Leseprobe

34 Das Auge von Brünn Vilém Reichmann, Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit in Brünn (Brno), war knapp 40 Jahre alt, als er 1946 damit begann, in den Straßen seiner von den Jahren des Krieges und der deutschen Besatzung gezeichneten Heimatstadt zu fotografieren. Die dort entstandenen Bilder gingen später in seine erste Werkgruppe Raněné město/Verwundete Stadt ein.1 Reichmann hatte zu dieser Zeit bereits ein Architekturstudium an der Deutschen Technischen Hochschule Brünn abgeschlossen und, nachdem er in wirtschaftlich schwierigen Zeiten keine Anstellung als Architekt gefunden hatte, zunächst als Lehrer an deutschsprachigen Schulen auf dem Land sowie später als Angestellter des Stadtplanungsamts von Brünn gearbeitet. 1942 war er zum Kriegsdienst eingezogen worden und in Gefangenschaft geraten, aus der er 1943 wegen einer Infektionskrankheit vorzeitig entlassen wurde. Nach dem Ende des Krieges war Vilém Reichmann nach Brünn zurückgekehrt und im Begriff, sich als Karikaturist und Künstler zu etablieren – ein Feld, auf dem er bereits in den 1930er Jahren erste Schritte unternommen hatte, als er sich in den Kreisen der politisch links orientierten Brünner Avantgarde bewegte und unter dem Pseudonym »Jappy« erste Zeichnungen und einige Fotografien in Periodika wie Bedřich Václaveks Index veröffentlichen konnte (Abb.6).2 Als Vilém Reichmann also nach 1945 hieran anknüpfte, intensivierte er auch seine Auseinandersetzung mit dem kreativen Potenzial der Fotografie. Sein Drang nach künstPH I L I PP FRE Y TAG 6 / Index. Leták kulturní informace, 4.Jg., 1932, 9/10, S.96 (Fotografie: Vilém Reichmann)

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