Leseprobe

— 31 — und vermutlich Federn – hatte man von den übrigen Transporten getrennt. Während die rund 3000 schriftlichen Werke in die herzogliche Bibliothek integriert wurden und diese dadurch zu einer der bedeutendsten Sammlungen orientalischer Schriften in Mitteleuropa wurde, ließ August die Edelsteine wiederholt in Schmuckstücke einfassen, die er in seinem Appartement aufbewahrte, wenn er sie nicht am Körper trug.36 Herzog August unterstützte ideell, finanziell und durch erforderliches Equipment die Orientreise Seetzens, wie vor ihm sein Vater.37 Als begeisterter Student der Erd- und Länderkunde war Ernst II. vermutlich primär an neuen Erkenntnissen im Bereich Geografie interessiert, während August vorzugsweise die orientalische und hier vor allem die altägyptische Kultur im Blick hatte. Am Ausgangspunkt seiner Reise in Wien erhielt Seetzen daher von August den Auftrag, Seltenheiten für ein Orientalisches Museum zu sammeln.38 Analog zu ostasiatischen Werken waren orientalische Altertümer früh Teil der Gothaer Kunstkammer und wurden von Augusts Vorgängern, darunter Friedrich II., als außergewöhnliche Stücke geschätzt.39 Eine kulturgeschichtliche Bedeutung kam ihnen bis dato kaum zu, was sich mit Seetzen ändern sollte. In seinem Reisetagebuch ist ein diesbezüglich sehr interessanter Dialog mit einem arabischen Astronomen wiedergegeben. Dieser fragte Seetzen, was man mit den nach Europa importierten arabischen Schriften anfange, woraufhin Seetzen versicherte, dass diese der Wissenschaft, wie der Lehre über die Religionen, dienen würden.40 Seetzen hatte also ein bewusstes und zielgerichtetes Kollektionieren orientalischer Altertümer im Sinn, mit dem Ziel, eine Lehrsammlung in Gotha auszubauen.41 Folglich war er und nicht Herzog August, obwohl dieser ihm Instruktionen für Einkäufe gab,42 der leitende Kopf hinter der orientalischen Sammlung. Der Herzog übernahm, anders als beim Chinesischen Kabinett, eher die Rolle eines interessierten Gönners, sodass er die Sammlung 1804 auch als »Cabinet de Seetzen« bezeichnete.43 Diese Schlussfolgerung scheint umso berechtigter, als man nicht nur mit dem Auspacken der Transportkisten bis zur – letztlich nicht erfolgten – Rückkehr Seetzens wartete, sondern das Vorhaben der Einrichtung eines Orientalischen Museums leider mit ihm starb und unter anderem die Aegyptiaca erst lange nach Augusts Tod 1831 zu einem Ägyptischen Kabinett vereinigt wurden.44 Dessen Interesse für ägyptische Altertümer blieb jedoch bestehen und wurde wahrscheinlich durch seine große Bewunderung für Napoleon Bonaparte zusätzlich bestärkt. Hervorragend zum Ausdruck kommt dies durch einen Auftrag an die Künstlerin Therese aus demWinckel: »O, wenn Sie mich lieben, so copiren Sie mir doch das gleichendste Brustbild meines leidenschaftlich verehrten Napoleon, doch Sie müssen diesen einzigsten und merkwürdigsten der Männer erst selbst gesehen haben, dann malen Sie ihn [...] Ah, s’il fallait aussi une victime sanglante à ce grand-prêtre et ce grand roi du monde, je lui offre mon cœur et je m’expose à son trait fulminant sans cligner des yeux; qu’on me nomme alors le dernier de ma raçe, un autel ne ressemble-t-il pas à un trône vide? [Ach, wenn dieser Hohepriester und große König der Welt selbst ein blutiges Opfer brauchte, ich böte ihm mein Herz dar und setzte mich seinen blitzenden Geschossen aus, ohne mit den Augen zu zucken. Möge man mich auch alsdann den Letzten meiner Art nennen. – Gleicht ein Altar nicht einem leeren Throne?]«45 KeinWunder also, dass Erinnerungsstücke an Napoleon in Form von Kleidungs- undGebrauchsgegenständen sowie von Bildwerken des Kaisers zu bevorzugten Erwerbungen des Herzogs zählten.46 In der Gothaer Sammlung befinden sich noch ein Hut des Kaisers (Kat.-Nr. 57), eine von ihm genutzte Schokoladentasse samt Unterschale (Kat.-Nr. 58) und Ludwig Doells Napoleon-Gemälde (Kat.-Nr. 56). Ferner prangen im sogenannten Türkischen Schlafzimmer im Westflügel des Schlosses innerhalb zweier Himmelshalbkugeln die Porträts Augusts und des Kaisers in Gestalt des Mondes und der Sonne an der Decke.47 Napoleon und August als die zwei maßgeblichen Gestirne und Fixpunkte des Himmels, die sich zwischen Tag und Nacht abwechseln und somit ergänzen – in dieser Glorifizierung seiner selbst gefiel sich August sicherlich sehr. Denkbar ist es, dass August sich mittels der von Seetzen zusammengetragenen ägyptischen Sammlung ebenfalls mit Napoleon identifizierte, der durch seinen Afrikafeldzug von 1798 bis 1801 maßgeblich zur Begründung der Ägyptologie als wissenschaftliche Disziplin beigetragen hatte. Im Rahmen des Zweiten Koalitionskriegs hatte er als General Ägypten besetzt, um eine französische Kolonie zu begründen und den Einfluss der Briten im Mittelmeerraum zu beschränken. Auch wenn ihm dies nicht gelang und der Afrikafeldzug militärisch einen Misserfolg darstellte, war der Feldzug doch für die Erforschung Ägyptens entscheidend, denn mit Napoleon reisten über 100 Gelehrte verschiedener Fachrichtungen. Ihre Forschungen mündeten in die 23-bändige Enzyklopädie Description de l’Égypte [. . .].48 Eine seit dem 18. Jahrhundert aufblühende Ägyptomanie in Europa wurde durch diese Veröffentlichung wie auch durch Dominique-Vivant Denons Beschreibung des Feldzugs in seinem Buch Voyage dans la Basse et la Haute Egypte zusätzlich beflügelt.49

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