Leseprobe

207 otte Eisner als frühe Murnau-Expertin und Chefkonservatorin der Cinémathèque française berichtet in ihrem Buch Die dämonische Leinwand (1955; frz. Original 1952), der österreichische Grafiker Alfred Kubin sei ursprünglich für die Ausstattung von Robert Wienes Film Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) vorgesehen gewesen. Bekanntlich ist es dazu nicht gekommen. Dafür spielte die Kunst Kubins, der auch als Autor des phantastischen Romans Die andere Seite von 1909 berühmt wurde, eine wichtige Rolle für Albin Grau und dessen Entwürfe zu Nosferatu. In der gleichen Weise, wie ihm die Bilder Caspar David Friedrichs und der deutschen Romantik als Vorbilder für die Darstellung der heilen, beschaulichen Welt Wisborgs dienten, nutzte Grau die Werke Kubins und der Symbolisten Félicien Rops und Edvard Munch für die Inszenierung der »anderen« Welt Nosferatus. So entwirft er die Figur des Vampirs auf dem Titelblatt der »Film-Tribüne« von 1921 nicht nur als große, hagere Gestalt mit spitzen Ohren und langen Zähnen, sondern zeigt ihn auf der Rückseite (und im Innenteil) der Sondernummer auch als sonderbares Tier mit rüsselartiger Nase – als sei er ein direkter Abkömmling des Marswesens oder des Saugers von Kubin. Nosferatu – Katalysator unserer Ängste, wenn die Vernunft schläft, und unserer wildesten Wünsche, wenn die Vernunft träumt – erscheint als eine Mischung von seuchenbringender Ratte und menschenähnlicher Fledermaus (siehe hierzu auch die Illustrationen in Bertuch’s Bilderbuch für Kinder) und wird zugleich zum possierlichen Tier verniedlicht, um die Macht dieses Untoten, Inbegriff der Transgression, mit den Mitteln des Humors zu bannen. L

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