Leseprobe

— 83 — Das dem Audienzzimmer der Erbprinzessin entsprechende Gemach ihres Gatten wurde um 1800/1804 noch schlicht als »Erstes Zimmer des Erbprinzen« bezeichnet, erst 1805/06 taucht in den Rechnungen der Begriff »Audienzzimmer« auf. In der Wandgestaltung war und ist dieser heute »Fliederzimmer« genannte Raum ungleich schwerer in der Erscheinung: Die Farben Grün, Lila und Schwarz bestimmten den ersten Eindruck, der jedoch ursprünglich an der Ostwand durch einen weißen Kamin mit Spiegel auf weißem Grund gemildert wurde.13 Die auffallende Dekoration mit großen Mäandermustern und grünen Stoffbahnen14 an den Wänden sowie Arabesken aus Holz an der Decke, wie sie die Schweriner Aquarelle zeigen, konnte kürzlich durch Depotfunde und historische Aufnahmen nachgewiesen werden. Vermutlich wurde der Raum in den 1890er Jahren modernisiert und das Mäandermotiv an den Wänden und der Decke durch das noch heute erhaltene kleinteilige Art-déco-Muster ersetzt. Nur im Lambrisbereich ist das ursprüngliche schwarz-lilafarbene rechteckige Muster noch erhalten, wie es auf dem Aquarell gezeigt wird. Bis heute wird das kräftig wirkende Muster durch zarte Rosenblüten und -blätter gemildert, die die florale Seidenbemalung der Wände als Echo aufgreifen (Abb. 3). Die Wohnzimmer Südlich an das jeweilige Audienzzimmer schließt sich in beiden Raumfolgen ein Wohnzimmer an, auf den entsprechenden Aquarellen bei der Erbprinzessin als »Wohn-Gemach der Durchl. Frau Erb-­ Prinzessin«, in Augusts Suite schlicht als »Zweites Zimmer des Erb-Prinzen« bezeichnet. Im Fall Luise Charlottes war der Raum in zwei Bereiche unterteilt: einen quasi öffentlichen zur Fensterseite hin und ein als Privatissimum gestaltetes Boudoir an der Seite der Weimarer Galerie. Die einstige Ausstattung des durch eine auffallende Glaswand vom größeren Raumteil getrennten Boudoirs weicht in weiten Teilen von der heutigen ab: Geplant war offensichtlich eine leichte, helle Wandbespannung aus einem feinen Seidenatlas, die mit Blumenranken bemalt war. Diese zarten Blumengirlanden und -arabesken erinnern zugleich an die Arabesken im Audienzzimmer der Erbprinzessin und an das Laubenzimmer des Erbprinzen: In beiden Räumen fassten feine Blütenranken die einzelnen Wandkompartimente ein. Im Boudoir wurde die Tür zum Wohnzimmer hin von Weinranken und -trauben eingerahmt,15 die aus einer schlanken, pompejanisch anmutenden Karaffe aufsteigen. Reste dieser textilen Wandbemalung, die bis 1984 noch vorhanden war, haben sich vor Ort unter der jüngeren Wandverkleidung und im Depot der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha erhalten. So konnte jüngst ein beschnittenes Fragment zugeordnet werden, ein strohfarbener Seidenatlas mit der gut erhaltenen farbigen Fassung einer Weinranke mit Trauben. Die Gewebeanalyse der vergrauten Seide bestätigte im Vergleich mit anderen textilen Wandbespannungen die Zuordnung des Funds zur Erstausstattung (Abb. 4). Transparente Gemälde mit pompejanischen Motiven, die für eine indirekte Beleuchtung sorgen sollten, waren in der Ost- und der Südwand vorgesehen. Ob diese Glasgemälde tatsächlich so existiert haben, wie auf dem Schweriner Aquarell gezeigt, ist heute ungesichert.16 Das Wohnzimmer selbst war mit einer auffallenden Wandfassung versehen, die zur Festigung lackiert war, wie es um 1800 üblich war.17 Die einzelnen Wandpaneele von unterschiedlicher Breite sind alle identisch konzipiert: außen eingefasst von einem blaugrauen Fries aus quer- und hochovalen weiß-blauen Medaillons, die mit Girlanden und Zweigen umfasst und verbunden sind und den optischen Eindruck von Glaskristallen vermitteln sollten; innen daran angrenzend jeweils ein von Goldleisten eingefasstes Wandfeld, das auf einem roten Fond mit einem aufgespannten weißen Tuch bemalt ist (Abb. 5). Mit der Ausstattung des Raums im pompejanischem Stil wurde eine Mode aufgegriffen, die nach der Entdeckung von Herculaneum und Pompeji in der Mitte des 18. Jahrhunderts ganz Europa in ein Fieber ›à l’étrusque‹ versetzte – als Beispiele Abb. 4 Unbekannter Künstler, Seidenatlas grau, bemalt mit Weinlaub und Trauben, 1799, Fragment. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

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