Leseprobe

O R N A M E N T U N D V E R G E B U N G Zum Verständnis von Architekturgestaltungen und Farbfassungen des Historismus am Beispiel der Äußeren Neustadt Dresden Stefan Bürger

Stefan Bürger unter Mitarbeit von Francine Selms und Katharina Marschall mit Beiträgen von Sinah David Marlen Eberlein Sarah Eppler Anna Ganzleben Maite Hansper Liane Janzen Andre Suwanto Johannes Thein Sarah Zimmermann Zum Verständnis von Architekturgestaltungen und Farbfassungen des Historismus am Beispiel der Äußeren Neustadt Dresden

Zum Projekt Gedanken Loos’ oder gedankenlos? Eine polemische Einleitung Zum Betrachtungsgegenstand Ausgangslage und Problematik Das Projekt: Fragestellungen, Methoden, Ziele Projektteam und Kooperationen Projektmitarbeiter:innen Kooperationspartner:innen Zur Äußeren Neustadt Zur Geschichte und Gestalt Städtebauliche Rahmenbedingungen Stadtteilentwicklung Bauordnung und Qualitätssicherung Struktur der Äußeren Neustadt Stilniveau der Äußeren Neustadt Historische Leitarchitekturen Historistische Leitarchitekturen Zum Begriff ›Gründerzeitarchitektur‹ Gestalterische Grundzüge imWohnbau Architekturtheoretische Fundierung Stile in der Äußeren Neustadt Neorenaissance Neobarock Neogotik Eklektizismus Zur Verteilung der Stile Zusammenfassung 10 11 12 14 15 15 16 17 17 19 23 23 25 30 31 31 32 33 43 46 47 49 49 52 53 53 54 55 56 56 57 60 65 65 67 68 69 70 70 71 71 73 74 76 82 Untersuchung und Sanierung Umgang im Laufe der Zeit Zur Untersuchung Zerstörung und Sanierungsgeschichte – eine Einschätzung Archivlage, Quellen und Zeugen Recherche Objektauswahl Entwicklungen bis 1990 Sanierungen nach 1990 Rechtsgrundlagen Fotografische Dokumentation Musterhafter Sanierungsverlauf Sanierung in der Nachwendezeit Fazit – Sanierungsprojekt Äußere Neustadt Zur Formgebung Architektur: Gestaltung und Wirkung Prinzipien der Gestaltung Klinkerfassaden als Studienobjekt Die zwei konstruktiven Prinzipien: Tragen und Lasten Die drei gestalterischen Prinzipien: Horizontale, Vertikale und Tiefe Gestaltungselemente und -modi Horizontale Gliederungselemente Vertikale Gliederungselemente Horizontale Gestaltungsmodi Vertikale Gestaltungsmodi Fassadengestaltung im Verbund 6 52 68 16

83 83 85 86 87 114 115 116 88 88 90 92 92 93 95 98 98 98 99 102 102 104 104 106 107 107 Effekte der Wirkung Die ästhetische Wirkung: zwischen lastend und schwebend Schwebend wirkende Elemente Lastend wirkende Elemente Historistische Klinkerfassaden und ihr erweiterter Motiv-Schatz Zur Farbgebung Zur Farbfassung von Putzfassaden ZumMissverständnis der Farbgebung Fehler in der Gestaltung Fehlerursachen Aspekte der Farbe und Farbigkeit Zu den farbgebenden Pigmenten Farbsysteme und Farbtheorien Zur Materialität und Farbe Zur Beschaffenheit des Putzes Zur Farbwirkung Faktoren bezüglich der Farbtöne Zur Wahrnehmung farbiger Fassaden Zum Umgang mit der Farbigkeit Farbgebung der Gründerzeit in der Äußeren Neustadt Gegenwärtiger farblicher Bestand Die Farbgestaltung in der Praxis: Expert:innen-Interviews Zwischenfazit – Erkenntnisstand Zur praktischen Umsetzung Zum Beispiel: Bischofsweg 72/74 Fazit – ein Plädoyer Abschließende Überlegungen Historisierend oder zeitgemäß? . . . oder zeitlos? Zeithaltig und dadurch wertvoll? Handreichung Architektur und Farbfassung Zum (Miss-)Verständnis im Umgang mit der Baukunst des Historismus – am Beispiel der Äußeren Neustadt in Dresden Tafeln Detailbeobachtungen und Korrekturmöglichkeiten Nachwort Anhang 114 117 130 142 88 141

6 Ornament und Vergebung: Was soll das denn bedeuten? Muss sich der Historismus bei uns entschuldigen? Oder hat die historistische Architektur unsere Entschuldigung verdient? Der polemische Titel bezieht sich auf Adolf Loos’ Text ›Ornament und Verbrechen‹ von 1908, der das besondere Spannungsverhältnis prägte, in dem wir noch heute zur Architektur des Historismus stehen.1 Die ausufernde, teilweise unreflektierte Verwendung historischer Stile hatte einstmals Kritik hervorgerufen. Der Stilentwicklung des Historismus und dem stilvermischenden Eklektizismus (s. Kap. Stile in der Äußeren Neustadt, S. 32, insb. S. 47) wurden die ›Schuld‹ dafür gegeben, dass Stile gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend als sinnentleert bis sinnlos erachtet wurden. Dieses Missfallen wurde unter anderem in der Schrift ›Ornament und Verbrechen‹ von Adolf Loos (1908) besonders greifbar: Die ornamentierende Gestaltung wurde als ›schädlich‹ und ›Schaden‹ gebrandmarkt. Diese Kritik und Stigmatisierung nutzte die Moderne, um eine von Dekorationen befreite Formensprache und Baukunst zu etablieren. Anfangs war das Diktum ›form follows function‹ durchaus noch für Gestaltungen offen gewesen, deren Formen auch dekorativer Natur sein durften. Zunehmend hatten sich diese Debatte bzw. der verbale Feldzug gegen das Ornament aber eben jenes Diktums bedient und das Ornament durch ›Funktionalität‹ oder einen auf die Gestaltung abzielenden ›Konstruktivismus‹ befördert. Das Ornament wurde geopfert. Dabei erfreute sich das Ornament noch etwa sechzig Jahre früher großer Beliebtheit: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte der Historismus seine Blütezeit. Viele historische Stile waren entdeckt, Epochen erforscht und für die eigenen Gestaltungsweisen angeeignet und adaptiert worden. Die detaillierte Untersuchung der Bautypen und Stile vertiefte die Kenntnis und verbreiterte das gestalterische Spektrum – eine Erfolgsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Die Verbreitung der Formen durch vielfältige handwerkliche, kunstgewerbliche und industrielle Fertigungsmethoden führte zu einer Flut von Produkten, die Bezüge zu historischen Stilen aufwiesen. Auch ließen sich die Stile kombinieren, Stilelemente neu ordnen oder Elemente neu hinzuerfinden. Da sich Stilmerkmale besonders gut an Formen ablesen und systematisieren ließen, die das Dekor betrafen, führte die historistische Verwendung und Kombinatorik der Formen zu einem Dekorreichtum, dem sich kaum Grenzen setzen ließen. Diese qualitative und quantitative ›Entgrenzung‹ des Dekors und ihrer Stile wurde zunehmend als inflationär empfunden. Zudemwurde sie als sinnfrei und damit als wertlos wahrgenommen, als Entwertung und letztlich sogar als ›Schaden‹ erachtet – nicht zuletzt, weil dieses Ausufernde in der Gestaltung hohe Herstellungskosten verursachte. So schrieb Adolf Loos: »Noch viel größer ist der schaden, den das produzierende volk durch das ornament erleidet. Da das ornament nicht mehr ein natürliches produkt unserer kultur ist, also entweder eine rückständigkeit oder eine degenerationserscheinung darstellt, wird die arbeit des ornamentikers nicht mehr nach gebühr bezahlt.«2 Und: »Ornament ist vergeudete arbeitskraft und dadurch vergeudete gesundheit. So war es immer. Heute bedeutet es aber auch vergeudetes material, und Z U M Gedanken Loos’ oder gedankenlos? Eine polemische Einleitung P R O J E K T

