Leseprobe

Luxus, Kunst & Phantasie Luxus, Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg als Sammler

Dieser Katalog wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung

Luxus, Kunst & Phantasie Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg als Sammler Friedegund Freitag für die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha (Hg.) Sandstein Verlag

Inhalt Tobias Pfeifer-Helke 6 Vorwort Friedegund Freitag 9 Einleitung Essays Annette Seemann 14 Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg – Eine biografische Skizze Maria Schröder 26 Geistreich, vielgestaltig, leidenschaftlich – Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg als Sammler Frank Ziegler 40 Herzog August und sein Verhältnis zu Musik & Musikern Friedegund Freitag 50 Herzog August und die bildenden Künstler Patricia Kleßen 62 Herzog August als Schriftsteller Holger Kürbis 70 Diese Welt ist nicht genug – Herzog August als sammelnder Fürst im Kontext von Dynastie und Standesgenossen Irene Haberland, Marie-Luise Gothe 80 Eine »schickliche, standesmäßige Wohnung auf unserem hiesigen Residenz-Schloß« – Zur Ausstattung des Erbprinzenappartements im Westflügel von Schloss Friedenstein

Katalog 96 Herzog August – Facetten einer Persönlichkeit 110 Herzog August als Zeichner 120 Herzog August und die Tonkunst 128 Herzog August als ›Homme de lettres‹ 138 Die ägyptische Sammlung 146 Die Sammlung orientalischer Handschriften 156 Die ethnografische Sammlung 164 Kunstwerke aus Holz & Elfenbein 172 Zeugnisse der herzoglichen Wohnkultur 180 Die Gemäldesammlung 188 Memorabilia 194 Die Fächersammlung 206 Die ostasiatische Sammlung 218 Außergewöhnliche Geschenke 228 Die naturkundlichen Sammlungen Anhang 240 Gedruckte Quellen und Literatur 251 Personenregister 255 Abkürzungen 255 Abbildungsnachweis 256 Impressum

— 14 — Herzog August von Sachsen-Gotha- Altenburg Annette Seemann Eine biografische Skizze

— 15 — »Der Herzog Emil Leopold August […] gehört zu den geistvollsten und interessantesten, aber auch wunderlichsten und zerfahrendsten Persönlichkeiten, die jemals auf einem Thron gesessen haben.«¹ Der am 23. November 1772 in Gotha geborene Prinz hieß mit vollem Namen Emil August Leopold und war zunächst nicht zum Herrscher des kleinen mitteldeutschen Fürstentums bestimmt, vielmehr sah man für ihn die übliche militärische Laufbahn vor. Sein Vater war Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (Abb. 1), seine Mutter Charlotte Amalie, Tochter Herzog Anton Ulrichs von Sachsen-Meiningen. Augusts Status änderte sich, als der 1770 erstgeborene Ernst im November 1779 starb. Nunmehr war er designierter Thronfolger. Einen weiteren Sohn, Friedrich, hatte Herzog Ernst gewissermaßen als ›Reserve‹ im Notfall parat. August muss als Kind wahrgenommen haben, dass sein Vater Gotha zu einem Zentrum der Naturwissenschaften ausbaute. Ernst II. begeisterte sich besonders für die Astronomie und errichtete zwischen 1788 und 1791 eine feste Sternwarte auf dem Seeberg, die bald europaweit bekannt war: Franz Xaver von Zach leitete sie bis 1804. Er gab ab 1798 die Allgemeinen Geographischen Ephemeriden heraus, bildete junge Wissenschaftler wie etwa den bekannten späteren Astronomen und Staatsmann Bernhard August von Lindenau aus und bereitete die Landesvermessung Thüringens vor.2 Er, wie andere Persönlichkeiten, die Ernst II. in den Staatsdienst aufgenommen hatte, wirkte unter Herzog August, dem zahlreiche Zeitgenossen große Menschenkenntnis zuschrieben, weiter. Hans Wilhelm von Thümmel machte dieser selbst zum Minister (Abb. 2).3 Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch das Gothaer Original Johann Georg August Galletti, der von einem italienischen Opernsänger abstammte. Der Historiker und Geograf war seit 1778 an Gothas Gymnasium Illustre Professor und veröffentlichte als Landeshistoriograf eine fünfbändige Geschichte und Beschreibung des Herzogtums Gotha sowie eine sechsbändige Geschichte Thüringens. Er publizierte ab 1808 auch die erste Geschichte der Französischen Revolution. Skurril wegen seiner Zerstreutheit, gehört der international anerkannte Gelehrte zu den besonderen »Typen« Gothas, die den Erbprinzen und späteren Herzog sicherlich prägten. Zum Kreis der Gothaer Spezialisten zählen der mit Herzog August fast gleichaltrige Karl Ernst Adolf von Hoff (Abb. 3), der als Mineraloge und Geologe Staatsbeamter wurde,4 sowie der Geologe, Paläontologe und Staatsmann Ernst Friedrich von Schlotheim, der 1817 erst Kammerpräsident, 1818 dann Oberhofmarschall wurde und als Geologe – auch er Mitglied der Leopoldina – mit Hoff zusammenarbeitete.5 Ebenfalls nennen muss man den noch von Ernst II. 1804 als Hofmaler angestellten Maler Friedrich Johann Christian Kühner,6 dem August 1805 eine siebenjährige Bildungsreise nach Italien ermöglichte: Eine Grundeigenschaft Augusts war seine Großzügigkeit gegenüber Menschen, die ihm förderungswürdig erschienen. All jene und viele weitere, im wesentlichen Naturwissenschaftler, aber auch Künstler, umgaben den Herzog von Jugend an; ihre Spezialfelder hatte er schätzen gelernt. Seine Erziehung wurde ab 1779 Freiherr Joachim von der Lühe aus Stuttgart anvertraut, ebenso wie Herzog Ernst II. Freimaurer und der Gothaer Loge Zum Rautenkranz sowie dem Illuminatenorden angehörend, in dem Lühe den höchsten Grad im zwölfstufigen Ordenssystem innehatte. Auch dessen dichterisch begabte Frau Caroline, geborene von Brandenstein, eine früh musikalisch geförderte Frau, die regelmäßig in Almanachen7 Gedichte veröffentlichte und ab etwa 1780 mit von der Lühe verheiratet in Gotha ein großes Haus führte, übte wahrscheinlich Einfluss auf die ästhetische Bildung des jungen Prinzen aus.8 Später wurde August gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich von Samuel Élisée Bridel-Brideri aus der französischen Schweiz unterrichtet. Bridel-Brideri betrieb die Erforschung der Moose (Bryologie) und veröffentlichte dazu mehrere Arbeiten; er war Mitglied der Akademie Leopoldina und ab 1804 Geheimer Legationsrat und Bibliothekar am Gothaer Hof. Abb. 1 Unbekannter Künstler, Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, Öl auf Leinwand, um 1800. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

