Leseprobe

— 142 — 28 Oberteil einer Statuette von Sesostris III. Ägypten Mittleres Reich, 12. Dynastie, etwa 1882–1842 v. Chr. (Regierungszeit Sesostris’ III.) Granodiorit 19,5 × 18 × 11 cm SSFG, Inv.-Nr. Ae1 Provenienz: Erworben durch Ulrich Jasper Seetzen. Sesostris III. gilt als einer der bedeutendsten Herrscher des Mittleren Reiches. Unter seiner Regierung erlebte Ägypten nicht nur politisch und ökonomisch eine neue Blüte, sondern auch einen Höhepunkt der Künste. Vom Delta bis nach Oberägypten entstanden zahlreiche Tempel und Städte sowie imposante Festungsanlagen zur Sicherung der Landesgrenzen. Zu seinen baulichen Unternehmungen zählte auch die Anlage eines Kanals durch den ersten Katarakt bei Elephantine, um ihn für Schiffe passierbar zu machen. Zur Regulierung der Be- und Entwässerung und als Schutzmaßnahme vor zerstörerischen Überschwemmungen und Dürren ließ er im Faijum-Becken ein ausgeklügeltes Kanalisierungssystem anlegen und machte es damit urbar. Seine Pyramide wurde in Dahschur errichtet. Sie war der größte Grabbau der 12. Dynastie. Außenpolitisch gelang Sesostris III. eine maßgebliche Expansion seines Reiches Richtung Süden. Er führte mindestens vier Feldzüge gegen Nubien durch, das wegen wertvoller Rohstoffe und des Zugangs zu exotischen Handelsprodukten Innerafrikas im Fokus seines machtpolitischen Interesses stand. Nach der Eroberung Unternubiens bis zum zweiten Katarakt wurde die südliche Grenze Ägyptens bei Semna festgelegt. In nordöstliche Richtung unternahm der Pharao eine Militärexpedition nach Palästina und Syrien, wodurch unter anderem die Handelsbeziehungen mit Vorderasien ausgebaut werden konnten. Bei der hier gezeigten Statuette ist der Gesichtsausdruck des Pharaos unverwechselbar charakterisiert; er wirkt ernst und verhärmt. Die Augen werden von schweren Lidern überwölbt, und deutliche Tränensäcke ziehen sich bis über die markant hervortretenden Jochbeine hinweg. Tiefe Furchen begrenzen die eingefallenen Wangen. Die heruntergezogenen Mundwinkel verstärken dabei den sorgenvollen Eindruck noch. Kräftig erscheint das Kinn, und deutlich treten die überaus großen Ohren vor dem Königskopftuch hervor. Um den Hals trägt der König eine Röhrenperlenkette mit Herzamulett. Das ausdrucksstarke, mit realistischen Alterszügen versehene Porträt setzt sich stilistisch von der idealisierten Kunst des Alten Reiches ab, hat allerdings seine Vorstufen bereits in der 11. und frühen 12. Dynastie. Künstlerische und literarische Zeugnisse des Mittleren Reiches lassen erkennen, dass die Pharaonen dieser Zeit nicht mehr primär »als fungierende Instrumente göttlichen Willens«, sondern zunehmend als Individuen und eigenverantwortliche Akteure in Erscheinung treten wollten. Sesostris III. stellte unter geschickter Integration der Gaufürsten die traditionelle Autorität des Königtums wieder her. Im Ausdruck der Selbstrepräsentation und in der Ikonografie des Herrscherbilds implizierte dies ein starkes, mit machtpolitischer Entschlossenheit verbundenes Selbstbewusstsein. Über 100 zum Teil überlebensgroße Statuen und -fragmente mit Porträts von Sesostris III. haben sich in situ in Ägypten und in Museen weltweit erhalten, in nahezu allen bis dahin bekannten Darstellungstypen. Aufgrund