beides bedeutet vergeudetes kapital.«3 Am Ende mündete Loos in der Kritik: »Der moderne mensch verwendet die ornamente früherer und fremder kulturen nach seinem gutdünken. Seine eigene erfindung konzentriert er auf andere dinge.«4 Und in diesem Sinne schätzte er folgerichtig die ›Ornamentlosigkeit‹ als ›zeichen geistiger kraft‹.5 Loos selbst baute amMichaelerplatz in Wien ein ›ornamentloses‹ Haus, das heute als ein wichtiges Werk der Wiener Moderne gewürdigt wird. Der Bautyp und architektonische Aufbau des sog. Looshauses (1910, Abb. 1) ist historischen Auffassungen verpflichtet: Ein Gebäude in Blockrandbebauung mit Sockelgeschoss, symmetrischem Säulenportikus, Fensterachsen, Gebälk- und Dachzone. Allerdings wurden – auf damals skandalöse Weise – die Gliederungselemente auf ihre Grundformen beschränkt und jedwede dekorative Detailform unterdrückt. Am deutlichsten sichtbar ist dies an den Fenstern, die einfach und gerade in die Wände eingeschnitten wurden, keine Rahmungen erhielten und eine typische Lochfassade ausbildeten, wie sie heute in der ›modernen‹ Architektur gewissermaßen Standard sind. In diesem ›Kulturkampf‹, der sich in der Frage des Ornaments zuspitzte, verhärteten sich zusehends die Fronten: Moderne vs. Historismus, Dekorlosigkeit vs. Dekorreichtum bzw. Konstruktion vs. Dekoration. Doch wurde bei der Frage, was hinsichtlich der Dekoration entbehrlich sei, eventuell das Kind mit dem Bade ausgeschüttet? Handelte Loos gedankenlos, als er die Fenster derart formlos gestaltete? Waren die Teile der Fensterrahmung, wie Laibung und Verdachung, wirklich bloß ›Decorum‹ und verzichtbar? Oder wurden nicht solche Verdachungen benötigt, um beispielsweise das Schlagwasser von der Öffnung abzuleiten und waren damit konstruktiv bzw. bauphysikalisch sinnvoll? Oder ist die Sichtbarmachung des Schlagwassers heute Teil der Fassadengestaltung, deren ›fließende Linien‹ der Wasser- und Abb. 1 Adolf Loos: Looshaus Wien, dat. 1910– 1912

8 Schmutzfahnen wir schätzen und deren entsprechenden Algenbewuchs wir als ›vegetabile Formen‹ im Spannungsfeld zwischen Natur und Kultur als besonders wertvoll erachten? Wohl nicht . . . Sicher, diese Gedanken sind überspitzt und nicht zielführend, es sei denn, wir hinterfragen die abgeschafften (historistischen) Dekorationselemente der Architektur: Dabei müsste sich das Überdenken im ersten Schritt noch nicht einmal auf die möglichen sinnstiftenden Gehalte richten, sondern könnte der Frage folgen, welche Rollen die Elemente einst im Bezug zur Konstruktion besaßen. Eine erste Überlegung: Wenn (auch moderne) Architektur im Prinzip das Wechselspiel von Tragen und Lasten verkörpert oder Raum in den drei Dimensionen (Breite, Höhe, Tiefe; x-, y-, z-Achse) Gestalt gewinnt, sind dann nicht die horizontalen und vertikalen Linien und das Maß ihrer Tiefe(nstaffelung) für die jeweilige Architektur determinierend? Wären dann nicht solche vertikalen oder horizontalen Linien Repräsentanten der Konstruktion – letztlich wie auch in Architekturzeichnungen Flächen und Körper durch solche Linien definiert sind? Würden wir stattdessen – wie Loos vorschlägt (s. Kap. Die zwei konstruktiven Prinzipien: Tragen und Lasten, S. 70) – die Vertikale und Horizontale, im Element des Kreuzes (und Koordinatensystems) verbunden, bloß als Ornamente auffassen, würde dies auch bedeuten, die Grundbedingungen der Architektur und ihrer Konstruktionen in Frage zu stellen. Oder aber wir müssten ehrlicherweise das Lineament einer Architekturzeichnung wie eine dekorative, handwerklich geschickte Klöppelarbeit betrachten. Doch Linien bzw. Bauteile, die durch Linien verkörpert werden, können nicht nur dekorativer Natur sein. Eine Sockellinie fungiert wie eine Horizontlinie in einem Gemälde: Ihre Höhe über oder unter dem Augpunkt eines Betrachters legt fest, ob der/die Betrachter:in aus einer Untersicht oder einer Draufsicht auf ein Bauwerk schaut, letztlich ob eine Architektur eher monumental-abweisend oder eher intimzugänglich aufgebaut erscheinen wird. Auch kann eben mit weiteren Linien – wie zu zeigen sein wird – das Wechselspiel der Konstruktion, das Tragen und das Lasten, veranschaulicht werden. Die entsprechenden architektonischen Linien und Ausgestaltungen ihrer Schnittpunkte legen fest, ob eine Architektur eher leicht-sinnlich oder schwer-robust erscheinen wird (s. Kap. Die zwei konstruktiven Prinzipien: Tragen und Lasten, S. 70): Beispielsweise können wir uns davon lösen, dass die dorische Säulenordnung bloß eine historische Dekorform war. Stattdessen könnten wir sie auch als (beste?) gestalterische Möglichkeit schätzen, das Prinzip der Schwere und des Lastens darzustellen (Abb. 2): Das Gebälk ruht auf einer Platte (Abakus) und einem gedrückten Kissen (Echinus) auf, wodurch die Kräfte sichtbar werden. Der Säulenschaft ist stämmig und soll ›kräftig‹ bis ›martialisch‹ wirken. Bei einer griechisch-dorischen Ordnung fehlt der Säule ein zierlicher Fuß. Im Gegenteil dazu steht die korinthische Ordnung (Abb. 3): Ihre Blattkränze und Voluten Abb. 2 Schema einer dorischen Säulenordnung Abb. 3 Schema einer korinthischen Säulenordnung

