Leseprobe

21 »Eingeschlossen in die Einsamkeit bereitet das Wesen der Leidenschaft seine Ausbrüche oder seine Unternehmungen vor. Und wenn alle Räume unserer Einsamkeit hinter uns zurückgeblieben sind, bleiben doch die Räume, wo wir Einsamkeit erlitten, genossen, herbeigesehnt oder verraten haben, in uns unauslöschlich.« Gaston Bachelard, Poetik des Raumes Im Oktober 2013 begegnete ich Ben Willikens das erste Mal persönlich. Durch den unverwechselbaren Stil seiner Malerei und die Sonderstellung, die er unter denMalern und Malerinnen seiner Generation einnimmt, waren mir seine Werke schon vertraut. Anlass für unser Treffen imSCHAUWERKwar die Präsentation seiner Arbeit Raum 348 aus dem Jahr 2003, die Peter Schaufler und Christiane Schaufler-Münch im selben Jahr erworben hatten (Abb. S. 218/219). Das Bild war Teil der Sammlungspräsentation INCONTRI, einer Begegnung mit der zeitgenössischen Kunst Italiens (Abb. S. 22/23). Die Ausstellung zeigte Hauptvertreter der italienischen Kunst im Dialog mit europäischen und amerikanischen Positionen. BenWillikens’ 4×6 m großes Bild hing an exponierter Stelle im Ausstellungsraum, am Ende einer langen Flucht, unterhalb eines Deckenlichtbands. Die Breite des Lichtstreifens entsprach der mittleren Bildtafel des dreiteiligen Bildes, sodass der Eindruck entstehen konnte, gemaltes und durch die Beleuchtung einfallendes Licht seien identisch. Die hier fingierte Begegnungmit Italien stellte Raum 348 in einen Kontext mit zwei bedeutenden Vertretern der Arte povera: mit einer frühen gegenstandslosen Arbeit von Michelangelo Pistoletto zur Linken und zwei Werken von Giulio Paolini auf der rechten Seite. Besonders Paolinis skulpturale Arbeit L’altra figura (1984) korrespondierte in harmonischer Weise mit der zentralperspektivisch angelegten »klassischen« Architektur von Raum348. L’altra figura besteht aus zwei identischen Büsten auf weißen Sockeln, die sich gegenüberstehen und exakt spiegeln. Eine dritte Büste liegt in Scherben am Boden. Es handelt sich um Gipsabgüsse der römischen Kopie einer frühen hellenistischen Büste. In der Nachbarschaft von Ben Willikens’ Bild aus der Werkgruppe der Gegenräume entstand eine Aura des Erhabenen. Beide Künstler schöpfen aus dem Fundus der Kunstgeschichte und aus Erinnerungen, die in ihren Werken immer wieder aufgegriffen werden. Im Verlauf von INCONTRI besuchte Ben Willikens die Ausstellung noch einige Male mit Freunden, Sammlern und verschiedenen Gästen. Er war mit der »italienischen« Begegnung außerordentlich zufrieden. Dass Italien und insbesondere die

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