— 16 — Vom Spezialistentum bis zur Skurrilität ist der Weg manchmal sehr kurz – so kann sich die Entwicklung des Erbprinzen August denken lassen, der alle adligen Leibesübungen wie Reiten, Jagen und Fechten (damit auch des Militärs!) zutiefst ablehnte und innerhalb des Spezialistentums noch unbesetzte Nischen der Schönheit im Kosmos seines kleines Fürstentums auffinden wollte oder musste: Ohne jemandem ernsthaft zu schaden, hatte er zur vergötternden Anbetung wie zum maliziösen Spott Inklinationen. Hinzu trat seine (und die seines Bruders) frühe körperliche Zartheit und Kränklichkeit, weshalb die besorgten Eltern sie 1788 mit 16 beziehungsweise 14 Jahren zur Kräftigung nach Genf schickten.9 Drei Jahre später kehrten sie nach Gotha zurück. Der jetzt erwachsene August war, ehe er in späteren Jahren an Gewicht zulegte, groß und feingliedrig, ein schöner blonder Mann mit fast weiblichen Zügen. Die Schiefstellung eines Auges, verbunden mit Fehlsichtigkeit, fiel allerdings auf (Abb. 4, 5). Es folgten durch den Jenaer Professor Johann August Heinrich Ulrich für die Prinzen gehaltene Philosophie-Vorlesungen,10 Geheimrat Johann Karl von der Becke las für sie Geschichte und Staatsrecht des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, Archivar Philipp Friedrich Welker lehrte die Geschichte des kleinen Fürstentums – Erbprinz August nahm ab 1796 an den Regierungssitzungen teil.11 Schon mit 23 Jahren begann er, mit Goethe zu korrespondieren. Professor Ulrichs Vorlesungen haben die beiden Prinzen vermutlich stark geprägt: Im Gegensatz zur Kantischen Philosophie postulierte er als Determinist ein Abb. 2 Friedrich Wilhelm Doell, Hans Wilhelm von Thümmel, Gipsbüste, lasiert, 1791. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha Abb. 3 Samuel Friedrich Diez, Karl Ernst Adolf von Hoff, Bleistift, Pinsel, Tusche, 1834. Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin

— 17 — holistisches und sensualistisches Weltbild mit einer Leibseele als Einheit und billigte jedem Einzelnen zu, eigene Ideale zu entwickeln und zu verfolgen, die es ihm ermöglichen sollten, immer mit angenehmen Empfindungen ausgestattet zu sein.12 Beide Prinzen sollten später erziehungskonform in den weichen Feldern ihres Handlungsspielraums, also hinsichtlich der Geselligkeit, der persönlichen Lebensführung, des Umgangs mit den Mitmenschen und der Einrichtung ihrer Domizile die eigenen ästhetisch und weltanschaulich bestimmten Entscheidungen präferieren und sich nicht nach damals üblichen Comments richten. Herzog August ließ daher später in kritischen Fragen, wie etwa beim Religionswechsel seines Bruders Friedrich zum katholischen Glauben in Rom 1816, Toleranz walten. Obwohl der Casus im gesamten Land und über die Grenzen hinaus Wellen schlug, waren das mitteldeutsche Gebiet damals doch unverbrüchlich und herkömmlich protestantisch und gerade der sächsisch-ernestinische Stamm mit Luther und der Reformation auf das Engste verbunden, man denke nur an das Exil des Reformators auf der thüringischen Wartburg. Insofern erstaunt Augusts Toleranz angesichts dieses »Traditionsbruchs«. Konzessionen von seiner Seite gab es auch im Kerngeschäft, der Verpflichtung, in die dynastische Sukzession einzutreten: Augusts Vater, Herzog Ernst II., wünschte sich wie alle Fürsten damals eine frühe Ehe seines Thronfolgers. Da kein Protest seitens des Erbprinzen laut wurde, unternahm man eine Brautfahrt nach Mecklenburg-Schwerin. Bruder Friedrich fungierte als Brautführer, die Prinzen reisten mit von der Lühe nach Ludwigslust – dort war die Verlobung der jungen Prinzessin Luise Charlotte von MecklenburgAbb. 4 Alexander Molinari zugeschrieben, Erbprinz August von Sachsen-Gotha-Altenburg, Öl auf Leinwand, 1798/99. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha Abb. 5 Joseph Grassi, Prinz Friedrich von Sachsen-Gotha-Altenburg, Öl auf Leinwand, um 1792/1805. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

— 26 — Geistreich, vielgestaltig, leidenschaftlich Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg als Sammler Maria Schröder

