Leseprobe

— 192 — 57 Hut Napoleons I., Kaiser der Franzosen Poupart, Paris vor 1807 Biberfilz, Seidenfutter, Seidenripsband, bezogener Knopf, Haken und Ösen aus Metall gefilzt, gewebt, genäht 49 × 24 cm SSFG, Inv.-Nr. K1081 Provenienz: Während des Aufenthalts Napoleons in Gotha 1807 oder 1813 erwarb Herzog August von dessen Kammerdiener Louis-JosephNarcisse Marchand ein Paar Stiefel, ein Paar Handschuhe und einen Hut, wofür dieser im Gegenzug eine mit Dukaten gefüllte goldene Dose erhielt. Nur der Hut hat sich in Gotha erhalten. Der kaiserliche ›petit chapeau‹ besteht aus Biberfilz und kann deshalb – nach dem lateinischen ›castor‹ für Biber – auch als »Kastorhut« bezeichnet werden. Bereits im späten Mittelalter wurden in Europa aus dem geschorenen Unterhaar des Bibers hochwertige Hüte hergestellt, die gleichzeitig weich und widerstandsfähig waren. Ihre Beliebtheit führte dazu, dass der europäische Biber fast ausgerottet wurde und man bereits im 16. Jahrhundert auf Pelzimporte aus Amerika zurückgreifen musste. Ein Wechsel der Hutmode zu Seidenhüten in der Mitte des 19. Jahrhunderts bewahrte den amerikanischen Biber vor dem Aussterben. Die Hutform des Zweispitzes mit zwei unterschiedlich hohen, hochgeklappten und am Hutkopf festgehakten Krempen war typisch für höhere Offiziere der französischen Armee um 1800. Napoleon trug sie seit 1802, jedoch entgegen der üblichen Trageweise ›en bataille‹, also parallel, statt im rechten Winkel zu den Schultern (Abb. 57 a). Durch populäre Abbildungen des Kaisers, etwa auf Flugblättern, war dessen Lieblingskleidungsstück allgemein bekannt (Abb. 57 b). Eine Besonderheit stellte auch die gewollte Schlichtheit seiner Kopfbedeckung dar, denn die Hüte von Marschällen und Generälen waren 57 a L. Fischer nach Charles-Antoine Vernet, Napoleon Bonaparte zu Pferde mit seinen Marschällen, Lithografie, um 1810. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha üblicherweise mit Federn und Goldborten reich geschmückt. Napoleons Zweispitz hingegen ist nur mit einer Seidenrips-Kokarde in den Nationalfarben blau-weiß-rot verziert, die von einer Agraffe aus schwarzem Ripsband und einem mit Seidenzwirn bezogenen Ösenknopf gehalten wird. Das Futter ist aus gesteppter bräunlicher Seide. Hersteller war der Pariser Hutmacher Poupart, der sich die Exklusivrechte gesichert hatte. Zwar durften die Hüte jeweils nur 48 Francs kosten, aber für die kaiserliche Garderobe wurden im Jahr bis zu zwölf Stück geordert. Auf Reisen und Feldzügen führte Napoleon stets mehrere Exemplare mit sich. Aufgrund unterschiedlicher Quellenangaben lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wann der Hut in die herzoglichen Sammlungen gelangte. In einem Brief an Johann Friedrich Blumenbach vom 22. März 1811 kündigte Herzog August den Erwerb mehrerer persönlicher Gegenstände Napoleons, darunter dessen Hut, an. Erstmals wird das Objekt im Kunstkabinett-Inventar von 1830 genannt; dort wird der Erwerb auf das Jahr 1813 datiert. Spätere Inventare – die nicht publizierten von 1858 und 1890 sowie das von Bube 1846 veröffentlichte mit seinen weiteren Auflagen von 1854 und 1869 – nennen den 24. Juli 1807. 57b

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