Leseprobe

61 für die Große Berliner Kunstausstellung 1923 erschuf, dem Pariser Atelier Piet Mondrians, so wie es 1926 aussah, Heinrich Tessenows Stadtbad in Berlin-Mitte von 1930, Richard Neutras Singleton House von 1959, aber auch noch dem von Oswald Mathias Ungers 1979 entworfenen Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt. Diese an sich in ihren Proportionen und Materialien jeweils schon genau konstruierten Räume purifiziert Willikens nochmals, entfernt also alles, was in ihnen, vielleicht aus Gründen der Funktionalität, ein formaler Kompromiss sein mochte. So stört eine Lampe mit rundem Lampenschirm die Reduktion der Welt auf rechte Winkel, die Mondrian in seinem Atelier wie in seinemgesamtenWerk so wichtig war. Also hat Willikens sie in seinerWiedergabe des (1995 rekonstruierten) Atelierraums entfernt, so wie er auch einen Teppichläufer verschwinden ließ, der dort auf einem Holzdielenboden liegt (Abb. S. 60). Und dieser ist bei Willikens zu einer einfarbigen Fläche ohne weitere Struktur geworden und damit ebenfalls nicht länger ein Fremdkörper in Mondrians Kosmos. Die Reinigung der Räume lässt sich als modernistische Geste ansehen: als Ausdruck desWunsches, Älteres, vermeintlich Veraltetes zu eliminieren und möglichst alle Elemente zeitlich und damit auch stilistisch in Gleichschritt zu bringen. Insofern folgt Willikens denModernisten der Avantgarden besser, als sie sich selbst gefolgt sind, und wo sie noch blinde Flecke hatten, gibt es bei ihm nichts mehr, was nicht von der Idee erfasst ist, mit Altemaufzuräumen. In seinen Bildern setzt sich also fort, was Jahrzehnte zuvor begonnen worden war und vielleicht nur deshalb nicht fertig wurde, weil es selbst gleich wieder als überholt galt. Aufgrund ihrer perfektionierten Homogenität sowie ihrer streng eingeschränkten Farbigkeit erscheinen Willikens’ Räume der Moderne aber vor allem auch wie Modelle. In ihrer Reinheit erwecken sie nicht den Eindruck, betret- oder gar bewohnbar zu sein, eignen sich dafür aber umso mehr als Muster und Vorbild. Damit enthistorisiert Willikens sie zugleich; sie sind nicht länger zu datieren oder zu lokalisieren. Reale Räume wie Mondrians Atelier oder das Singleton House, die man in originaler oder rekonstruierter Form nach wie vor besuchen kann, erlebt man bei Willikens gleichsam verjüngt, auf ihre konzeptuellen Ursprünge zurückgeführt. Einige von Willikens’ Räumen der Moderne sind aber ihrerseits Modelle, etwa ein von Erich Buchholz 1922 entworfener idealer Raum, der im Original nur die Größe einer Puppenstube besitzt, oder eine Modellwohnung, die El Lissitzky für die Internationale Hygieneausstellung in Dresden 1930 geplant hatte (Abb. S. 62). Ferner greift Willikens für seine Serie Architekturentwürfe auf – etwa Mies van der Rohes Bacardi

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