9 verschleiern sämtliche Kontaktzonen zwischen der vertikalen Stütze und dem horizontalen Gebälk. Die Abakusplatte ist dafür sogar konvex eingezogen und, so gut es statisch geht, entmaterialisiert. Und an genau der Stelle, wo dann doch die Profile von Platte und Gebälk sichtbar aufeinandertreffen und Kräfteübergänge visualisieren würden, werden die Kontaktpunkte hinter Abakusblüten versteckt. Die korinthische Säule erscheint entlastet, wird zierlicher ausgeformt und dadurch sichtbar ›leichter‹ und ›jungfräulicher‹. Wir könnten auf diese Weise die Elemente der Säulenordnungen beispielsweise als Gestaltpotentiale verstehen, die unmittelbar an die Konstruktion rückgebunden wurden. Massive Architekturen können dadurch graziler gestaltet, fragile Konstruktionen dagegen optisch stabilisiert werden. Oder ist ein solches Vorgehen und Verschleiern der wahren Konstruktion ›unwahrhaftig‹? Werden die Betrachter:innen hinsichtlich der ›wahren‹ Verhältnisse der Tektonik getäuscht? Egal wo und wie wir die Grenze zwischen Konstruktion und Dekoration ziehen: Ein Großteil der in der Architekturgeschichte entwickelten Formen und Stile, die wir flächendeckend auch an den historistischen Fassaden der Äußeren Neustadt in Dresden vorfinden, betreffen eben nicht bloß schmückendes Beiwerk, sondern zielen unmittelbar auf die Sichtbarmachung konstruktiver Zusammenhänge zwischen Tragen und Lasten – die, so schmucklos eine Architektur erscheinen mag, zum Kern der Architektur vordringen: Raum (um-) bauen zu können (s. Kap. Effekte der Wirkung, S. 83). Mit einigem zeitlichen Abstand können wir heute ornamental gestaltete Bauwerke und Räume wieder wertschätzen. Wir erkennen den ästhetischen Anspruch, die gestalterischen Absichten, die handwerkliche Arbeit und die Kosten und Mühen, die nicht gescheut wurden, um solche Gestaltungen herzustellen. Wir müssen heute nicht mehr derart kritisch mit dem Historismus ins Gericht gehen und ihn als ›Verbrechen‹ (an) der Stilgeschichte diffamieren. Wir müssen nicht einmal dieses vermeintliche Verbrechen vergeben, sondern können beobachten, was uns heute historistische Gestaltung gibt. Vielleicht müssten wir sogar um Vergebung bitten: Die Architekten der Moderne haben uns auf harsche Weise weisgemacht und dazu verführt, uns vom Ornament zu befreien. Stattdessen sollten wir bereinigte, klare Formen wertschätzen, an der Funktion ausgerichtete Gestaltungen mögen, nach wahrhaftigen und zeitlosen Formen verlangen sowie deren bestenfalls fotogene Ästhetik lieben – u. v.m. Dieses Urteil, dass die Moderne über das Ornament gefällt hat, wirkt bis heute fort. Ist das (noch) gerechtfertigt? Ist das Ornament womöglich zu Unrecht verunglimpft worden? Oder hat es nach über einhundert Jahren die Strafe verbüßt? Können wir heute wieder anders auf ornamentale, historisierende Gestaltungen schauen? Die Frage ist also aus heutiger Perspektive nicht, ob historistische, formreiche Architektur doch schön und irgendwie sinnvoll und deshalb auch achtens- und schützenswert ist, sondern wie mit formsprachlichen Mitteln verfahren wurde, um das spezifische Wechselspiel architektonischer Bezüge sichtbar zu machen. SB

16 In den nachfolgenden Kapiteln werden einige wesentliche historische, städtebauliche und stilgeschichtliche Aspekte angesprochen, die die Äußere Neustadt maßgeblich prägen sollten. Jedes Einzelgebäude ließe sich vor dem Hintergrund diverser Kontexte bewerten: Wann genau wurde es errichtet und in welcher Entwicklungsphase historistischer Baukunst entstand es?Wie verhält es sich zu den Nachbargebäuden? Welche gestalterische Bedeutung hat es im städtebaulichen Zusammenhang der Straße oder eines Platzes? Wie verhält es sich zu baukünstlerischen Leuchtturmprojekten in der Stadt oder im regionalen Vergleich? Hier ist nicht der Raum, um solchen Fragen an Einzelwerken und im Detail nachzugehen. Ein Überblick soll daher in die Thematik einführen. Z U R Ä U S S E R E N N E U S TA DT Zur Geschichte und Gestalt Städtebauliche Rahmenbedingungen In Dresden wurde, mehr als in vielen anderen deutschen Städten, regulierend in den Städtebau eingegriffen. Anspruch war es, der Residenzstadt ein hohes baukulturelles Niveau zu sichern. Geregelt wurden u. a. gestalterische Aspekte wie die Art der Bebauung, Geschosszahl, Fassadenaufbau, Dachformen, Stillage und vor allem ästhetische Qualitäten. SB

17 Stadtteilentwicklung Das Gebiet der Äußeren Neustadt entstand außerhalb der ursprünglichen Festungsanlagen der Residenzstadt Dresden und war im fortifikatorischen Vorfeld zwischen 1700 bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts nur sporadisch besiedelt. ›Der Sand‹, wie das Gelände aufgrund seiner Bodenbeschaffenheit einstmals hieß, wurde seit dem Mittelalter land- und forstwirtschaftlich genutzt. Nur wenige unbefestigte Landstraßen, wie der Bischofsweg, existierten bereits. Ein früher Versuch das Terrain zu besiedeln, erfolgte bereits in der Zeit Augusts des Starken (1670– 1733). Doch erst mit der Schleifung der Festungswerke konnte ab 1809 eine erste Bauetappe eingeleitet werden (Abb. 7).8 Als typische Stadterweiterung des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Äußere Neustadt in vier Bebauungsphasen in unterschiedlichen Teilgebieten. Die für unseren Zusammenhang entscheidende zweite Bauetappe von 1835 bis 1900 setzte mit der Eingemeindung des ›Neuen Anbaus‹ nach Dresden ein. Das Areal, begrenzt durch den Bischofsweg, die Prießnitz-, Bautzner und Königsbrücker Straße, wurde in geschlossener Blockrandbebauung z. T. mit Gebäudezeilen in der Hinterhofsituation bebaut.9 Bis in die 1860er Jahre reglementierte das Innenministerium verstärkt die Bautätigkeit in den Neubaugebieten Dresdens (einschließlich das Gebiet der Äußeren Neustadt), um mithilfe einer flächendeckenden Bebauung ›eine bauliche Zersplitterung‹ der Areale zu vermeiden.10 In dieser Zeit genehmigte der Baupolizeiausschuss fast ausschließlich Pläne, die größere Baukomplexe umfassten.11 Erhöhte Bauaktivität kennzeichnete die Jahre zwischen 1860 und 1900 (Abb. 8).12 FS Bauordnung und Qualitätssicherung Die Dresdner Baubehörde (oder auch städtische Baupolizei) etablierte sich 1831. Die Anfangsjahre bis 1835 waren mangels unzureichender Besetzung und Verwaltung der Behörde von einem recht ungeregelten Aufbau geprägt. Nach 1835 begann eine zweite und wichtige Phase, in der die Behörde weiter untergliedert und die Arbeitsweise durch neue Abteilungen spezialisiert wurde.13 Während über Erfolg oder Misserfolg von Bauanträgen anfangs lediglich Dezernenten entschieden, denen nur technische Gutachten vorlagen, hatte seit 1848 eine gemischte Deputation über die Bauanträge zu urteilen. In den 1850er Jahren bildete sich ein Akademischer Rat, der hinsichtlich gestalterischer Aspekte künftig mitentscheiden sollte.14 Abb. 7 Dresden 1813: Außerhalb der ehemaligen Festungsmauern liegt das noch weitgehend unbebaute Gebiet der heutigen Äußeren Neustadt (Stadtplan, Ausschnitt)

Abb. 8 Dresden 1898: Das Neubaugebiet Antonstadt, heute Äußere Neustadt (Stadtplan, Ausschnitt)