— 27 — Mit Elfenbein, Perlmutt, Schildpatt oder Federn verzierte Fächer und Sonnenschirme, purpurrote Paradiesvögel, Armbänder, Ringe mit geschnittenen Steinen, Ambra, Moschus, Zedernholz, Flacons mit ›Eau de Lavande‹, aufwendig gestaltete Tabatieren sowie tibetanische und chinesische Tusche sind nur einige der Luxuswaren, die der prachtliebende Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg regelmäßig im Handel bestellte. In schier ungezügeltem Ausmaß kaufte er derlei schöne, teils seltene Gebrauchs- und Kunstgüter an, um sie in seinen »Kunst- und Seltenheit-Sammlungen«1 aufzustellen, zu benutzen und mit allen Sinnen zu genießen. Auf diese Weise vermehrte er die herzoglichen Sammlungen zur europäischen Kunst. Es bildeten sich unter seiner Regierung aber auch asiatische, orientalische und naturkundliche Spezialsammlungen heraus. Der Sammeleifer, den der Herzog vor allem bei Objekten fremder Kulturen an den Tag legte, hatte einen hohen Preis: Bei seinem Tod 1822 hinterließ er Privatschulden von 528997 Reichstalern und 18 Groschen (Abb. 1).2 Diese enorme Schuldenlast veranlasste seine einzige Tochter, Prinzessin Luise, der er sein gesamtes Vermögen (Allodialnachlass) vermacht hatte, das Erbe auszuschlagen.3 In dem Willen, die Sammlungen zu erhalten, handelte Minister Bernhard August von Lindenau unter seinem Nachfolger und jüngeren Bruder Friedrich IV. Vergleichszahlungen mit den Gläubigern aus.4 Diese wurden infolge des frühen Todes Friedrichs IV. 1825 lediglich partiell realisiert. Insbesondere die noch immer im früheren Appartement Herzog Augusts im Westflügel des Schlosses Friedenstein aufbewahrten zahlreichen Mobilien und Preziosen – wie Möbel, Uhren, antikes Geschirr, Ketten, Orden, Armbänder, Ringe, Bonbonieren und Dosen – wurden daraufhin 1831 weitgehend versteigert, um die Schulden zu begleichen.5 Abb. 1 Unbekannter Autor, Uebersicht sämmtlicher Fo[r]derungen an den Privat-Nachlass des Hoechstsee. Herzogs August [...], [um 1824]. Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Gotha

— 28 — Ein Großteil seiner Ölgemälde, Handzeichnungen und Kupferstiche, die Bestände seiner Gewehrkammer sowie die asiatischen und orientalischen Sammlungen verblieben hingegen im Schloss und gingen in die herzoglichen Sammlungen über. Auf diese Weise zeugen sie noch heute von den vielgestaltigen Interessen und der regen Sammeltätigkeit des Herzogs. Der vorliegende Beitrag gewährt einen thematischen Einblick und stellt durch die Auswertung von Briefen, Rechnungen und zeitgenössischen Lebensbeschreibungen das reiche Netzwerk vor, durch welches August die Sammlungen zusammentrug. Mittels schriftlicher Quellen wird anschaulich, dass die Fülle seiner Erwerbungen weit größer und mannigfaltiger war, als die erhaltenen Bestände erahnen lassen, denn nicht nur durch die Versteigerung von 1831, sondern auch in späteren Jahren gingen aus unterschiedlichen Gründen zahlreiche, teils fragile und verderbliche Objekte wie Federn und konservierte Pflanzen sowie Tierpräparate verloren.6 H erzog Augusts Interessen innerhalb des Sammelwesens des 18. und 19.Jahrhunderts In einem Brief an den Kaufmann Karl Joseph Meyer (Abb. 2) in London thematisierte Herzog August seinen »Geschmack fuer das Schoene und Seltene«.7 Eben das Schöne und Rare erwecken seit jeher Staunen, Neugier und großes Interesse. Edle und kuriose Gegenstände aus seltenen Materialien und bearbeitet mit unterschiedlichen Kunsttechniken wurden daher früh von Herrschern gesammelt und seit dem 16. Jahrhundert in Kunst-, Raritäten- und Wunderkammern aufbewahrt. Ein Paradiesvogel, Straußeneier, »west Indian[ische]« und taiwanesische Muschel- und Schneckenhäuser sowie chinesische Bücher und Gemälde befanden sich bereits in der Kunstkammer des Begründers des Herzogtums Sachsen-Gotha und Erbauers des Schlosses Friedenstein, Ernsts des Frommen.8 Insofern grenzte sich August mit seinem Geschmack weder von Standesgenossen noch von seinen Vorgängern und Nachfolgern ab. Natürliche und künstliche Raritäten fremder und alter Völker bildeten innerhalb seiner Sammeltätigkeit jedoch keine Ausnahme, sondern waren sein Sammelschwerpunkt, was zu ihrer maßgeblichen Erweiterung und der Bildung von Spezialsammlungen führte, mit dem Ziel, ein Chinesisches Kabinett und ein Orientalisches Museum9 zu errichten. Angedacht war demnach, eigenständige Sammlungsbereiche aufzubauen und die Ankäufe nicht mehr in die Kunstkammer zu integrieren – wie bei der Münzsammlung, die bereits 1712 aus der Kunstkammer ausgegliedert wurde und sich als Münzkabinett neu formierte.10 Eine derartige Zergliederung der Kunstkammer in ihre einzelnen Bestandteile bei einer gleichzeitigen Aufwertung ihrer Teilbereiche ist ein verbreitetes Phänomen im Sammelwesen des 18. Jahrhunderts.11 Das Sammeln bedeutender Einzelstücke wurde abgelöst durch die systematische Erschließung von Lehrsammlungen. Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt zur Bereitstellung der Sammlungen für eine breitere Öffentlichkeit in Form von Museen, wie dem Orientalischen Museum.12 Letzteres wurde zwar nie verwirklicht, aber Friedrich IV. öffnete in Schloss Friedenstein 1824 ein Herzogliches Museum für das interessierte Publikum.13 Die Sammeltätigkeit Herzog Augusts war trotz größerer Ambitionen somit gekennzeichnet durch die Gründung von Spezialsammlungen, die seine individuellen Interessen wiederspiegelten, im Bereich der Naturkunde aber auch entscheidend durch die Direktoren der jeweiligen Kabinette forciert wurden.14 Eine große Anzahl Bücher und Objekte aus der Natur und Kunst bewahrte August zugleich in seinen Schlaf- und Wohnzimmern auf.15 Er hatte auf diese Weise die Möglichkeit, sich fortwährend an den Werken zu ergötzen, sich mit ihnen inhaltlich auseinanderzusetzen und zu identifizieren, was maßgeblich zu seiner kunstsinnigen und gebildeten Persönlichkeit beigetragen haben könnte. Abb. 2 Unbekannter Künstler, Karl Joseph Meyer, Stahlstich auf Papier, 1866. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

