Leseprobe

— 29 — Sinologica – Sinophilie – Chinesisches Kabinett Schon vor seiner Regierungsübernahme 1804 verfolgte Herzog August den Entschluss, ein Chinesisches Kabinett zu errichten. In einem Brief an seinen Freund Johann Friedrich Blumenbach (Abb. 3) von 1802 bewarb er sein anscheinend bereits reich bestücktes Kabinett wie folgt: »Meine Bewunderung und noch mehr der Anblick eines großartigen chinesischen Kabinetts wird Sie für Ihre Mühe entschädigen. [.. .] mit einem Wort, bei mir erwartet Sie ein Schatz an Raritäten, die Sie in einen Freuden- und Überraschungsrausch versetzen werden.«16 Inwiefern sich August beim Aufbau des Kabinetts an auswertigen Sammlungen orientierte, ist kaum erforscht. Es wurde bislang allein darauf hingewiesen, dass ein aus dem 19. Jahrhundert erhaltenes Architekturmodell eines chinesischen Salons von einer Auseinandersetzung Augusts mit der zeitgenössischen chinoisen Raumkunst zeugen könnte.17 Dieses Modell weist konzeptionelle Verbindungen zum Chinese Drawing Room im Carlton House in London auf, das auf Anlass des späteren englischen Königs Georg IV. errichtet wurde und mit Porzellanen, Elfenbeinen, Waffen, Musikinstrumenten und anderem mehr zahlreiche Kulturgüter des Fernen Ostens barg.18 Herzog August war also nicht der einzige Regent, der im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert eine Vorliebe für Ostasiatica hegte, wenn sich auch das phantastische, positive Chinabild bereits wandelte und damit die seit dem 17. Jahrhundert anhaltende Vorliebe für ostasiatische und chinoise Kunst abebbte. Befördert worden war diese Chinafaszination in der aristokratischen wie bürgerlichen Gesellschaft maßgeblich durch Entdeckungsreisen und -berichte und von den großen Warenimporten der niederländischen Vereenigte Oostindische Compagnie und der englischen East India Company. Erst ab Ende des 18. Jahrhunderts trat mit einem realistischeren Chinabild auf der einen und dem Klassizismus auf der anderen Seite die antike Kunst Griechenlands und Italiens als neues Ideal in den Vordergrund.19 Diese Entwicklung zeigt sich an Augusts Vater Ernst II., der Korkmodelle von antiken Architekturen und Gipsabgüsse nach antiken Bildwerken ankaufte.20 An der Chinamode war er im Gegensatz zu seiner Mutter Luise Dorothea kaum interessiert. Besagte Herzogin erwarb zahlreiche ostasiatische und chinoise Porzellane; die meisten davon waren in ihrem Porzellankabinett und »im Gewölbe« untergebracht.21 Dazu gelangten mit dem Ankauf der Sammlung des Fürsten Anton Günther II. von Schwarzburg-Arnstadt im Jahr 1712 weitere Objekte aus Fernost zusammen mit Tausenden Münzen und Medaillen in die herzoglichen Sammlungen.22 Herzog August hatte demnach von klein auf Zugang zu Werken aus einem fremden Kulturkreis. Diese müssen ihn derart beeindruckt haben, dass trotz der allseits wachsenden Bewunderung für die klassische Antike zeitlebens Sinologica im Zentrum seines Interesses standen. Ausgehend von ihrem ästhetischen Genuss begann er, sich eingehend mit der ostasiatischen Kultur sowie Tier- und Pflanzenwelt auseinanderzusetzen und entwickelte eine regelrechte Sinophilie.23 Als Basis dienten ihm in diesem Zusammenhang Veröffentlichungen wie der Reisebericht des Händlers Andreas Everardus van Braam Houckgeest, aber auch der persönliche Austausch mit Standesgenossen und Wissenschaftlern.24 Von seinen Fachkenntnissen zeugt seine Korrespondenz mit Blumenbach, in welcher die Tierwelt und die Kunst des Fernen Ostens einen hohen thematischen Stellewert einnehmen.25 Abb. 3 Ludwig Emil Grimm, Johann Friedrich Blumenbach, Radierung auf Papier, 1823. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

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