ihrer Vielzahl zeichnen sich diese durch stilistische Varianten aus, die teils aus der Wiedergabe verschiedener Altersstufen, teils aus ihrer Provenienz aus unterschiedlichen Werkstätten resultieren. Meist wird der Pharao mit Nemes-Kopftuch dargestellt, daneben auch mit oberägyptischer Krone beziehungsweise Doppelkrone. Ebenso wie die Hockfigur eines Beamten wurde das Oberteil einer Sesostris-Statuette erst in den letzten Jahren eindeutig der Seetzen-Sammlung zugeordnet. Seetzen selbst hatte das Porträt als »Das Obertheil einer weibl. kleinen Statue von schwarzem Granit. Der Untertheil bis an die Brust ist verlorengegangen« verzeichnet. Als Provenienz für die Statuette ist das Faijum-Gebiet wahrscheinlich. UW Quellen und Literatur FB Gotha, Chart. B 2047, Handschriften-Fragment von Ulrich Jasper Seetzen, Nr. 673; SSFG, Schlossarchiv, Inventarium der Herzoglichen KunstKammer auf Friedenstein, II. Teil, 1843, Kap. VI.I, Nr. 44; ebd., Nr. 141, Katalog der Ägyptischen Alterthümer des Herzoglichen Museums zu Gotha, 1879–1890, Abt. I, fol. 3r, Nr. 11. Hebecker/Steguweit 1987, S. 166 f., Kat.-Nr. 103; Wallenstein 1996, S. 38 f., Kat.-Nr. 3; Wildung 2000, S. 105, 182, Kat.-Nr. 37; Petschel/Falck 2004, S. 169, Kat.-Nr. 159; Badisches Landesmuseum Karlsruhe 2017, S. 84, Kat.- Nr. 2; Wallenstein 2019, S. 453 f., Abb. 5; vgl. zu Porträts Sesostris’ III.: Polz 1995; Wildung 2000, S. 38f., 41–43, 94 f.; Farsen 2010. 29 Hockfigur eines Beamten Ägypten Mittleres Reich, 12. Dynastie, um 1870 v. Chr. Granodiorit 34 × 19 × 22,5 m SSFG, Inv.-Nr. Ae3 Provenienz: Erworben durch Ulrich Jasper Seetzen. Dass Ulrich Jasper Seetzens nachgelassene Schriften und Realien durch die Forschung immer noch reich ausgeschöpft werden können, zeigte sich in jüngerer Zeit bei einer Auswertung handschriftlicher Erwerbungslisten, die nicht in dem 1810 veröffentlichten Verzeichniss der für die orientalische Sammlung zu Gotha, zu Damask, Jerusalem u.s.w. angekauften Manuscripte und gedruckten Werke, Kunst- und Naturprodukte erfasst sind. So konnten durch einen inhaltlichen Abgleich unterschiedlicher Inventareinträge aus dem 19. Jahrhundert zwei bedeutende Werke der Gothaer Ägyptensammlung eindeutig mit seinen Ankaufsnotizen in Verbindung gebracht werden. Die hier besprochene Beamtenfigur beschrieb Seetzen als eine »weibl. oben nackte antike Statue in sitzender Stellung v. schwarzem Basalt; in Aegypten gefunden«. Die Fleischigkeit der Brustpartie und das schulterlange Haar mögen ihn zu der Interpretation als weiblich bewogen haben. Interessant ist, dass auch noch in dem 1879 bis 1890 erstellten Inventar der »Aegyptischen Alterthümer« von Carl Aldenhoven, dem damaligen Direktor des Herzoglichen Museums Gotha, von einer »Knieenden Frau von schwarzem Granit, bekleidet mit dem Schenti, Oberkörper nackt« gesprochen wird, mit dem Zusatz »die Brust lässt zweifelhaft, ob es nicht ein Mann ist«. Die künstlerisch herausragende und sehr gut erhaltende Hockfigur eines Beamten, für die Seetzen in seinen Tagebuchaufzeichnungen als Provenienz das Faijum angab, befindet sich auf einer leicht beschädigten Basisplatte. Der beleibte Mann sitzt aufrecht mit untergeschlagenen Beinen,

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1