Leseprobe

— 16 — Vom Spezialistentum bis zur Skurrilität ist der Weg manchmal sehr kurz – so kann sich die Entwicklung des Erbprinzen August denken lassen, der alle adligen Leibesübungen wie Reiten, Jagen und Fechten (damit auch des Militärs!) zutiefst ablehnte und innerhalb des Spezialistentums noch unbesetzte Nischen der Schönheit im Kosmos seines kleines Fürstentums auffinden wollte oder musste: Ohne jemandem ernsthaft zu schaden, hatte er zur vergötternden Anbetung wie zum maliziösen Spott Inklinationen. Hinzu trat seine (und die seines Bruders) frühe körperliche Zartheit und Kränklichkeit, weshalb die besorgten Eltern sie 1788 mit 16 beziehungsweise 14 Jahren zur Kräftigung nach Genf schickten.9 Drei Jahre später kehrten sie nach Gotha zurück. Der jetzt erwachsene August war, ehe er in späteren Jahren an Gewicht zulegte, groß und feingliedrig, ein schöner blonder Mann mit fast weiblichen Zügen. Die Schiefstellung eines Auges, verbunden mit Fehlsichtigkeit, fiel allerdings auf (Abb. 4, 5). Es folgten durch den Jenaer Professor Johann August Heinrich Ulrich für die Prinzen gehaltene Philosophie-Vorlesungen,10 Geheimrat Johann Karl von der Becke las für sie Geschichte und Staatsrecht des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, Archivar Philipp Friedrich Welker lehrte die Geschichte des kleinen Fürstentums – Erbprinz August nahm ab 1796 an den Regierungssitzungen teil.11 Schon mit 23 Jahren begann er, mit Goethe zu korrespondieren. Professor Ulrichs Vorlesungen haben die beiden Prinzen vermutlich stark geprägt: Im Gegensatz zur Kantischen Philosophie postulierte er als Determinist ein Abb. 2 Friedrich Wilhelm Doell, Hans Wilhelm von Thümmel, Gipsbüste, lasiert, 1791. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha Abb. 3 Samuel Friedrich Diez, Karl Ernst Adolf von Hoff, Bleistift, Pinsel, Tusche, 1834. Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin

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