— 29 — Sinologica – Sinophilie – Chinesisches Kabinett Schon vor seiner Regierungsübernahme 1804 verfolgte Herzog August den Entschluss, ein Chinesisches Kabinett zu errichten. In einem Brief an seinen Freund Johann Friedrich Blumenbach (Abb. 3) von 1802 bewarb er sein anscheinend bereits reich bestücktes Kabinett wie folgt: »Meine Bewunderung und noch mehr der Anblick eines großartigen chinesischen Kabinetts wird Sie für Ihre Mühe entschädigen. [.. .] mit einem Wort, bei mir erwartet Sie ein Schatz an Raritäten, die Sie in einen Freuden- und Überraschungsrausch versetzen werden.«16 Inwiefern sich August beim Aufbau des Kabinetts an auswertigen Sammlungen orientierte, ist kaum erforscht. Es wurde bislang allein darauf hingewiesen, dass ein aus dem 19. Jahrhundert erhaltenes Architekturmodell eines chinesischen Salons von einer Auseinandersetzung Augusts mit der zeitgenössischen chinoisen Raumkunst zeugen könnte.17 Dieses Modell weist konzeptionelle Verbindungen zum Chinese Drawing Room im Carlton House in London auf, das auf Anlass des späteren englischen Königs Georg IV. errichtet wurde und mit Porzellanen, Elfenbeinen, Waffen, Musikinstrumenten und anderem mehr zahlreiche Kulturgüter des Fernen Ostens barg.18 Herzog August war also nicht der einzige Regent, der im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert eine Vorliebe für Ostasiatica hegte, wenn sich auch das phantastische, positive Chinabild bereits wandelte und damit die seit dem 17. Jahrhundert anhaltende Vorliebe für ostasiatische und chinoise Kunst abebbte. Befördert worden war diese Chinafaszination in der aristokratischen wie bürgerlichen Gesellschaft maßgeblich durch Entdeckungsreisen und -berichte und von den großen Warenimporten der niederländischen Vereenigte Oostindische Compagnie und der englischen East India Company. Erst ab Ende des 18. Jahrhunderts trat mit einem realistischeren Chinabild auf der einen und dem Klassizismus auf der anderen Seite die antike Kunst Griechenlands und Italiens als neues Ideal in den Vordergrund.19 Diese Entwicklung zeigt sich an Augusts Vater Ernst II., der Korkmodelle von antiken Architekturen und Gipsabgüsse nach antiken Bildwerken ankaufte.20 An der Chinamode war er im Gegensatz zu seiner Mutter Luise Dorothea kaum interessiert. Besagte Herzogin erwarb zahlreiche ostasiatische und chinoise Porzellane; die meisten davon waren in ihrem Porzellankabinett und »im Gewölbe« untergebracht.21 Dazu gelangten mit dem Ankauf der Sammlung des Fürsten Anton Günther II. von Schwarzburg-Arnstadt im Jahr 1712 weitere Objekte aus Fernost zusammen mit Tausenden Münzen und Medaillen in die herzoglichen Sammlungen.22 Herzog August hatte demnach von klein auf Zugang zu Werken aus einem fremden Kulturkreis. Diese müssen ihn derart beeindruckt haben, dass trotz der allseits wachsenden Bewunderung für die klassische Antike zeitlebens Sinologica im Zentrum seines Interesses standen. Ausgehend von ihrem ästhetischen Genuss begann er, sich eingehend mit der ostasiatischen Kultur sowie Tier- und Pflanzenwelt auseinanderzusetzen und entwickelte eine regelrechte Sinophilie.23 Als Basis dienten ihm in diesem Zusammenhang Veröffentlichungen wie der Reisebericht des Händlers Andreas Everardus van Braam Houckgeest, aber auch der persönliche Austausch mit Standesgenossen und Wissenschaftlern.24 Von seinen Fachkenntnissen zeugt seine Korrespondenz mit Blumenbach, in welcher die Tierwelt und die Kunst des Fernen Ostens einen hohen thematischen Stellewert einnehmen.25 Abb. 3 Ludwig Emil Grimm, Johann Friedrich Blumenbach, Radierung auf Papier, 1823. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

