Drei dieser Zeichnungen befinden sich in Leiden, zwei in Privatbesitz, eine in Amsterdam, eine in Weimar (Abb. 6) und eine letzte 2015 im Kunsthandel; nur das Exemplar in Weimar ist signiert.9 Von den 18 Zeichnungen im »sorgfältigen« Stil tragen 15 eine topografische Angabe am oberen Rand in der Mitte. Zwölf von diesen Aufschriften sind auf einem überstehenden Streifen angebracht, der nach dem Beschneiden der oberen Blattränder stehengeblieben ist; drei Blätter wurden innerhalb der Rahmenlinie bezeichnet. Bei den übrigen drei Zeichnungen ohne Schriftzug ist dieser wohl oben abgeschnitten worden. Den Aufschriften zufolge sind auf den Zeichnungen bekannte ausländische Orte wie Brindisi in Italien (Abb. 4), Cartagena in Spanien (Abb. 8) und Damaskus in Syrien (Abb. 5) abgebildet. Vom griechischen Modon (Abb. 3) hat man dagegen kaum etwas gehört, während die Burg San Sorzy (Abb. 1), die Festung La Asturia (Abb. 2) und eine Stadt Canistro in Rumänien (Abb. 7) überhaupt nicht bekannt sind. Da Abraham Rademaker selbst kaum reiste, handelt es sich bei den topografischen Ansichten, die er selbst gesehen und gezeichnet hat, fast ausschließlich um Orte in den Niederlanden oder kurz hinter der deutsch-niederländischen Grenze (Kleve, Rees, Emmerich, Elten und Eltenberg). Wenn er hingegen auswärtige Motive aufnahm, waren es verständlicherweise immer Kopien nach früheren Vorbildern. Es ist daher anzunehmen, dass es sich bei den acht Zeichnungen in Weimar um Kopien nach anderen Vorlagen handelt – in den meisten Fällen werden dies Drucke gewesen sein. Da Rademaker zum Zeichnen von niederländischen Schlössern, die damals bereits nicht mehr existierten, manchmal Details aus alten Grundrissen in der Vogelperspektive entnahm, denen er aber ein frontales Aussehen verlieh,10 ist auch nach solchen grafischen Vorlagen zu suchen. Die topografischen Darstellungen aus der ersten Gruppe – Ansichten mediterraner Architektur, oft umgeben von Wasser mit Schiffen in einem extrem breiten Format – erinnern sehr an Radierungen, die Lucas Vorsterman d. J. (1624–1666/67) und Gaspar Bouttats (1648–1695/96) nach Zeichnungen des Antwerpeners Künstlers Jan Peeters (1624–1678) gestochen haben.11 Diese Radierungen gehören zu einzelnen Stichserien, die um 1686 von Jacob Peeters (1637–1695), dem jüngeren Bruder von Jan, herausgegeben wurden, so zum Beispiel die Korte beschryvinghe, en aenwysinghe der plaetsen [...], Description des principales Abb.10 Gaspar Bouttats, nach Jan Peeters Der Hafen von Damaskus in Syrien, um 1686 Radierung, 130 × 257 mm Katholische Universität Eichstätt- Ingolstadt, Universitätsbibliothek, Sign. 191/1 Q 16a

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