Leseprobe

— 100 — in Genf aufhielten, wurden die Büsten möglicherweise in ihrer Abwesenheit geschaffen, weshalb eine Modellierung auf Grundlage von Porträts und Zeichnungen wahrscheinlich ist. Das hier vorliegende Pendant zur Büste des jüngeren Bruders besteht aus Gips, der in Kaseintempera weiß lasiert wurde. Die Büste zeigt August als jungen Mann im Zivilfrack mit Halsbinde und hohem Kragen, dem sogenannten Umfallkragen. Seine Gesichtszüge sind sanft und weich geformt – ein Hinweis auf sein jugendliches Alter: August war, wenn man das Jahr 1788 als frühestmögliche Datierung der Büste ansetzt, gerade einmal 16 Jahre alt. Durch die Darstellung der Haare wird dies noch unterstrichen: Im Gegensatz zum Diktat des Hofzeremoniells und der Mode der Herrenfrisuren im ausgehenden 18. Jahrhundert wählte Doell für den Prinzen keinen festgedrehten Nackenzopf mit seitlichen Locken, sondern stattete ihn mit üppigem, frei fallendem Haupthaar aus, das lediglich mittig gescheitelt und hinten von einem Kamm gehalten wird. Die Büste ist frontal ausgerichtet, der Blick des Prinzen richtet sich empfindsam nach vorn. Ein nahezu identisches Brustbild hat sich in den Sammlungen erhalten (Inv.-Nr. P90). AW Quellen und Literatur Schäfer 1990, Bd. 1, S. 29; Schuttwolf 1995, S. 12, 166; Rau 2003, S. 288, Nr. 118; Wallenstein 2006, S. 80. 3 Herzogin Charlotte Amalie von SachsenGotha-Altenburg mit ihren Söhnen August und Friedrich am Denkmal des Erbprinzen Ernst um 1780 · Papier Scherenschnitt aus schwarz-glänzendem Papier, auf grünlich laviertes Papier geklebt, mit schwarz getuschten Details und Rahmen 32,4 × 33,9 cm SSFG, Inv.-Nr. G84,12 Provenienz: Nachlass Herzog Ernsts II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, später Nachlass Herzog Augusts von Sachsen-Gotha-Altenburg. Seit dem 17. Jahrhundert entwickelte sich der Scherenschnitt in Europa zu einer vielseitigen Kunstgattung. Eine besonders beliebte Form am Übergang zum Klassizismus und vor dem Hintergrund von Lavaters Physiognomik-Studien war die Porträtsilhouette. Das in Schwarz oder auch Weiß geschnittene, getuschte, später auch gestochene Bildnis erfreute sich beim Adel und beim Bürgertum großer Beliebtheit und wurde vielfach von Dilettanten, aber ebenso von ausgebildeten Künstlern hergestellt. Der Name »Silhouette« selbst ist von dem Generalkontrolleur der französischen Finanzen, Étienne de Silhouette, abgeleitet, dessen sparsamer Finanzkurs zu dem geflügelten Wort ›à la Silhouette‹ führte und mit dem spöttisch auf Sparsamkeit und Armseligkeiten hingewiesen wurde. Die Schattenrisse wurden vielfach als Wandschmuck genutzt, waren Bestandteil von Stammbüchern oder wurden in Sammelalben aufbewahrt. Letzteres trifft auf die Silhouette der Herzogin Charlotte Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg mit ihren Söhnen zu. Sie gehörte zu einem Konvolut von 181 Schattenbildern, die aus dem Nachlass Herzog Ernsts II. stammten und in den Besitz Augusts von Sachsen-Gotha-Altenburg übergingen. Sie zeigt auf der linken Seite eines Postaments mit Urnengefäß Herzogin Charlotte Amalie im Ganzkörperprofil mit voluminöser Frisur. Zur Urne gewandt, schmückt sie diese mit pflanzlichen Ranken. Auf dem Postament ist in einem Medaillon ein Profilbildnis ihres verstorbenen Sohns, Prinz Ernst, zu sehen. Rechts der Urne stehen zwei weitere, sich an den Händen haltende Kinder, Friedrich und August, von denen Letzterer mit seinem Finger auf die Urne hindeutet. Ernst war der erstgeborene Sohn des Gothaer Herzogpaars, der 1779 mit gerade einmal neun Jahren verstarb. Dieses für die Familie und das Herzogtum einschneidende Ereignis – mit dem Tod seines älteren Bruders wurde plötzlich August zum Erbprinzen – ist in mehreren, jeweils variierenden Schattenrissen festgehalten worden. Eine seitenverkehrte Ansicht, jedoch mit kleinen Unterschieden, die den Rock Charlotte Amalies, die Urne und das Profilbild Ernsts – nun mit Haarknoten am Nacken – betreffen, liegt ebenfalls in Gotha vor (Inv.-Nr. G84,3). Darüber hinaus existiert ein Familienbild in gleicher Anordnung, aber mit weiteren Veränderungen in Haltung, Kleidung und Frisuren, das zusätzlich Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg hinter August aufweist (KSW, Inv.-Nr. KSi/04768 sowie Inv.-Nr. unbekannt). Die Urne steht bei diesen Silhouetten in anderer Gestalt auf einer mannshohen Säule. Das Medaillon mit dem Profilbild des verstorbenen Kindes ähnelt nun aber jenem im zweiten Exemplar in Gotha und ist ebenso nach rechts ausgerichtet. Unverkennbar sind alle Schattenrisse also voneinander abhängig. Eines der Weimarer Blätter ist mit »Starcke fec.« signiert. Es handelt sich hierbei um den nicht weiter bekannten Thüringer Künstler F. C. X. Starcke (tätig um 1780). Inwiefern Starcke nach einer Vorlage des Gothaer Silhouetteurs Johann Friedrich Anthing arbeitete, wie in Weimar postuliert, und in welchem Verhältnis die unsignierten Schattenrisse dazu stehen, muss jedoch offenbleiben. UE Quellen und Literatur SSFG, Inventar 20, Kupferstichkabinett, Generalverzeichnis versch. Sammlungen, 1843, fol. 254r. Kroeber 1911, S. 175, Taf. 55a–c; Knapp 1916, S. 116, Taf. 36; Unbehaun 1996, S. 106 f. 3

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1