— 30 — Infolgedessen beschränkten sich die Ankäufe Augusts für das Chinesische Kabinett nicht auf seltene, kostbare Kunstwerke, sondern unter ihnen finden sich ebenso lebendige und präparierte Tiere und Pflanzen, exotische Materialien und Alben mit Genre- und Architekturdarstellungen, die einen umfassenden Einblick in die ostasiatische Um- und Lebenswelt geben (Kat.-Nr. 70).26 Der Herzog trug damit eine Kollektion im völkerkundlichen Sinne zusammen, die noch Jahrzehnte später durch den Direktor des Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinetts Johann Heinrich Möller in seiner Ethnographischen Übersicht des chinesischen Reiches. Als Wegweiser durch das Chinesische Cabinet von 1850 gewürdigt wurde. Äußerst lobend hob Möller hervor, dass August unter hohen Kosten thematische Lücken durch passende Bildwerke und Holzschnitte geschlossen habe.27 Eines der selbsterklärten Ziele des Herzogs war es, ein chinesisch-kaiserliches Prunkgemach nachzubilden. Zu diesem Zweck bestellte er einen »[d]etaillirten, colorirten und nach großen Proportionen aufgenommenen Auf- und Grund-Riß eines ächt chinesischen kaiserlichen Prunck-gemach[s]«, damit er in der Lage wäre, dieses Vorbild detailgetreu nachzuahmen und auszustatten, sodass »jede Lampe, jeder Leuchter, jede Kiste und Kasten, jedes Bild & Säule nachgebildet seyn«.28 Entgegen einer in der jüngeren Forschung vertretenen Annahme löste August zur Realisierung des Chinesischen Kabinetts aus der Kunstkammer keine oder nur wenige ostasiatische Bestände heraus.29 Im Kunstkammerinventar von 1764 sind zwar unter seiner Regierungszeit Entnahmen vermerkt, diese stellte er aber wahrscheinlich primär in seinem Appartement aus.30 Erst unter Friedrich IV. wurden 1824 dezidiert für das Chinesische Kabinett Gegenstände aus der Kunstkammer entnommen und dieses maßgeblich erweitert.31 Anders als der Name vermuten lässt, fanden aber bereits zur Zeit Herzog Augusts nicht allein Werke aus China, sondern ebenso aus Japan, Indien, Korea, Indonesien und Europa in das Kabinett Eingang.32 A egyptiaca – Ägyptomanie – Orientalisches Museum »Egypten reizt mich«,33 äußerte Herzog August 1818 gegenüber dem in Gotha geborenen und zu dieser Zeit in London lebenden Kaufmann Karl Joseph Meyer, als dieser mit dem Gedanken spielte, es dem Wissenschaftler Ulrich Jasper Seetzen (Abb. 4) gleichzutun und den Orient zu bereisen. Wissend, dass August Seetzen bei dessen Expedition jahrelang unterstützt hatte,34 offenbarte Meyer dem Herzog seine noch unausgereiften Reisepläne. Trotz der fehlenden Bildung Meyers und der damit einhergehenden Aussichtslosigkeit des Vorhabens redete August ihm dieses nicht aus, sondern bestärkte ihn im Gegenteil darin, nach Ägypten zu reisen, weil er dies als Möglichkeit sah, seine Sammlung ägyptischer Altertümer nochmals zu erweitern. Dabei waren die umfangreichen Bestände, die ihm Seetzen zwischen 1804 und 1809 geschickt hatte und unter denen sich zahlreiche Aegyptiaca befanden, zu diesem Zeitpunkt nur teilweise ausgepackt und aufgearbeitet, nachdem Seetzen 1811 auf seiner Expedition ums Leben gekommen war.35 Lediglich die Handschriften und andere Schriftstücke sowie einige Kostbarkeiten, an denen der Herzog Gefallen fand – wie geschnittene Steine Abb. 4 Frederik Christiaan Bierweiler nach Eberhard Christian Dunker, Ulrich Jasper Seetzen, Schabkunst auf Papier, verlegt 1818 in Jever. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

