Leseprobe

88/89 Abb.4 Unbekannt, 17. Jahrhundert Grabsteine im Judenkirchhof in Ouderkerk an der Amstel Rötelabklatsch, 147 × 244 mm Zu vermuten ist also, dass Goethe seine Studien zu der erwähnten »Capitalzeichnung« Rembrandts in dem zum Garten hin gelegenen Arbeitszimmer vornahm und zu diesem Zweck die bereits in der Sammlung vorhandenen Zeichnungen und Grafiken des Künstlers aus den Sammlungsschränken, die sich in den vorderen Räumen befanden, entweder selbst entnahm oder von seinen persönlichen Angestellten entnehmen ließ, wie bereits Trunz feststellte: »Für seine kunstgeschichtlichen Studien ließ Goethe sich durch [seine Diener Carl Johann Wilhelm] Stadelmann oder [Gottlieb Friedrich] Krause die eine oder andere Mappe mit graphischen Blättern in sein Arbeitszimmer bringen.«23 Die oben zitierten Hinweise Goethes aus seinem Tagebuch jedenfalls vermitteln ein eindrückliches Bild von den zahlreichen Aktivitäten, zu denen er sich durch seine Zeichnungssammlung veranlasst sah. Die eher ordnenden Arbeiten werden vor allem in den drei Sammlungsräumen durchgeführt worden sein, während die eingehenderen Betrachtungen einzelner Werke oder ganzer Konvolute im Zusammenhang mit anstehenden wissenschaftlichen Studien wohl ausschließlich im Arbeitszimmer stattgefunden haben werden – dies auf alle Fälle in den Wintermonaten, in denen die Sammlungszimmer nicht beheizt wurden und keinen längeren Aufenthalt erlaubten. Und so wird Goethe die Rembrandt-Zeichnung auch im Zusammenhang mit seinem Aufsatz »Rembrandt als Denker«, an dem er im Oktober 1831 noch arbeitete, erneut angeschaut haben: »Fortgesetztes Studium Rembrandtischer Blätter. Dictirt über den barmherzigen Samariter.«24 Diese Schreibsituation wird sicherlich im beheizbaren Arbeitszimmer zu verorten sein, wo Goethe dem Sekretär Johann August Friedrich John, am großen Schreibtisch sitzend, seinen Text zu Rembrandt diktierte. GOETHES BESCHÄFT IGUNG MI T RU I SDAEL - ZE I CHNUNGEN Goethe hat auf vielfältige Weise von seinen Zeichnungen Gebrauch gemacht. In einem weiteren Tagebucheintrag vom 25. Februar 1819 heißt es: »Die Ruisdaelische Kirchhofszeichnung«.25 Bei der erwähnten Zeichnung (Abb. 4)26 handelt es sich um einen Rötelabklatsch, der im Schuchardt’schen Katalog von 1848 unter der Nr. 882 wie folgt verzeichnet ist: »Jacob Ruisdael. Einige Grabdenkmäler. Kl. Qu. Fol. Rothsteinz. Contradruck.«27 Der Rötelabklatsch befand sich also spätestens seit 1819 in Goethes Besitz, allerdings konnte bislang nicht ermittelt werden, zu welchem Zeitpunkt das Blatt in die Sammlung gelangte. Möglicherweise befand sich die »Ruisdael«-Zeichnung aber bereits unter jenen Blättern, mit denen sich Goethe bereits drei Jahre zuvor, im März und April 1816, beschäftigt hatte. Auf die entsprechenden Einträge im Tagebuch wurde schon hingewiesen: »Prof. Riemer die Ruysdaelischen Zeichnungen«28 sowie: »Sonderung der Zeichnungen. Mit Riemer, Ruysdael u.a.«29 Neben dem besagten Rötelabklatsch aus der eigenen Sammlung könnte Goethe sich zudem Zeichnungen und natürlich auch eigenhändige Radierungen des Künstlers aus der Großherzoglichen Sammlung in seinem Arbeitszimmer angeschaut haben.30 So wissen wir jedenfalls, dass Ruisdael-Zeichnungen zu den frühesten Erwerbungen im Jahr 1781 gehörten.31 Da Goethe jederzeit Zugriff auf die Zeichnungsbestände des Großherzogs hatte, die damals noch im Bibliotheksturm aufbewahrt waren, kann davon ausgegangen werden, dass er von der Großherzoglichen Zeichnungs- und Grafiksammlung wiederholt Gebrauch machte.

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