Leseprobe

35 Lotte Eisner hat in diesem Kontext die bildlich-evokative Sprache des Textes hervorgehoben und von dessen Poesie gesprochen.11 Die eingangs beschriebene Fensterszene findet sich im Skript genauestens vorgebildet. Indes gilt es nicht nur die ästhetische Qualität des Drehbuchs zu betonen, ging mit dem Filmprojekt doch auch der Versuch einher, einen Kassenschlager und finanziellen Coup zu landen. Dabei muss man sich in Erinnerung rufen, dass Grau in Personalunion als ausführender Produzent und Filmarchitekt verantwortlich zeichnete. Er stellte das Filmteam zusammen, war für die Werbekampagne zuständig und schuf selbst zahlreiche Plakatentwürfe, deren Bestimmungsorte in Berlin darauf genauestens notiert wurden. Zudem lancierte er Berichte vom Dreh, schrieb über die Ideen des Films, die verpflichteten Künstler wie auch über seine filmischkünstlerischen Ideale. Der von ihm in Gang gesetzte Werbefeldzug geriet jedoch derart aus den Fugen, dass er die Prana-Filmgesellschaft in den Konkurs trieb. Graus übersteigerte Ambition ist nur zu erklären, wenn man sich vor Augen führt, dass er nicht nur an Filmprojekten mitarbeitete, sondern auch Werbegrafiken und Firmensignets entwarf – also mit Techniken der Vermarktung bestens vertraut war und sich augenscheinlich der Aufgabe gewachsen fühlte. Vor allem orientierte er sich mit seiner Verkaufsstrategie für Nosferatu an einem der großen Marketingerfolge jener Zeit. Mit Gustav Meyrinks phantastischem Roman Der Golem aus dem Jahr 1915 ging eine großangelegte Kampagne einher, die das Buch zu einem Bestseller machte.12 Noch bevor der Text in Buchform erschienen war, wurde er als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift Die weißen Blätter veröffentlicht. Zudem weckten Anzeigen und Artikel das Interesse für den Text. Mit der Golem-­ Kampagne wurde eine extreme Spannung und Erwartungshaltung des Publikums erzeugt, die Meyrinks Werk befriedigte.13 Vor dem Hintergrund dieses literarischen und kinematografischen Erfolgs schien es Grau möglich, selbst einen Film durch Werbung erfolgreich zu lancieren. Dabei war die Werbekampagne nicht nur ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen, vielmehr streute sie auch mysteriöse Details und lieferte geheimnisvolle Perspektiven auf die Gestalt des Vampirs, über die sich sowohl Fragen als auch Deutungsoptionen eröffnen ließen.14 In der Dezemberausgabe der Zeitschrift Filmecho von 1921 äußerte sich Grau zur Entstehung des Films mit folgenden Worten: »Die Prana-FilmGesellschaft, unter deren leitenden Persönlichkeiten sich einige seit langem mit okkulten Studien beschäftigt hatten, kamen nun auf die Idee, den Vampirismus einmal zur Grundlage eines Filmmanuskripts zu machen. Der äußere Anlaß war ein geringfügiger, kam den Betreffenden ungefähr ein, als sie eine Spinne beobachteten [HervorAlbin Grau Filmplakat-Entwurf für den Alexanderplatz, Berlin, 1921 Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, Schweiz

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