— 31 — und vermutlich Federn – hatte man von den übrigen Transporten getrennt. Während die rund 3000 schriftlichen Werke in die herzogliche Bibliothek integriert wurden und diese dadurch zu einer der bedeutendsten Sammlungen orientalischer Schriften in Mitteleuropa wurde, ließ August die Edelsteine wiederholt in Schmuckstücke einfassen, die er in seinem Appartement aufbewahrte, wenn er sie nicht am Körper trug.36 Herzog August unterstützte ideell, finanziell und durch erforderliches Equipment die Orientreise Seetzens, wie vor ihm sein Vater.37 Als begeisterter Student der Erd- und Länderkunde war Ernst II. vermutlich primär an neuen Erkenntnissen im Bereich Geografie interessiert, während August vorzugsweise die orientalische und hier vor allem die altägyptische Kultur im Blick hatte. Am Ausgangspunkt seiner Reise in Wien erhielt Seetzen daher von August den Auftrag, Seltenheiten für ein Orientalisches Museum zu sammeln.38 Analog zu ostasiatischen Werken waren orientalische Altertümer früh Teil der Gothaer Kunstkammer und wurden von Augusts Vorgängern, darunter Friedrich II., als außergewöhnliche Stücke geschätzt.39 Eine kulturgeschichtliche Bedeutung kam ihnen bis dato kaum zu, was sich mit Seetzen ändern sollte. In seinem Reisetagebuch ist ein diesbezüglich sehr interessanter Dialog mit einem arabischen Astronomen wiedergegeben. Dieser fragte Seetzen, was man mit den nach Europa importierten arabischen Schriften anfange, woraufhin Seetzen versicherte, dass diese der Wissenschaft, wie der Lehre über die Religionen, dienen würden.40 Seetzen hatte also ein bewusstes und zielgerichtetes Kollektionieren orientalischer Altertümer im Sinn, mit dem Ziel, eine Lehrsammlung in Gotha auszubauen.41 Folglich war er und nicht Herzog August, obwohl dieser ihm Instruktionen für Einkäufe gab,42 der leitende Kopf hinter der orientalischen Sammlung. Der Herzog übernahm, anders als beim Chinesischen Kabinett, eher die Rolle eines interessierten Gönners, sodass er die Sammlung 1804 auch als »Cabinet de Seetzen« bezeichnete.43 Diese Schlussfolgerung scheint umso berechtigter, als man nicht nur mit dem Auspacken der Transportkisten bis zur – letztlich nicht erfolgten – Rückkehr Seetzens wartete, sondern das Vorhaben der Einrichtung eines Orientalischen Museums leider mit ihm starb und unter anderem die Aegyptiaca erst lange nach Augusts Tod 1831 zu einem Ägyptischen Kabinett vereinigt wurden.44 Dessen Interesse für ägyptische Altertümer blieb jedoch bestehen und wurde wahrscheinlich durch seine große Bewunderung für Napoleon Bonaparte zusätzlich bestärkt. Hervorragend zum Ausdruck kommt dies durch einen Auftrag an die Künstlerin Therese aus demWinckel: »O, wenn Sie mich lieben, so copiren Sie mir doch das gleichendste Brustbild meines leidenschaftlich verehrten Napoleon, doch Sie müssen diesen einzigsten und merkwürdigsten der Männer erst selbst gesehen haben, dann malen Sie ihn [...] Ah, s’il fallait aussi une victime sanglante à ce grand-prêtre et ce grand roi du monde, je lui offre mon cœur et je m’expose à son trait fulminant sans cligner des yeux; qu’on me nomme alors le dernier de ma raçe, un autel ne ressemble-t-il pas à un trône vide? [Ach, wenn dieser Hohepriester und große König der Welt selbst ein blutiges Opfer brauchte, ich böte ihm mein Herz dar und setzte mich seinen blitzenden Geschossen aus, ohne mit den Augen zu zucken. Möge man mich auch alsdann den Letzten meiner Art nennen. – Gleicht ein Altar nicht einem leeren Throne?]«45 KeinWunder also, dass Erinnerungsstücke an Napoleon in Form von Kleidungs- undGebrauchsgegenständen sowie von Bildwerken des Kaisers zu bevorzugten Erwerbungen des Herzogs zählten.46 In der Gothaer Sammlung befinden sich noch ein Hut des Kaisers (Kat.-Nr. 57), eine von ihm genutzte Schokoladentasse samt Unterschale (Kat.-Nr. 58) und Ludwig Doells Napoleon-Gemälde (Kat.-Nr. 56). Ferner prangen im sogenannten Türkischen Schlafzimmer im Westflügel des Schlosses innerhalb zweier Himmelshalbkugeln die Porträts Augusts und des Kaisers in Gestalt des Mondes und der Sonne an der Decke.47 Napoleon und August als die zwei maßgeblichen Gestirne und Fixpunkte des Himmels, die sich zwischen Tag und Nacht abwechseln und somit ergänzen – in dieser Glorifizierung seiner selbst gefiel sich August sicherlich sehr. Denkbar ist es, dass August sich mittels der von Seetzen zusammengetragenen ägyptischen Sammlung ebenfalls mit Napoleon identifizierte, der durch seinen Afrikafeldzug von 1798 bis 1801 maßgeblich zur Begründung der Ägyptologie als wissenschaftliche Disziplin beigetragen hatte. Im Rahmen des Zweiten Koalitionskriegs hatte er als General Ägypten besetzt, um eine französische Kolonie zu begründen und den Einfluss der Briten im Mittelmeerraum zu beschränken. Auch wenn ihm dies nicht gelang und der Afrikafeldzug militärisch einen Misserfolg darstellte, war der Feldzug doch für die Erforschung Ägyptens entscheidend, denn mit Napoleon reisten über 100 Gelehrte verschiedener Fachrichtungen. Ihre Forschungen mündeten in die 23-bändige Enzyklopädie Description de l’Égypte [. . .].48 Eine seit dem 18. Jahrhundert aufblühende Ägyptomanie in Europa wurde durch diese Veröffentlichung wie auch durch Dominique-Vivant Denons Beschreibung des Feldzugs in seinem Buch Voyage dans la Basse et la Haute Egypte zusätzlich beflügelt.49

— 80 — Eine »schickliche, standesmäßige Wohnung auf unserem hiesigen Residenz-Schloß« Zur Ausstattung des Erbprinzenappartements im Westflügel von Schloss Friedenstein Irene Haberland,1 Marie-Luise Gothe

— 81 — Am 3. August 1797 unterzeichnete der regierende Herzog Ernst II. ein Schreiben, in dem der Geheime Rat und Kammerpräsident Hans Wilhelm von Thümmel beauftragt wurde, im »Fall, daß sich unser Erbprinz vermählen sollten, für ihn und unsere künftige Frau Schwiegertochter eine schickliche, standesmäßige Wohnung auf unserem hiesigen Residenz-Schloß zubereiten zu laßen«. Herzog Ernst verwies im gleichen Schreiben auf »vorgelegte und von uns genehmigte Pläne«, die als Grundlage dienen sollten. Thümmel hatte freie Hand in der Auswahl der Arbeiter, Handwerker und Künstler. Auf die Möblierung der Räume ging der Herzog ebenfalls ein: Thümmel möge »auch von fremden Baumeistern und Künstlern Zeichnungen und Modelle anfordern, und unter diesen die Wahl der [...] Tapeten, Trumeaux, Curtes (?), Bureaux, Commoden, Tische, Stühle, Betten [treffen], von solchen Orten, wo sie am vorzüglichsten gearbeitet oder zu bekommen seyn werden«. Für die gesamte Neueinrichtung wurde eine Summe von 20000 Reichstalern zur Verfügung gestellt. Da diese Arbeiten bis zur Vermählung des Erbprinzen am 21. Oktober 1797 nicht vollständig ausgeführt werden konnten, wurden »interimistisch mehrere Zimmer« neben den bisherigen Räumen des Erbprinzen auf der Stein-Galerie im Ostflügel für das junge Ehepaar »zurechtgemacht«.2 In den kommenden Jahren wurden zehn Räume im zweiten Obergeschoss des Westflügels von Schloss Friedenstein für Erbprinz Emil August von Sachsen-Gotha-Altenburg und Erbprinzessin Luise Charlotte, geborene Prinzessin zu Mecklenburg-Schwerin, neu eingerichtet und ausgestattet; acht der Räume sind erhalten. Sie gelten heute als eine faszinierende, einheitliche Raumfolge mit einer einzigartigen Ausstattung der noch dem höfischen Zeremoniell verpflichteten Suite. Die Appartementfolge Entréeräume Jeweils ein Entréeraum eröffnet die Zimmerfluchten des Erbprinzen und der Erbprinzessin: zum einen der heute Marmorzimmer genannte erste, nördlichste Raum der Zimmerflucht Luise Charlottes, zum anderen das damals wie heute als Musikzimmer bezeichnete Gemach, das die Raumfolge Emil Augusts nach Süden eröffnete, zugleich aber auch einen Zugang nach Norden zu den Gemächern der Erbprinzessin bot. Beide Gemächer besaßen – neben dem letzten südlichen Zimmer – als einzige Räume der Zimmerfolge doppeltürige Zugänge von der Weimarer Galerie aus. Beide Räume zeichnen sich durch eine aus Reliefplatten des Bildhauers Friedrich Wilhelm Doell bestehende, umlaufende Dekoration aus. ImMärz 1799 hatte Doell das Musikzimmer fertiggestellt3 und erhielt dafür 506 Taler als Honorar. Es ist zu vermuten, dass das Marmorzimmer mit sechs großen hochrechteckigen Reliefs und sechs querrechteckigen kleineren Platten über den Türen und Fenstern als separate Auftragsarbeit und vermutlich noch vor demMusikzimmer fertiggestellt wurde.4 Die Audienzzimmer Südlich an die beiden Vorzimmer schließt sich jeweils ein Audienzzimmer an, jedes mit einem ausgeklügelten ikonografischen Programm: Das »Audienzzimmer der Durchl. Frau Erb-Prinzessin«5 verweist mit einer Sphinx (Abb. 1) in den beiden Supraporten der Türen auf die Funktion des Raums als Audienzzimmer6 und mit dem Deckenprogramm von Sol und Luna, der Personifizierung von Tag und Nacht, auf das immerwährend offene Ohr der Erbprinzessin für alle Anliegen ihrer Besucher. Die heutige Wandfassung dieses Raums entspricht nur noch in Rhythmus und Farbton der Wandbespannung der ursprünglichen Ausstattung, deren Gestaltung und Bemalung durch die in den Staatlichen Schlössern, Gärten und Kunstsammlungen MV, Schwerin aufgefundenen Ansichten von acht Räumen des Westflügels dem heutigen Betrachter jedoch wieder einen Eindruck der ursprünglichen Planung vermitteln.7 Abb. 1 Unbekannter Künstler, nördliche Supraporte des Audienzzimmers, kurzfristige, vorläufige Freilegung der Supraporte während einer restauratorischen Untersuchung, Juli 2020. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

