Leseprobe

15 Abb. 4 Ein Grabstichel wird durch eine Kupferplatte geführt (Demonstration von Anton Würth) Abb. 5 Meister der Spielkarten, Spielkarte Blumen-Dame, vor 1446, Kupferstich, 139×92 mm (Blatt), Lehrs I, Nr. 48, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv. A 1974-214 Das bedeutet allerdings nicht, dass die frühen Kupferstiche im Vergleich zu den Holzschnitten im heutigen Sinn als die »besseren Kunstwerke« betrachtet wurden. Sie waren zunächst einmal »Bilder«, die wie Holzschnitte oder Zeichnungen auf verschiedenste Weise verwendet und benutzt wurden. Die Möglichkeit, ihnen die »realistische« Wirkung von Zeichnungen oder »farblosen Gemälden« zu verleihen, mag aber ein Faszinosum gewesen sein, das ihren Wert für die Benutzer steigerte. Außerdem wurden sie damit als Vorlagenmaterial für andere Bildkünstler interessanter. Das Tiefdruckverfahren erforderte beim Druckvorgang also mehr Aufwand als das des Hochdrucks, der im Prinzip nur »gestempelt« oder »abgedruckt« werden musste. Die ersten Kupferstiche wurden »durchgerieben«; man legte ein angefeuchtetes Papier auf die eingefärbte und ausgewischte Druckplatte, breitete ein mehrmals gefaltetes Leintuch und ein Stück Pergament darüber und rieb dann mit Kraftaufwand und einem geeigneten Instrument, etwa einem »Polierstahl« (einem weiteren Goldschmiedewerkzeug), über dieses Paket, bis das Papier in die Vertiefungen der Platte eingedrungen war und die Farbe angenommen hatte (vgl. Kat.1).13 Durch die Kraft, mit der die Platte dabei in das Papier gepresst wurde, bildete sich in diesem ein bleibender Abdruck des »Plattenrands«. Es ist noch hinzuzufügen, dass es auch einer ölbasierten, sorgfältig hergestellten Druckfarbe mit der passenden Viskosität bedurfte.14 Wenn man diese Farbe vor dem Druckvorgang nicht vollständig von der Platte wischte, sondern sie als einen dünnen Ölfilm darauf stehen ließ, erzeugte dieser einen leichten Grauton auf der Fläche des Abzugs, den »Plattenton« (vgl. Kat. 72). Der Druckvorgang wurde, wahrscheinlich in den 1460er-Jahren und in der Werkstatt des Meisters ES, durch die Entwicklung einer für den Tiefdruck geeigneten Druckerpresse mit Walzen erleichtert.15 Auch dafür konnte man auf bekannte Technologien zurückgreifen; es wird vermutet, dass ähnliche Apparate zum Pressen von Textilien oder zum Auswalzen von weichem Metall Pate gestanden haben. Der notwendige Druck, um das Papier in die Vertiefungen der

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