19 Das Dresdner Stadtregiment nahm über Behörden und Verordnungen viel stärkeren Einfluss auf die Gestaltung der Stadt, als dies in anderen sächsischen Städten der Fall war.15 Die Ziele der Stadt- und Landesregierung lagen eindeutig in der Erhaltung des baukünstlerisch hochwertigen Residenzstadtcharakters Dresdens. Dazu wurden auch konkrete Regulative wie gestalterische Verordnungen zu Dachformen (z. B. Mansarddächer) oder Einzäunungen erlassen. Die 1854 gegründete Bau- und Verschönerungskommission hatte zudem zwei entscheidende Aufgaben: ›geschmackvolle Bauten‹ zu fördern und die Errichtung von Bauten, die gegen den ›ästhetischen Geschmack verstoßen‹, zu verhindern.16 Zu den prägenden Persönlichkeiten und Hauptakteuren gehörte neben Gottfried Semper (1803– 1879) in seiner Rolle als Professor an der Dresdner Bauakademie auch Georg Hermann Nicolai (1811 – 1881). Die Architektengruppe der sog. SemperNicolai-Schule wirkte bis zum Tod Nicolais 1881 gestalterisch und stilistisch auf das Erscheinungsbild der Stadt Dresden.17 Gleichzeitig ist für die Mitte des 19. Jahrhunderts ein überregionaler Trend zu verzeichnen, infolgedessen der ›verantwortungsbewußte Architekt [. . .] durch den nach bloßem Geldverdienen strebenden Unternehmer verdrängt‹ wurde.18 In der Folge übernahmen Architekturfirmen die Planung der Wohnhäuser. Fassadenwurden zumMassenprodukt nach Katalog. Auch an Dresden dürfte dies nicht vorbeigegangen sein, jedoch wirkten diesem Trend die Semper-Nicolai-Schule und andere Dresdner Architekten entscheidend entgegen.19 FS Struktur der Äußeren Neustadt Die heutige Erscheinung des Wohngebietes ist quartiermäßig. Das rasterförmige Straßennetz setzt sich aus Haupt- und Nebenstraßen zusammen. Die Königsbrücker und Bautzner Straße haben als Ausfallstraßen und Handelswege – ähnlich wie der Bischofsweg als Reiseweg vom Abb. 9 Bischofsweg 60: Der aufwändig gestaltete Mittelrisalit erinnert in seinem Aufbau stark an den Mitteltrakt der Sempergalerie Abb. 10 Bischofsweg 64: Für das Dekor können sowohl die Renaissance als auch der Barock und Rokoko als vorbildlich angesehen werden

20 Bischofssitz in Meißen zur Bischofsburg Stolpen – ihren Ursprung imMittelalter. Die Anlage weiterer Straßen erfolgte maßgeblich im 18. Jahrhundert und wurde im 19. Jahrhundert zum Raster verdichtet. Hinsichtlich der Bebauung fällt auf, dass Nebenstraßen (Böhmische, Sebnitzer oder Förstereistraße) eine schlichtere Bebauung erhielten, kontrastierend zu den opulenteren Fassadengestaltungen entlang der Hauptachsen (Bischofsweg, Bautzner und Königsbrücker Straße; auch Louisen- und Rothenburger Straße), die das ›tragende städtebauliche Gerüst‹ der Äußeren Neustadt bilden.20 Vor allem die Königsbrücker Straße 54–62 oder die aufwändig gestalteten Schaufassaden des Bischofswegs 30 und 60–64 (Nr. 60 Abb. 9, Nr. 64 Abb. 10) belegen dies. Dabei sticht die Königsbrücker Straße 56 (Abb. 11) als eines der formreichsten Mietshäuser der Äußeren Neustadt in besonderer Weise hervor. Für den Bischofsweg ist hervorzuheben, dass diese Hauptstraße entlang des Alaunparks nur einseitig bebaut wurde – mit Blick auf den ehemaligen Exerzierplatz unterhalb des überragenden, nicht erhaltenen Repräsentationsbauwerks der Schützenkaserne. Hier ging es in besonderer Weise um ›Sehen und Gesehen werden‹ – auch die Architektur betreffend. Den stärksten Kontrast zu den repräsentativen Fassaden der Hauptstraßen bilden die explizit für die Arbeiterschicht errichteten Reihenhäuser der Sebnitzer Straße 27 –31 (Architekt Hermann August Richter, Vertreter Semper-Nicolai-Schule; Abb. 12). Bis auf hervorgehobene, einfache Fensterrahmungen und reduzierte Gesimsformen wurde auf jegliche Gestaltung der Fassaden verzichtet. Als Bauten eines Wohltätigkeitsvereins stellen sie innerhalb der Äußeren Neustadt eine Ausnahmeerscheinung dar, da vor 1900 sozialer Wohnungsbau eher privaten Initiativen überlassen wurde.21 Städtebauliche Akzente bilden Eckbebauungen. Aufgrund ihrer Abschluss- und Scharnierfunktion angrenzender Straßenzüge weisen sie häufig aufwändige/re Gestaltungen auf und bilden einen besonderen ›städtebaulichen Reiz des Wohngebietes‹, bieten Orientierung und geben der Struktur enormen Halt.22 Trotz ihrer exponierten Stellungen weisen die Eckgebäude – je nach Haupt- oder Nebenstraßenlage – nicht die gleiche Qualität auf. An den Ecken Förstereistraße (Nr. 44 Abb. 13) und Bischofsweg (Nr. 18 Abb. 14) stehen sich zwei konträre Fassaden gegenüber. Bereits die Sockelzonen der ähnlich gestalteten Baukörper heben sich gestalterisch voneinander ab. Während an der Förstereistraße 44 mithilfe durchlaufender Bänder im Verputz lediglich eine Art Rustika artikuliert wurde, weist die Sockelzone des Bischofswegs 18 eine kräftige Bossierung mit vereinzelten Diamantierungen auf. Die Fensterbekrönungen der Förstereistraße 44 beschränken sich auf wenige Dreiecksgiebel mit eingefassten Abb. 11 Königsbrücker Straße 56: Die Fassade weist eine durchdringend neobarocke Gliederung auf

Abb. 12 Hermann August Richter: Einfache Reihenhäuser für die Arbeiterschicht, Sebnitzer Straße 27–31 Abb. 13 Förstereistraße 44: Die Eckbebauungen erhielten meist eine gesonderte Gestaltung mit abgeschrägter Ecke und einem zusätzlichen turmartig wirkenden Geschoss Abb. 14 Bischofsweg 18: Durch den Anbau eines Erkers wird die Eckstellung noch stärker betont

52 Dieses Kapitel hätte ›Veränderungen, Zustand und Quellenlage‹ heißen können. Dann wäre an der Bausubstanz darzustellen gewesen, was sich am Bestand und der Gestaltung verändert hat. Hier soll allerdings der Fokus darauf gelenkt werden, dass bestimmte Akteure und Motivationen solche Veränderungen bedingt haben und sich diese auf verschiedene Weise an den Bauwerken als Primärquellen und in den Archivalien und Literaturen als Sekundärquellen nachvollziehen lassen. Sämtliche Zeugnisse repräsentieren damit Aspekte des Umgangs, der Aneignung und Erschließung der baulichen Überlieferung. SB Zur Untersuchung Wichtig ist zu erwähnen, dass die nachfolgende Untersuchung mit großen Lücken und Unschärfen umgehen muss: Je größer und allgemeiner die Gestaltaspekte sind, die in den Blick genommen werden, umso sicherer ist das Terrain; je kleiner und spezifischer diese Betrachtungsgegenstände sind, umso unsicherer wird das Fundament der Beurteilung. Zur stadtgeschichtlichen und städtebaulichen Entwicklung der Äußeren Neustadt lässt sich vergleichsweise Verlässliches aussagen, zur architektonischen Fassadengestaltung ebenfalls. Unsicherer wird es bei Fragen der Materialität, wie der Beschaffenheit und dem reliefhaften Aufbau Umgang im Laufe der Zeit