— 82 — Während das erste Vorzimmer durch die Gipsreliefs von Doell und durch Marmorierung als einer etwas älteren Technik der Wandgestaltung bestimmt wird,8 wurde der Besucher im Audienzzimmer der Erbprinzessin mit auf glänzendem Atlas gemalten zarten Arabesken empfangen.9 Die abwechselnd gelbe und blaue Atlasseide erzeugte an der Wand einen feinen Schimmer und unterstrich charmant den besonderen Rang des Raums (Abb. 2).10 Die auf den seidenen Wandbespannungen ungemein leicht wirkenden floralen Arabesken verliehen dem Raum einen femininen Charakter. Die Arabeske – aus der Rocaille entwickelt – trat nach der Mitte des 18. Jahrhunderts einen Siegeszug durch die europäische Innenausstattung an und zählte zu den stilprägenden Elementen, die durch zahlreiche Stichwerke verbreitet wurden.11 Sie gehörte zu den verspielten, feinen Formen der Innenausstattung – im Audienzzimmer der Erbprinzessin prägte sie den gesamten Raum, dessen Wände rhythmisch in blaue und gelbe Kompartimente unterteilt waren, die ihrerseits wieder durch weiße Holzprofile bildmäßig eingefasst waren.12 Abb. 2 Unbekannter Künstler, bemalter Atlas, Rest der originalen Ausstattung des Audienzzimmers, um 1800. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha Abb. 3 Unbekannter Künstler, Rückwand des Ersten Zimmers des Erbprinzen, Aquarell, Feder, zwischen 1801 und 1804. Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen MV, Schwerin

