Leseprobe

— 144 — die von einem langen, akkurat über der Taille geknoteten Schurz bedeckt sind. Ebenso wie die fleischige Brustpartie und die Wohlstandsfalten am Bauch verweist dieser auf einen höheren sozialen Status. Die Hände liegen ausgestreckt und parallel zueinander auf den Oberschenkeln; der Hockende nimmt eine typische Gebetshaltung ein. Figuren in dieser Darstellung gehörten ebenso wie die Betenden in Stand-Schreit-Position zum neuen künstlerischen Typenschatz des Mittleren Reiches. Das runde, leicht nach vorn gereckte Gesicht wird von einer schulterlangen, ausladenden Perücke gerahmt, in die die großen Ohren hineinragen. Schmale Augen, reliefierte Brauen und ein breiter, fleischiger Mund kennzeichnen den Gesichtsausdruck. Faszinierend ist der blockhaft gebundene, innere Würde und Ruhe ausstrahlende Habitus der Figur, der dem klassischen Stil dieser Zeit entspricht. Mit der 12. Dynastie kam es in Ägypten zu einem erneuten Aufschwung der Beamtenplastik, der auf einer wesentlichen Neuerung im Kultgeschehen fußte. Statuen von Angehörigen des königlichen Hofes und der Verwaltung wurden nicht mehr nur für die ›Serdabs‹, also unzugängliche Kulträume, der Gräber gefertigt, sondern konnten nun auch im vorderen Tempelbereich, in den Tempelhöfen und -vorhallen aufgestellt werden. Zuvor war dies alleiniges Privileg der Pharaonen gewesen. Wie erhaltene Stiftungsformeln auf zahlreichen Figuren festhalten, erfolgte die Aufstellung einer Statue nach königlicher Genehmigung und galt als besondere Ehrung des Dargestellten. Gleichermaßen dokumentieren diese Privatporträts das neue Selbstbewusstsein des Beamtenstands. Durch die Einbindung der Votivstatue in ein Heiligtum konnte sich der Stifter der Vorstellungswelt der Ägypter direkt in das religiöse »Versorgungssystem« der Tempel integrieren. Er war somit nicht nur in der Nähe des verehrten Gottes, sondern bei Kult- und Opferhandlungen fortwährend anwesend und hatte unmittelbaren Anteil daran. Dies ermöglichte ein Weiterleben des Stifters und seines Namens auch über den Tod hinaus und sicherte ihn wirkungsvoll gegen eine etwaige materielle Not im Jenseits ab. Diese Permanenz der Kultbeteiligung drückt sich in der Hockposition des Beamten als passive Ruhehaltung aus. Die Beamtenfiguren des Mittleren Reiches, die in Serien gearbeitet wurden, waren größtenteils kleinformatig (20 bis 40 cm). Ursprünglich nannten Hieroglyphen an den Statuetten beziehungsweise am Sockel Namen, Abstammung und Titel des Stifters. Bei der Gothaer Statuette hat sich eine diesbezügliche Inschrift nicht erhalten. UW Quellen und Literatur FB Gotha, Chart. B 2047, Handschriften-Fragment von Ulrich Jasper Seetzen, Nr. 6; SSFG, Schlossarchiv, Nr. 94, Inventarium der Herzoglichen KunstKammer auf Friedenstein, II. Teil, 1832, fol. 3; ebd., Inventarium der Herzoglichen Kunst-Kammer auf Friedenstein, II. Teil, 1843, Kap. VI.I, Nr. 3; ebd., Nr. 141, Katalog der Ägyptischen Alterthümer des Herzoglichen Museums zu Gotha, 1879–1890, Abt. I, fol. 3r, Nr. 10. Hebecker/Steguweit 1987, S. 164 f., Kat.-Nr. 102; Wallenstein 1996, S. 40 f., Kat.-Nr. 4; Wallenstein 2007; Wallenstein 2019, S. 443 f., Abb. 4; vgl. zu Privatporträts: Wildung 2000, S. 112 f., Kat.-Nr. 45–49. 30 Pranke einer Sphinx oder eines Löwen Ägypten Ptolemäerzeit (332–30 v. Chr.) Marmor 27 × 25,5 × 27 cm SSFG, Inv.-Nr. Ae1138 Provenienz: Erworben durch Ulrich Jasper Seetzen. Das Prankenvorderteil eines Löwen oder einer Sphinx ist von herausragender Qualität und aufgrund der feinen plastischen und realistischen Ausarbeitung der Zehenglieder und Krallen wohl in frühptolemäische Zeit zu datieren. Sowohl stilistisch als auch in der kraftvollen Plastizität lassen sich persische beziehungsweise grie30

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1