Leseprobe

28 A u f d e r a n d e r e n S e i t e d e r B r ü c k e K y l l i k k i Z a c h a r i a s bezeichnet: »oubli« (Vergessen), darunter »angoisse« (Bangen) und weiter, im Uhrzeigersinn, »duvet« (Daunenflaum), »impacience« (Ungeduld), »desir« (Verlangen), »peur« (Angst), »crainte« (Furcht), »c [der Rest ist verdeckt]«, »oiseaux« (Vögel) und »caresses« (Zärtlichkeiten). Nahezu alle Begriffe bezeichnen in verschiedenen Varianten die Angst, die Erotik und das Unbewusste (die Vergessenheit). Sie benennen die Einfallstore, durch die sich, wie im Film Nosferatu, die Welt »auf der anderen Seite der Brücke« in die diesseitige drängt. Als ein typisch surrealistischer Spaß mag dabei gelten, dass sich Tanguys Schaufensterpuppenhand von der »anderen« Seite ins Diesseits krallt, während die krakenartigen Nosferatu-Finger diesseitig greifen. In Erinnerung an Bretons Nosferatu-Traum könnte man auch von einer typisch surrealistischen »Verwischung« der Bereiche sprechen. Yves Tanguy De l’autre côté du pont, 1936 Ehemals Sammlung Morten G. Neumann, New York Yves Tanguy De l’autre côté du pont, 1936 Historische Aufnahme aus dem Dictionnaire abrégé du Surréalisme, Paris 1938 1936, vier Jahre nach Erscheinen der Kommunizierenden Röhren, ist ein (ausgestopfter) Ameisenbär das einzige Tier, das in der Galerie Charles Ratton auf der »Exposition surréaliste d’objets« gezeigt wird.13 Neben »natürlichen Objekten« (wie dem Ameisenbären), »störenden«, »gefundenen«, »amerikanischen« oder »mathematischen Objekten« werden rund 70 »surrealistische Objekte« gezeigt,14 darunter ein De l’autre côté du pont (Auf der anderen Seite der Brücke) betiteltes Werk von Yves Tanguy, das sich zweifellos auf den Breton’schen Lieblingssatz aus dem Nosferatu-Film bezieht. Das Objekt besteht aus einer Art achteckigem Schaumlöffel, der allerdings platt und aus Holz ist, durch den von vorne eine weiche dreifingrige Stoffhand greift, mit seltsam langen Gliedern, die an die Arme einer Krake oder an die bleichen Hände Nosferatus erinnern. Von der anderen, rückwärtigen Seite her sind es hingegen die festen vier Finger einer Frau (beziehungsweise einer Schaufensterpuppe) mit rot lackierten Fingernägeln, die, wie historische Aufnahmen belegen, durch die Löcher greifen, als würden sie sich an ein Gefängnisgitter krallen.15 Das wie die Stoffhand in zarten Fleischfarben gehaltene Holzobjekt, dessen linke Partie grau schattiert ist, während der Griff wie die mit Rouge gepuderten Wangen einer Frau rosafarben abgetönt ist, funktioniert als Membran zwischen zwei Welten, die dank ihrer Perforation durchlässig ist. 37 kleine Löcher ermöglichen den Übergang von der einen zur anderen Seite. Zehn von ihnen haben einen Namen. Oben beginnend, sind sie in Versalbuchstaben folgendermaßen

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