Leseprobe

— 98 — Er war schlank und hochgewachsen, neigte aber zu rundlichen, weichen Formen. Einem Zeitgenossen zufolge hätte er ein »schönes Modell des Bacchus« abgegeben.6 In vielem war er das genaue Gegenteil seines Vaters: phantasiebegabt, wortgewandt und witzig, mit einem Hang zum genialischen Chaos, putzsüchtig, verschwenderisch, körperlicher Abhärtung abhold, obwohl er gern tanzte und lange Spaziergänge unternahm. Das eiserne Pflichtbewusstsein Ernsts II. ging ihm ab, und während sein Vater als konsequenter Frühaufsteher schon am frühen Morgen arbeitete, blieb er oft bis zum Mittagessen im Bett. In seinen späten Lebensjahren empfing er dort sogar Besucher, kümmerte sich um Regierungsgeschäfte oder widmete sich seinen literarischen Projekten.7 Was ihn jedoch mit seinem Vater verband, war eine Abneigung gegen das höfische Leben. Ernst II. bevorzugte die Gesellschaft von Gelehrten, August wiederum zog sich gern auf ein entlegenes Landschloss zurück und umgab sich mit nur wenigen Vertrauten. Carl Maria von Weber, der eine solch herausragende Vertrauensstellung beim Herzog genoss, berichtete: »Wenigen Menschen würde im Ganzen diese Einsamkeit behagen in der sich der Herzog so wohl gefällt, wo er vom lästigen Getümmel des Hofes entfernt, nur die Menschen die er sehen will um sich hat. Ueberhaupt ist er mit seiner unendlich regen Phantasie überall zufrieden und zu Hause.«8 Bis zu einem gewissen Grad durch seine fürstliche Würde geschützt, verstieß August oft unbekümmert gegen gesellschaftliche Konventionen. Johann Wolfgang von Goethe hatte einen weit klareren Blick als er, was die Konsequenzen derartiger Regelbrüche betraf: »Schade daß er nicht fühlt, oder nicht fühlen will, wie hoch einem die Menschen ein Geringes anrechnen wodurch man sie verletzt, und wie sehr ihnen das seltsame fast mehr als das böse zuwider ist. Wie die Sachen jetzt stehn und gehen wird jedermann irre an ihm und wie es angefangen hat wird es endigen.«9 Insbesondere begehrte August gegen den gesellschaftlichen Kodex auf, der ihm eine bestimmte – nicht nur sexuelle – Identität und ein damit konformes Verhalten aufnötigte. Seiner Seelenverwandten Sidonie von Dieskau gegenüber haderte er mit den »mühsam mir angeklebten erbärmlichen Schlacken der mir angezwängten Männerey«.10 Er unterschied zwischen seiner öffentlichen und seiner privaten Person. Regierungsakten unterzeichnete er mit »August«, persönliche Briefe dagegen mit »Emil« oder in der französischen Form »Émile«. In seinen literarischen Werken nahm er oft eine weibliche Perspektive ein.11 Wohl vor allem seinem Vater Ernst II. zuliebe ging er zweimal die Ehe ein.12 Wäre die Entscheidung ihm allein überlassen geblieben, hätte er vielleicht einen anderen Lebensweg für sich gewählt. Dass er sich in seiner Rolle als Ehemann nicht allzu wohl gefühlt und gewisse dynastische Erwartungen enttäuscht haben dürfte, lässt ein Besuch des Herzogs Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin vermuten, der Anfang Juli 1798 nach Gotha reiste, um »seinen Schwieger Sohn zu seinen pflichten anzuhalten«.13 Seinem einzigen Kind Luise war August ein liebevoller, vielleicht zu nachsichtiger Vater. Leider begriff er nicht, dass er mit seinem unkonventionellen, oft grenzüberschreitenden Verhalten ein schlechtes Vorbild für seine Tochter abgab, die als Frau auf sehr viel weniger Nachsicht hoffen durfte als er als regierender Fürst.14 Die Geschichtsschreibung tat sich mit einer objektiven Beurteilung Herzog Augusts lange schwer. Sein Verhalten und seine Persönlichkeit reizten nicht nur Zeitgenossen zu abwertenden Kommentaren und scharfen Verurteilungen. Erst allmählich setzt eine ausgewogenere Betrachtung ein.15 FF 6 Jacobs 1822, Sp. 497 f. 7 Thümmel 1818, S. 91 f.; Jacobs 1822, Sp. 499 f. 8 Zit. nach Weber 1864, S. 465. Vgl. Dreißig/Martens 2012, S. 287. 9 Grumach 1999, S. 507, Goethe an Silvie von Ziegesar, 3. August 1808. 10 Eichstaedt 1823, S. 50, August an Sidonie von Dieskau, 19. November 1815. Zu der Beziehung zwischen beiden vgl. Augusts Briefe an Ernst Wagner in: Mosengeil 1826, Bd. 2, S. 27, 35 f., 41 f., 51; Binzer 1877, S. 99 f. 11 Vgl. Jacobs 1837. 12 Vgl. Thümmel 1818, S. 90. 13 Emde 2004, Bd. 1, S. 202, Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach an Caroline Jagemann, 27. Juni 1798. 14 Vgl. Grunewald 2013, S. 36–47. 15 Vgl. [Ungern-Sternberg] 1857; Walesrode 1865; Beck 2012 [1868], S. 428–451; Däberitz 2008; Klatt 2014.

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