53 der Fassadenputze. Noch weniger wissen wir über die Farbmaterialien und Farbgestaltungen, mit denen sich die Häuser den Betrachter:innen vor 1900 präsentierten. Insofern ist die Untersuchung nicht allein den Weg gegangen, die greifbaren Informationen und Fakten aus den Schriftquellen zusammenzutragen, sondern die Hauptaufgabe bestand darin (wie in späteren Kapiteln zu zeigen sein wird), aus der aufmerksamen Betrachtung der Fassadengestaltungen selbst Rückschlüsse auf die einstigen farblichen Behandlungen zu ziehen. SB Zerstörung und Sanierungsgeschichte – eine Einschätzung Während im Jahr 1945 fast die gesamte Innenstadt Dresdens durch die Bombardierungen des ZweitenWeltkriegs zerstört wurde, blieb das Gebiet der Äußeren Neustadt größtenteils verschont. Die typische Grundrissstruktur eines »rasterförmig aufgebaute[n] Straßensystem[s] und geschlossener Quartierbebauung [. . .] [sowie die] Formensprache des Historismus, dessen Stilphasen von der spätklassizistischen Schlichtheit über Anleihen aus Gotik, Renaissance, Barock bis zumJugendstil vertreten sind«,61 bieten einen großen Originalbestand als gute Grundlage für weiterführende Analysen. In der Nachkriegszeit standen allerdings nur wenig finanzielle Mittel zur Verfügung, die zudem vorrangig für den Wiederaufbau der zerstörten Stadtteile, aber insbesondere für neuen Wohnraum (in Neubaugebieten) benötigt wurden. Durch Vernachlässigung des Reparaturbedarfs über Jahrzehnte hinweg verfielen auch die Gebäude der Äußeren Neustadt zusehends. Doch nach derWiedervereinigung Deutschlands konnte das Gebiet auf Initiative der IGÄußeren Neustadt in den 1990er Jahren als erstes Sanierungsgebiet Dresdens festgelegt werden.62 Die Sanierungsarbeiten, welche die Gebäude und den Stadtraum, auch soziale Wohnverhältnisse sowie Infrastrukturmaßnahmen umfassten, sind weitgehend abgeschlossen. Besonders in der ersten Phase der Sanierungen musste innerhalb kürzester Zeit ein hohes Pensum an Projekten realisiert werden. Hauseigentümer:innen wurden dabei vom Stadtplanungsamt, der Unteren Denkmalschutzbehörde und der STESAD GmbH63 begleitet und unterstützt, um die Sanierungen unter Berücksichtigung satzungsmäßiger und denkmalpflegerischer Kriterien durchzuführen. Die dafür in der Unteren Denkmalschutzbehörde eingereichten Anträge übertrafen die personellen Kapazitäten jedoch bei weitem, so dass Ortsbesichtigungen damals nicht in jedem Fall möglich waren. Nicht zuletzt aufgrund dieses immensen Sanierungsdrucks unterblieben häufig restauratorische Bestandsuntersuchungen, beispielsweise auch Untersuchungen oder Dokumentationen zur historischen Fassadenfarbigkeit. Das Stadtplanungsamt konnte einen Großteil der Gebäude im Vorhinein besichtigen und den Hauseigentümer:innen denkmalgerechte Sanierungen empfehlen.64 Die rechtlichen Grundlagen mussten dafür klar definiert werden, denn in der Übergangszeit der frühen turbulenten ›Wendejahre‹ hatten übergangsweise noch die Denkmalschutzgesetze der DDR ihre Gültigkeit behalten. KM Archivlage, Quellen und Zeugen Die für die Neustadt zuständigen Denkmalpfleger der Unteren Denkmalschutzbehörde gaben Einblicke in ihreArbeit und den Umgang mit den Objekten der Äußeren Neustadt. Soweit möglich, konnten Bestandsuntersuchungen und Sanierungsdokumentationen ausgewertet werden. An ausgewählten Objekten ließen sich spezifische Aspekte des denkmalpflegerischen Umgangs vertiefen. Im Unterschied zur fallbezogenen Aktenablage in der Unteren Denkmalschutzbehörde sind die Akten und Dokumentationen der abgeschlossenen Sanierungen im Landesamt für Denkmalpflege systematisch nach Adressen erfasst. Pandemiebedingt waren Akteneinsichten jedoch nicht möglich, glei-

54 ches galt für die Bauaktenregistratur. Daher konnten die Untersuchungen nicht abgeschlossen werden und bilden gewissermaßen einen vorläufigen Stand ab. Im Stadtarchiv Dresden konnten nur in begrenztemMaße relevante Akten ausgehoben und eingesehen werden. Über REVOSax war ein Zugriff auf das Sächsische Denkmalschutzgesetz (SächsDSchG) in der Fassung von 1993 und 2020 möglich. Über die Internetseite der Stadt Dresden konnte die Sanierungssatzung sowie das Erneuerungskonzept für das Sanierungsgebiet Äußere Neustadt (2. Fortschreibung) abgerufen werden. Der Zugang zum Stadtteilhausarchiv war in begrenztem Umfang möglich. Von Interesse ist dort der Bestand an Fotografien zur Äußeren Neustadt, welche – oft sogar in Farbe – zumeist den Vorsanierungszustand zeigen. Allerdings sind die Gebäude nicht systematisch nach Straßenzügen erfasst, sondern zeigen einzelne Fassaden oder Fassadenausschnitte. Ein deutlich umfangreicherer Bestand an S/W-Fotografien der Vorsanierungszeit findet sich in der Deutschen Fotothek der SLUB Dresden. Das Projekt ›Dokumentation der Bau- und Kunstdenkmale auf dem Gebiet der ehemaligen DDR‹ wurde von der Deutschen Fotothek sowie dem Bildarchiv Foto Marburg realisiert und durch die Volkswagenstiftung gefördert. Der Fotograf Michael Weimer war beauftragt worden, die gesamte Äußere Neustadt zu fotografieren, sodass nahezu von jeder Fassade mindestens eine Gesamtansicht und zusätzliche Detailansichten vorliegen. Die STESAD, welche die Sanierungsprojekte koordinierte, dokumentierte die Zustände vor und nach der Sanierung ebenfalls fotografisch. Dieser Bestand konnte nicht eingesehen werden. Ferner besitzt das StadtmuseumDresden einen Bestand historischer Fotografien der Äußeren Neustadt aus dem 19. Jahrhundert, welche meist im Zusammenhang mit den Arbeiten des Tiefbauamtes entstanden waren. Von einigen gezielt angefragten Adressen konnte für die Louisenstraße 72 eine aufschlussreiche historische Postkarte gefunden werden. Eine Onlinesuche nach historischen Postkarten blieb leider ergebnislos, da sie meist Plätze, Straßenfluchten oder Veranstaltungen zeigen, die wenig Aufschluss über einzelne Fassaden geben. Im Verlauf der Recherchen konnten zudem Kontakte zu verschiedenen Zeitzeugen der Sanierungszeit hergestellt werden. In diesemZusammenhangwurden die betreffenden Personen interviewt, die Gespräche mit deren Einverständnis aufgenommen und anschließend transkribiert. Wir führten Gespräche mit Dietrich von Loh, dem ehemaligen Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde, welcher das Sanierungsgeschehen aus seinen Erinnerungenwiedergab; mit Iduna Böhning-Riedel, die von einer ›Instand-Besetzung‹ in der Böhmischen Straße 34 durch junge Künstler, den Kauf des Gebäudes durch den Kunstverein Raskolnikow und einer ›sanften‹ Sanierung berichten konnte; und Sabine Förster, die Einblicke in die Sanierungsarbeiten im Rahmen des Wohnprojektes Amselhof in der Böhmischen Straße 29/31 gab. In der SLUB fand sich zudem das Anton-Magazin, eine Stadtteilzeitung, welche die Sanierungen der 1990er Jahre kritisch bis polemisch begleitete. KM Recherche Die unterschiedlichen Repositorien und Zugänglichkeiten erforderten eine angepasste Suche. Daher war es wichtig, vorab eine inhaltliche Eingrenzung und einheitliche Schlagworte zu definieren. Diesbezüglich wurden Schlagworte wie ›Äußere Neustadt‹, ›Sanierungsgebiet Äußere Neustadt‹, ›Fassaden‹ sowie einzelne Straßennamen65 (teils mit Hausnummer) des zu bearbeitenden Gebietes festgelegt. Hinsichtlich der Zeitstellung wurde zwischen dem Bebauungszeitraum von 1850– 1900, dem Bestand zwischen 1900– 1990 und der Sanierungszeit ab 1990 unterschieden. Nach ersten Sondierungen wurden konkrete Quellen gehoben und ausgewertet: Neben Akten mit Beschlüssen, Plänen und Zeichnungen aus der Bauzeit zwischen 1850 und 1900, wurden in erster Linie Sanierungs­

