Leseprobe

85 schweig undMünchen innehat. Hierher kehrt er 2004 zurück. Die ehemaligen Lazarettgebäude an der Teckstraße bilden heute ein kleines Kulturzentrum, das sich allein Vision und Engagement des Künstlers verdankt. Auch wenn die großen Hallen im ländlichen Wallhausen heute sein bevorzugter Arbeitsplatz sind, bleiben die Wohn- und Arbeitsräume in Stuttgart eine sichere Anlaufstelle. Den weltweit renommierten Ben Willikens darf man von daher auch einen Stuttgarter Künstler nennen, und so ist er im städtischen Kunstmuseum ebenso vertreten wie in der international ausgerichteten Staatsgalerie. Bereits 1969 erwirbt unsere Graphische Sammlung eine frühe Zeichnung von 1967 sowie eine Druckgrafik aus demJahr 1968. Der Fokus der umfangreichenWillikensSammlung der Staatsgalerie liegt aber auf den 1970er-Jahren. Zehn Werke aus dieser Zeit, darunter wichtigeGemälde wie das Anstalts-Triptychon II von 1972 (Abb. S. 84) oder die Badewannen Nr. 1/2 von 1974/75, werden bereits in der Dekade ihrer Entstehung für die Staatsgalerie gesichert. Die für Willikens’ Entwicklung so entscheidende Serie der Anstaltsbilder ist somit bestens repräsentiert. Sein nächster Schritt ist dann das große Abendmahl von 1976–1979. Damit stellt Willikens sich der Kunstgeschichte, entvölkert Leonardo da Vincis berühmtes Mailänder Fresko und wird schlagartig berühmt. Seine konsequent gegenständliche Malerei wird plötzlich als postmodern interpretiert und muss sich selbst in Zeiten von Minimal Art und Konzeptkunst nicht mehr wie noch kurz vorher dem unbegründeten Verdacht konservativer Rückständigkeit stellen. Sieben Vorzeichnungen zumgroßen Abendmahl erwirbt die Staatsgalerie 1980mit Mitteln des Zentralfonds. Seit den 1990er-Jahren bereichern fünf grafische Arbeiten als Dauerleihgabe der Freunde der Staatsgalerie unseren Bestand. In jüngster Zeit sind durch Schenkungen und die Dauerleihgaben der Adriani Stiftung noch einige Werke, auch aus der Floß-Serie der 2000er-Jahre, hinzugekommen. Diese Arbeiten markieren weitere Entwicklungen innerhalb seinesŒuvres und kompensieren in ihrer Reflexion vorangegangener Gemälde gleichsam auch die in unserem Bestand fehlenden größeren Beispiele seiner Raumserien der 1980er-/1990er-Jahre. Aus der Reihe der sogenannten Anstaltsbilder besitzt unser Museum mit den doppelten Badewannen von 1974/75 ein herausragendes Beispiel (Abb. S. 86). Das mit 152× 162 cm fast quadratische Gemälde ist eine reine Grisaille. Grau in Grau imaginiert der Künstler für unser Auge aus feinst gesprühten Tröpfchen einen von links oben beleuchteten Raum. Zwei außen dunkelgraue Wannen stehen auf einem fast gleichfarbigen Boden, der durch aufgesetzte, etwas gröbere Sprühflecken in verschiedenen hellerenGrautönen eine Terrazzo-Anmutung bekommt. Die helleWand hinter denWan-

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