Leseprobe

38 transzendiert er seine Motive mithilfe des Sonnenlichts geradezu. Ganz anders arbeitet übrigens zeitgleich die von Reichmann überaus geschätzte Emila Medková, die in ihrem Frühwerk surreale, oft von Spuk und Gewalt kündende Träume re-inszeniert. In den stärksten ihrer fast vollständig abstrahierten Mauern (Zdi) (Kat. 27) geht sie noch sehr viel weiter als Brassaï in seinen Graffiti. Ängste und Verletzungen werden nicht länger abgebildet, sondern vergegenwärtigt. Die Wand wird zur gezeichneten, verwundeten Haut.10 Antonín Dufek charakterisiert Reichmanns Fotografie folgerichtig als dem Surrealismus verwandt, im Kern jedoch der tschechischen Tradition der imaginativen Kunst verpflichtet, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mehrere zeitgenössische Impulse miteinander vereint habe, darunter eine »zeitspezifische Sensibilität für die Absurdität der Existenz und den wachsenden sozialen Druck jenseits des Eisernen Vorhangs sowie für die anti-romantische Magie des (vor-)städtischen Alltags und die Kontraste zwischen den Formen und ihrer Abschaffung der Formlosigkeit«.11 Nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 und der damit verbundenen Auflösung der Gruppe Ra geriet Vilém Reichmanns fotografisches Werk zunächst in Vergessenheit. Im Zuge der allmählichen Liberalisierung der tschechoslowakischen Kulturpolitik ab Ende der 1950er Jahre änderte sich dies allerdings zumindest vorübergehend. So erschien 1961 die Monografie Cykly mit einem Text von Václav Zykmund in der bedeutenden Edition Kunstfotografie im Staatlichen Verlag für schöne Literatur und Kunst (SNKLHU). 1962 und 1965 folgten Ausstellungen mit der Gruppe DOFO im Fotografický kabinet Jaromíra Funka/Fotografischen Kabinett Jaromír Funke in Brünn, von Zykmund organisiert.12 Einige der Fotografien, die Reichmann 1964 zu einem Bildband über Brno beitragen konnte, verdeutlichen zudem, wie groß der Spielraum der künstlerischen Fotografie auch in offiziellen staatlichen Publikationen zu dieser Zeit war (Abb.11). 1966 war Reichmann schließlich neben Emila Medková und anderen an Zykmunds Ausstellung Surrealismus a fotografie/Surrealismus und Fotografie beteiligt, die Otto Steinert 1966 für das Museum Folkwang in Essen übernahm. Sein Wunsch, innerhalb des nationalen Verbands bildender Künstler zusammen mit Eva Fuková, 10 / Brassaï, Zufallsmagie (Keimende Kartoffel), 1931

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