55 beschlüsse sowie Berichte über die Sanierung konkreter Objekte gesichtet. Dabei waren ausschließlich die Fassaden von Interesse: Andere Bereiche wie Hinterhofsituationen oder Innenräume wurden vernachlässigt. Fotografien konnten nur berücksichtigt werden, wenn das Objekt genau benannt und die Aufnahme (ungefähr) datiert war. Zudem sollte ein signifikanter Teil der Fassade sichtbar sein. Historische Fotografien wurden mit aktuellen Fotografien des Baubestandes von 2020 bis 2022 abgeglichen. Nur in seltenen Fällen fanden sich konkrete Informationen zur Farbigkeit: Für die Görlitzer Straße 45 war beispielsweise gefordert, die Farbigkeit abzustimmen und gedeckte Farben im Sandsteinspektrum zu verwenden. Zudem wurde angemerkt, dass der Zustand des Gebäudes derart schlecht sei, dass nur die Fassade und das Treppenhaus bestehen bleiben könnten.66 Für die Jordanstraße 28 wurde keine Farbuntersuchung unternommen, »laut Akte ist es 1999/2000 zu einem unpassenden, nicht genehmigungsfähigen Anstrich ohne Abstimmung mit der Denkmalbehörde gekommen« (s. Kap. Musterhafter Sanierungsverlauf, S. 65).67 KM Objektauswahl Wie bereits erläutert, war für die Quellenrecherche eine konkrete, komprimierte Objektliste notwendig, um aussagekräftige Quellen zu finden. Zu Beginn des Projektseminars standen knapp 300 Objekte in einemGebiet von 87,5 ha zur Auswahl, welche die Kriterien der Bauzeit und Grundanforderungen hinsichtlich der erhaltenen Bausubstanz und Fassadengestaltung erfüllten. Zunächst wurden Übersichtslisten der gesichteten Objekte und Quellen erstellt, auf welche alle Arbeitsgruppen zugreifen konnten. Aufgeführt waren die vorhandenen Fotografien der Vorsanierungszeit in der Deutschen Fotothek, mit Vermerk über Ansicht und Datierung sowie der URLAdresse. Darüber hinaus wurden die im Stadtarchiv Dresden gesichteten Akten benannt und deren Inhalt knapp wiedergegeben, sodass eine zusätzliche Sichtung vereinfacht werden konnte. Alle gesichteten Akten, Bestandsuntersuchungen und Fotografien wurden tabellarisch erfasst und die Objekte nach Straße und Hausnummer geordnet, Bauzeit, historische Fotos, Bestände bis 1990 und der nachfolgenden Sanierungszeit sowie Fotografien aus der Deutschen Fotothek und dem Stadtteilhausarchiv vermerkt. So sollte sichtbar werden, zu welchen Objekten eine besonders vielversprechende Quellenlage zur Verfügung stand. Im nächsten Schritt wurden die Fotografien der Vorsanierungszeit von Michael Weimer mit dem aktuellen Bestand verglichen, um Veränderungen festzustellen. Dies betraf ausgewählte Objekte der Straßenzüge Alaunstraße, Bischofsweg, Förstereistraße, Görlitzer Straße, Jordanstraße und Kamenzer Straße. Ein gesonderter Fokus wurde auf Objekte mit größeren Verlusten und fragwürdigen Farbigkeiten gelegt: z. B. Jordanstraße 15 oder Görlitzer Straße 47. Deutliche Verluste von Fassadenelementen ließen sich exemplarisch für die Kamenzer Straße 10 und 34 nachweisen. Beispielhaft wurden auch der Bischofsweg 70 und die Jordanstraße 28 untersucht und bearbeitet. Beide Fassaden weisen, durch historische Fotobelege nachweisbar, starke Veränderungen von Architektur und Farbigkeit auf. Für die Jordanstraße 28 existiert zudem ein Vermerk in den Unterlagen der Unteren Denkmalschutzbehörde (s. Kap. Recherche, S. 54). Eine zentrale Frage war, in welchem Umfang und welcher Form Fassaden durch die Sanierungen verändert wurden. Dabei gilt es nicht nur zu unterscheiden, welcheAuswirkungen die baulichen Veränderungen auf die Wirkung der Fassaden nach sich zogen, sondern auch unter welchen Umständen diese Veränderungen vorgenommen wurden. Die ausgewerteten Akten, Rechtsgrundlagen und Fotografien sollen entsprechenden Aufschluss darüber geben und als Ergebnisse der Quellenrecherche zusammengefasst werden. KM

