Leseprobe

— 81 — Am 3. August 1797 unterzeichnete der regierende Herzog Ernst II. ein Schreiben, in dem der Geheime Rat und Kammerpräsident Hans Wilhelm von Thümmel beauftragt wurde, im »Fall, daß sich unser Erbprinz vermählen sollten, für ihn und unsere künftige Frau Schwiegertochter eine schickliche, standesmäßige Wohnung auf unserem hiesigen Residenz-Schloß zubereiten zu laßen«. Herzog Ernst verwies im gleichen Schreiben auf »vorgelegte und von uns genehmigte Pläne«, die als Grundlage dienen sollten. Thümmel hatte freie Hand in der Auswahl der Arbeiter, Handwerker und Künstler. Auf die Möblierung der Räume ging der Herzog ebenfalls ein: Thümmel möge »auch von fremden Baumeistern und Künstlern Zeichnungen und Modelle anfordern, und unter diesen die Wahl der [...] Tapeten, Trumeaux, Curtes (?), Bureaux, Commoden, Tische, Stühle, Betten [treffen], von solchen Orten, wo sie am vorzüglichsten gearbeitet oder zu bekommen seyn werden«. Für die gesamte Neueinrichtung wurde eine Summe von 20000 Reichstalern zur Verfügung gestellt. Da diese Arbeiten bis zur Vermählung des Erbprinzen am 21. Oktober 1797 nicht vollständig ausgeführt werden konnten, wurden »interimistisch mehrere Zimmer« neben den bisherigen Räumen des Erbprinzen auf der Stein-Galerie im Ostflügel für das junge Ehepaar »zurechtgemacht«.2 In den kommenden Jahren wurden zehn Räume im zweiten Obergeschoss des Westflügels von Schloss Friedenstein für Erbprinz Emil August von Sachsen-Gotha-Altenburg und Erbprinzessin Luise Charlotte, geborene Prinzessin zu Mecklenburg-Schwerin, neu eingerichtet und ausgestattet; acht der Räume sind erhalten. Sie gelten heute als eine faszinierende, einheitliche Raumfolge mit einer einzigartigen Ausstattung der noch dem höfischen Zeremoniell verpflichteten Suite. Die Appartementfolge Entréeräume Jeweils ein Entréeraum eröffnet die Zimmerfluchten des Erbprinzen und der Erbprinzessin: zum einen der heute Marmorzimmer genannte erste, nördlichste Raum der Zimmerflucht Luise Charlottes, zum anderen das damals wie heute als Musikzimmer bezeichnete Gemach, das die Raumfolge Emil Augusts nach Süden eröffnete, zugleich aber auch einen Zugang nach Norden zu den Gemächern der Erbprinzessin bot. Beide Gemächer besaßen – neben dem letzten südlichen Zimmer – als einzige Räume der Zimmerfolge doppeltürige Zugänge von der Weimarer Galerie aus. Beide Räume zeichnen sich durch eine aus Reliefplatten des Bildhauers Friedrich Wilhelm Doell bestehende, umlaufende Dekoration aus. ImMärz 1799 hatte Doell das Musikzimmer fertiggestellt3 und erhielt dafür 506 Taler als Honorar. Es ist zu vermuten, dass das Marmorzimmer mit sechs großen hochrechteckigen Reliefs und sechs querrechteckigen kleineren Platten über den Türen und Fenstern als separate Auftragsarbeit und vermutlich noch vor demMusikzimmer fertiggestellt wurde.4 Die Audienzzimmer Südlich an die beiden Vorzimmer schließt sich jeweils ein Audienzzimmer an, jedes mit einem ausgeklügelten ikonografischen Programm: Das »Audienzzimmer der Durchl. Frau Erb-Prinzessin«5 verweist mit einer Sphinx (Abb. 1) in den beiden Supraporten der Türen auf die Funktion des Raums als Audienzzimmer6 und mit dem Deckenprogramm von Sol und Luna, der Personifizierung von Tag und Nacht, auf das immerwährend offene Ohr der Erbprinzessin für alle Anliegen ihrer Besucher. Die heutige Wandfassung dieses Raums entspricht nur noch in Rhythmus und Farbton der Wandbespannung der ursprünglichen Ausstattung, deren Gestaltung und Bemalung durch die in den Staatlichen Schlössern, Gärten und Kunstsammlungen MV, Schwerin aufgefundenen Ansichten von acht Räumen des Westflügels dem heutigen Betrachter jedoch wieder einen Eindruck der ursprünglichen Planung vermitteln.7 Abb. 1 Unbekannter Künstler, nördliche Supraporte des Audienzzimmers, kurzfristige, vorläufige Freilegung der Supraporte während einer restauratorischen Untersuchung, Juli 2020. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

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