68 Architektur wirkt und spricht uns an. Die Gebäude können sich dabei durch sehr unterschiedliche architektursprachliche Mittel äußern. Um die Bandbreite architektonischen Sprachvermögens darzustellen, wäre es natürlich geeigneter, unterschiedliche Bauwerke und Gestaltungen zu vergleichen. Die Bandbreite der geschlossen wirkenden Bebauung der Äußeren Neustadt Dresdens aufzuzeigen ist dagegen etwas schwieriger: Die Fassaden gleichen sich im Grunde: Sockelzone, drei bis vier Geschosse, regelmäßige Fenster- und Portalachsen, Traufgesims, Mansarddach mit Gaupen. Dennoch unterscheidet sich das Sprachvermögen: Von der Königsbrücker Straße ausgehend verändert sich im Zuge der Louisenstraße bis zur Prießnitzstraße der Charakter merklich. Es ist sinnvoll sich vor Augen zu führen, wie etwas wirkt: monumental, abweisend, einladend, intim oder anders. Davon ausgehend wäre immer zu fragen, was die Architektur konkret ›macht‹, um genau diese Wirkung zu erzeugen. Die nachfolgenden Kapitel gehen daher der Frage nach, welche Gestaltaspekte sich beobachten lassen und welche Wirkungen sie dabei erzeugen. Letztlich führt eine solche Herangehensweise zu der Frage, ob bzw. inwieweit die Farbgestaltungen genau diese offenbar absichtsvollen Formwirkungen unterstützt haben könnten. Prinzipien der Gestaltung Der historistischen Architektur wird bisweilen vorgeworfen, sie hätte sich wahllos diverser Stilelemente bedient und kompiliert. Doch trotz scheinbar größter Freiheit hielten sich historistisch bauende Architekten an Grundprinzipien: Die Fassadengestaltungen offenbaren einen Gleichklang im Umgang mit vertikalen Achsen und horizontalen Linien. Dieses ›Raster‹ ist aber nicht bloß ein Ordnungsschema, um weitere Stil- und Dekorelemente zu integrieren. Die Ordnung der Vertikalen und Horizontalen brachte auf vielgestaltige und zum Teil subtile Weise das Verhältnis zwischen Tragen und Lasten zum Ausdruck: Dadurch waren festere, massivere oder leichtere bis beschwingte Gestaltungen möglich. Dies führte im Einzelnen zu sehr unterschiedlichen Fassadenwirkungen und trug insgesamt zu einer enormen Abwechslung und Belebung der Straßenzüge bei. SB F O R M G E B U N G Z U R Architektur: Gestaltung und Wirkung

69 Klinkerfassaden als Studienobjekt Die Äußere Neustadt besitzt einen enormen Vorteil: Etliche ihrer späthistoristischen Fassaden wurden durch Klinkermauerwerk errichtet, d. h. viele Fassadengestaltungen wurden in Kombination von Sandsteinelementen und gemauerten Klinkerflächen aufgebaut. Diese Fassaden besitzen daher keine Putzflächen, deren Farbfassungen sich durch Neuanstriche ändern konnten. Auch wurden bei diesen witterungsbeständigen Klinkerfassaden keine Oberflächen entfernt, ausgetauscht und wenn überhaupt, nur geringfügige Veränderungen vorgenommen. Die Festigkeit und Beständigkeit des Klinkermaterials bestimmen auch die Wirkung dieser Fassaden: Sie wirken von vornherein fester und stabiler – waren und sind es auch, so dass ihre architektonischen Gestaltungen bis heute authentischer jene Wirkungen vermitteln, die ihnen mit der Errichtung zugedacht waren. Um zu untersuchen, wie historistische Fassaden (in der Äußeren Neustadt) im Originalzustand ausgesehen haben, ist es sinnvoll, die Klinkerfassaden genauer in den Blick zu nehmen: An ihnen lässt sich studieren, wie durch Materialwechsel, Schichtenaufbau und Fassadenrelief bestimmte Zusammenhänge erzeugt wurden, die dadurch die künftigen Wirkungen bestimmten. Wer somit wissen möchte, wie ggf. veränderte Putzfassaden einst ausgesehen haben, sollte zunächst nach Klinkerfassaden Ausschau halten, die möglichst im Aufbau des Baukörpers und in der Detaillierung die größten Übereinstimmungen aufweisen (Förstereistraße 21, Abb. 93; Sebnitzer Straße 7, Abb. 94). Insgesamt ist zu beobachten und zu beachten, dass der Detaillierungsgrad bei Sandstein-Klinker-Fassaden häufig größer ist als bei Putzfassaden. Klinkerfassaden sind wertiger, kostbarer und waren bei ihrer Errichtung auch kostspieliger. SB Abb. 93 Ausschnitt der Förstereistraße 21: Klinkerfassaden wurden in der Regel nachträglich nur wenig verändert Abb. 94 Sebnitzer Straße 7: Die historistische Idee der Fassadengestaltung ist an Klinkerfassaden besonders gut nachvollziehbar

70 Die zwei konstruktiven Prinzipien: Tragen und Lasten Adolf Loos formulierte in seinem Aufsatz ›Ornament und Verbrechen‹ Folgendes: »Das erste ornament, das geboren wurde, das kreuz, war erotischen ursprungs. [. . .] Ein horizontaler strich: das liegende weib. Ein vertikaler strich: der sie durchdringende mann.«103 Das Vertikale wird hier mit dem ›männlichen‹ Prinzip assoziiert, das Horizontale mit dem ›Weiblichen‹. In dem Zusammenspiel beider Prinzipien äußert sich das, was man als göttlich, als vollkommen usw. beschreiben könnte. Für uns ist an dieser Stelle zunächst nur wichtig, die Vollkommenheit einer architektonischen Gestaltung imGrundgerüst auch in dem Zusammenspiel horizontaler und vertikaler Elemente zu suchen. Im konstruktiven Aufbau ist eine Architektur zudem nur vollkommen, wenn sie (sich) trägt, wenn sie festgefügt, stabil und standsicher ist. Der antike Architekturtheoretiker Vitruv nannte diese architektonische Hauptanforderung firmitas (Festigkeit). Dabei geht es schlicht um vertikale Wände und Stützen, die in der Lage sind, aufgrund ihrer materiellen und körperlichen Beschaffenheit, horizontal gelagerte Decken und Gebälke, Bögen und Gewölbe zu tragen. Erst durch dieses Zusammenspiel von vertikal tragenden und horizontal lastenden Elementen können Räume und Architekturen entstehen. Es war und ist daher naheliegend, die Architekturgestaltungen aus diesen Prinzipien abzuleiten: Dabei besteht die Möglichkeit, diese in der Architektur wirkenden Prinzipien durch die Gestaltung bewusst sichtbar zu machen oder eben nicht, indem das konstruktive Zusammenspiel beispielsweise durch die Gestaltung unterdrückt oder durch das Dekorum versteckt wird. Die historische Architektur der Antike, des Mittelalters bis zum Barock und Klassizismus war mit ihren Pfeilerstellungen, Dienstsystemen und Säulenordnungen von der Idee des ›Tragens und Lastens‹ durchdrungen. So war es in der Baukunst des Historismus, die diese historischen Stile und Gestaltungen revitalisierte, geradezu folgerichtig, dass dieses Zusammenspiel von tragenden und lastenden Teilen, von vertikalen und horizontalen Gliederungen, die historistische Architektur bestimmen würde. Wir müssen diesbezüglich jedes Fassadenteil, jedes Architekturglied und Baudetail hinsichtlich dieser Zugehörigkeit zu den Prinzipien untersuchen. Wir können dabei feststellen, dass alle Elemente in diese Gefüge tragender und lastender Teile eingebunden sind: Mal werden die Vertikalen stärker betont, mal die Horizontalen. Wir müssen jedoch nicht so weit gehen, eine Fassade, bei der horizontale Betonungen überwiegen, als ›weibliche‹ Gestaltung zu bezeichnen und eine vertikal betonte entsprechend als ›männlich‹. Wir können uns diese Zusammenhänge jedoch merken, denn es wird dadurch verständlicher, warum die eine Architektur ggf. leichter, graziler und sinnenfreudiger wirkt, eine andere dagegen etwas schwerer, kräftiger oder gar martialisch. SB Die drei gestalterischen Prinzipien: Horizontale, Vertikale und Tiefe Betrachtet man die Gebäude der Äußeren Neustadt, fällt dementsprechend auf, dass die Fassadenflächen, wie eben beschrieben, in horizontaler und vertikaler Ebene gegliedert wurden. Doch durch einzelne Bauelemente wie Gesimse, Sockel, Gebälke, Pilaster, Fensterrahmungen, Balkone etc. – die zu den prägenden Fassadenelementen der Äußeren Neustadt gehören104 – lassen sich die Häuserfronten nicht nur in horizontaler und vertikaler Hinsicht beschreiben. Wie zu zeigen sein wird, erfolgte mit den Elementen auch eine Gliederung in der Tiefe. Wie Kulissen in einem Theater können wir die Fassaden als in die Tiefe gestaffelte Gestaltungen wahrnehmen (s. Abb. 11 – 12). Diese drei Richtungen, in der Vertikalen, in der Horizontalen und in der Tiefe, sind die wesentlichen Grundmerkmale der historistischen Fassadengestaltungen und der nachfolgenden Betrachtungen.

71 Um das gesamte Konzept zu verstehen, ist es wichtig, nicht nur die einzelnen Fassaden der Häuser der Dresdner Neustadt zu betrachten, sondern auch die unmittelbar an sie anschließenden Gebäude. Viele Bauten gehen mit ihren Nachbarhäusern einen Verbund ein und sind daher nicht ausschließlich als einzelnes, für sich stehendes Bauwerk zu betrachten. Mit den erstellten zweidimensionalen Schemata gelingt es, die Gliederungen in der Horizontalen oder Vertikalen darzustellen. Es ist wichtig zu wissen, dass die Betonung der horizontalen Zonen und vertikalen Achsen nicht als ›Reinformen‹ der Gestaltung zu sehen sind: Die senkrechten und waagerechten Gestaltungselemente schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern können teils mehr, teils weniger deutlich ineinandergreifen. Jede Fassadengliederung ist daher als ›Zusammenspiel‹ von Horizontalen und Vertikalen zu sehen. Vielfach werden durch Strukturelemente, wie Fensterrahmungen, horizontale Gurtgesimse, vertikale Pilaster u.v.m. eine gestalterische ›Ausgewogenheit‹ bzw. eine Balance erreicht, die in einem gewissen Spielraum mal mehr das Horizontale, mal mehr das Vertikale betonen kann. Allein schon städtebaulich ist es nachvollziehbar, dass Eckgebäude vorzugsweise vertikale Betonungen, in lange Fluchten integrierte Fassaden eher horizontale Gliederungen erhalten konnten. SB/ME / LJ Gestaltungselemente und -modi Die folgenden Abschnitte stellen die horizontalen und vertikalen Gliederungselemente im Einzelnen vor. Anschließend werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie solche Gliederungselemente in einem Fassadenaufbau zusammenwirken können oder auch über mehrere Fassaden imVerbund stehen, um größere architektonische Zusammenhänge auszubilden. SB Horizontale Gliederungselemente | Sockel/Rustizierungen: Die Erdgeschosszonen der Fassaden wurden in großer Zahl mit Sockelgestaltungen aus Werksteinmauerwerk gestaltet. Die Sockelzonen sind horizontal gelagerte Gestaltungselemente, die sich insbesondere durch das Zusammenwirken in den Straßenfluchten bemerkbar machen. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die oft flächendeckende Natursteinqualität mit zumeist kräftigen Rustizierungen oder gar roh wirkendem Bossenmauerwerk: Horizontale Fugenbilder wurden oft tief in die Oberflächen eingeschnitten, die so das ruhende Lagern des schweren Steinmaterials verdeutlichen. | Gebälke/Traufgesimse: Eines der horizontalen Hauptelemente ist das Gebälk oder Gesims, das unterhalb der Dachtraufe die Fassadenfläche oben abschließt. Regelrechte Gebälke, dreigeteilt mit Architrav, Fries- und Gesimszone, zeichnen sich durch eine enorme Mächtigkeit aus. Es handelt sich um ein horizontales Fassadenelement, dass kräftig gestaltet, mitunter weit ausladend und auflastend die Fassade wie eine Kopfzone abschließt. Bei historistischen Fassaden wurde diese Gebälkform häufig etwas vereinfacht: Der eigentliche Architrav als untere Zone des Gebälks wurde nicht selten als mäßig kräftiges Gesims ausgebildet. Abb. 95 Kamenzer Straße 45: Das kräftige Gesims aus Sandstein schließt die Fassadenfläche ein und bietet Halt

88 Anders als Klinkerfassaden wurden bei Putzfassaden die geputzten Oberflächen nachträglich mit Farbanstrichen versehen. Anstriche wurden aufgetragen und dadurch die Wirkung der Fassaden beeinflusst, wodurch sich jene durch die Architekturgliederung vorbestimmten Fassadenwirkungen verstärken oder auch abmildern ließen. SB ZumMissverständnis der Farbgebung Einer der gravierendsten ›Fehler‹ bei Fassadenanstrichen entsteht, wenn sämtliche Putzflächen mit einem einzigen Farbton gestrichen werden. Vor dem Hintergrund finanzieller Zwänge mag es verständlich sein, den Mehraufwand zu meiden, mit Malerfirmen mehrere Farbtöne abzusprechen und abzustimmen, mehrere Farbtöne abmischen zu lassen, um sie in getrennten Arbeitsgängen aufzutragen – doch wird ein solches reduziertes Vorgehen den Fassadengestaltungen in keiner Weise gerecht. Der reiche und differenzierte Umgang der architektonischen Gestaltungen sollte uns in bester Weise herausfordern, in gleicher Weise über einen differenzierten – und was die Wirkungen anbelangt differenzierenden – Umgang nachzudenken. Zu beachten wäre beispielsweise, dass sich etliche Flächen mit Putzauftrag optisch viel stärker mit den Sandsteinelementen der Architekturgliederung verbinden sollten und aus diesem Grund nicht selten auch mit Sandsteintönen gestrichen wurden. Im Prinzip ist davon auszugehen, dass man eine Fassade, bei der sämtliche Putzflächen mit einem ›eintönigen‹ Farbanstrich versehen wurden, farblich ›falsch‹ behandelt hat. SB Fehler in der Gestaltung Kaum eine geputzte Fassade der Äußeren Neustadt weist heute eine Farbgestaltung auf, wie sie im späten 19. Jahrhundert ausgesehen haben dürfte. Bei genauerer Betrachtung erweist sich, dass die Putzfassaden fast durchweg gestalterische Fehler aufweisen, die durch die Farbfassung verursacht wurden. | Fehler 1: Am deutlichsten tritt das Missverständnis histori(sti)scher Architektur zu Tage, wenn die Fensterverdachungen (Gesimse, Dreiecks- oder Segmentbogengiebel) ohne Kontakt frei über den Fensterrahmungen zu schweben scheinen. Zwischen Rahmungen und Verdachungen wurden bei Sanierungen zumeist die Putzflächen glatt hindurchgezogen undmit demFassadenfarbton gestrichen. Was fehlt bzw. verloren ging, sind die Spiegel, die sich dort befunden haben. Man muss sich in der Regel dort leicht erhabene Putzflächen vorstellen, die dann mit einer ›Steinfarbigkeit‹ gefasst wurden, um so den gestalterischen F A R B G E B U NG Zur Farbfassung von Putzfassaden Z U R

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1