— 83 — Das dem Audienzzimmer der Erbprinzessin entsprechende Gemach ihres Gatten wurde um 1800/1804 noch schlicht als »Erstes Zimmer des Erbprinzen« bezeichnet, erst 1805/06 taucht in den Rechnungen der Begriff »Audienzzimmer« auf. In der Wandgestaltung war und ist dieser heute »Fliederzimmer« genannte Raum ungleich schwerer in der Erscheinung: Die Farben Grün, Lila und Schwarz bestimmten den ersten Eindruck, der jedoch ursprünglich an der Ostwand durch einen weißen Kamin mit Spiegel auf weißem Grund gemildert wurde.13 Die auffallende Dekoration mit großen Mäandermustern und grünen Stoffbahnen14 an den Wänden sowie Arabesken aus Holz an der Decke, wie sie die Schweriner Aquarelle zeigen, konnte kürzlich durch Depotfunde und historische Aufnahmen nachgewiesen werden. Vermutlich wurde der Raum in den 1890er Jahren modernisiert und das Mäandermotiv an den Wänden und der Decke durch das noch heute erhaltene kleinteilige Art-déco-Muster ersetzt. Nur im Lambrisbereich ist das ursprüngliche schwarz-lilafarbene rechteckige Muster noch erhalten, wie es auf dem Aquarell gezeigt wird. Bis heute wird das kräftig wirkende Muster durch zarte Rosenblüten und -blätter gemildert, die die florale Seidenbemalung der Wände als Echo aufgreifen (Abb. 3). Die Wohnzimmer Südlich an das jeweilige Audienzzimmer schließt sich in beiden Raumfolgen ein Wohnzimmer an, auf den entsprechenden Aquarellen bei der Erbprinzessin als »Wohn-Gemach der Durchl. Frau Erb-­ Prinzessin«, in Augusts Suite schlicht als »Zweites Zimmer des Erb-Prinzen« bezeichnet. Im Fall Luise Charlottes war der Raum in zwei Bereiche unterteilt: einen quasi öffentlichen zur Fensterseite hin und ein als Privatissimum gestaltetes Boudoir an der Seite der Weimarer Galerie. Die einstige Ausstattung des durch eine auffallende Glaswand vom größeren Raumteil getrennten Boudoirs weicht in weiten Teilen von der heutigen ab: Geplant war offensichtlich eine leichte, helle Wandbespannung aus einem feinen Seidenatlas, die mit Blumenranken bemalt war. Diese zarten Blumengirlanden und -arabesken erinnern zugleich an die Arabesken im Audienzzimmer der Erbprinzessin und an das Laubenzimmer des Erbprinzen: In beiden Räumen fassten feine Blütenranken die einzelnen Wandkompartimente ein. Im Boudoir wurde die Tür zum Wohnzimmer hin von Weinranken und -trauben eingerahmt,15 die aus einer schlanken, pompejanisch anmutenden Karaffe aufsteigen. Reste dieser textilen Wandbemalung, die bis 1984 noch vorhanden war, haben sich vor Ort unter der jüngeren Wandverkleidung und im Depot der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha erhalten. So konnte jüngst ein beschnittenes Fragment zugeordnet werden, ein strohfarbener Seidenatlas mit der gut erhaltenen farbigen Fassung einer Weinranke mit Trauben. Die Gewebeanalyse der vergrauten Seide bestätigte im Vergleich mit anderen textilen Wandbespannungen die Zuordnung des Funds zur Erstausstattung (Abb. 4). Transparente Gemälde mit pompejanischen Motiven, die für eine indirekte Beleuchtung sorgen sollten, waren in der Ost- und der Südwand vorgesehen. Ob diese Glasgemälde tatsächlich so existiert haben, wie auf dem Schweriner Aquarell gezeigt, ist heute ungesichert.16 Das Wohnzimmer selbst war mit einer auffallenden Wandfassung versehen, die zur Festigung lackiert war, wie es um 1800 üblich war.17 Die einzelnen Wandpaneele von unterschiedlicher Breite sind alle identisch konzipiert: außen eingefasst von einem blaugrauen Fries aus quer- und hochovalen weiß-blauen Medaillons, die mit Girlanden und Zweigen umfasst und verbunden sind und den optischen Eindruck von Glaskristallen vermitteln sollten; innen daran angrenzend jeweils ein von Goldleisten eingefasstes Wandfeld, das auf einem roten Fond mit einem aufgespannten weißen Tuch bemalt ist (Abb. 5). Mit der Ausstattung des Raums im pompejanischem Stil wurde eine Mode aufgegriffen, die nach der Entdeckung von Herculaneum und Pompeji in der Mitte des 18. Jahrhunderts ganz Europa in ein Fieber ›à l’étrusque‹ versetzte – als Beispiele Abb. 4 Unbekannter Künstler, Seidenatlas grau, bemalt mit Weinlaub und Trauben, 1799, Fragment. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Herzog August – Facetten einer Persönlichkeit

Jean Paul erklärte, er sei ein »personificierter Nebel«,1 Karoline von Bechtolsheim hielt ihn noch im hohen Alter für einen »seltsamen Manne […], der, von Phantasie, Witz und Geistesfülle strotzend, der verkehrteste Kopf war«, dem sie je begegnet sei.2 Madame de Staël fand ihn »origineller als alle anderen Deutschen«, die sie kennengelernt habe: »er besitzt genügend Geist, gemischt mit Torheit, ein seltsames Gemisch, das, wenn man ihm zum ersten Male begegnet, ganz amüsant ist; er trägt dick auf und hat genügend philosophische Tiefe; sein Geschmack ist durchaus feminin, aber sein Geist ist ziemlich kühn.«3 Der Gothaer Kriegsrat Reichard erklärte, es sei niemandem möglich gewesen, die »buntscheckige Vielseitigkeit seines Wesens« zu erfassen, und betonte, August sei »im Umgange der liebenswürdigste, aufheiternste, geistreichste, verständigste glänzendste, hochsinnigste, decenteste, würdevollste Sterbliche; allein er konnte in ganz demselben Grade auch das grelle Gegentheil von dem allen sein.«4 Ohne Zweifel gab Emil Leopold August von Sachsen-Gotha-Altenburg seinen Zeitgenossen Rätsel auf. 1772 als zweiter Sohn des Herzogs Ernst II. und der Herzogin Charlotte Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg geboren, machte ihn der Tod seines älteren Bruders 1779 unerwartet zum Thronfolger. 1804 trat er die Regierung an. Wie sein jüngerer Bruder Friedrich litt er an einer als Albinismus bekannten Stoffwechselerkrankung, die sich in einer Fehlstellung der Augen, weißblonden Haaren und blasser Haut bemerkbar machte. Aufgrund seiner Sehschwäche schrieb August selten selbst, sondern diktierte lieber; er trug Perücken und schminkte sich stark.5 Dessen ungeachtet galt er als einer der schönsten Männer seiner Zeit. Ungewöhnlich, widersprüchlich, rätselhaft – Herzog August von SachsenGothaAltenburg 1 Isler 1879, S. 201, Jean Paul an Villers, 17. September 1810. 2 Oberndorff 1902, S. 103 f. 3 Götze 1928, S. 29. 4 Uhde 1877, S. 503. 5 Vgl. Binzer 1877, S. 100; Emde 2004, Bd. 1, S. 183.

— 98 — Er war schlank und hochgewachsen, neigte aber zu rundlichen, weichen Formen. Einem Zeitgenossen zufolge hätte er ein »schönes Modell des Bacchus« abgegeben.6 In vielem war er das genaue Gegenteil seines Vaters: phantasiebegabt, wortgewandt und witzig, mit einem Hang zum genialischen Chaos, putzsüchtig, verschwenderisch, körperlicher Abhärtung abhold, obwohl er gern tanzte und lange Spaziergänge unternahm. Das eiserne Pflichtbewusstsein Ernsts II. ging ihm ab, und während sein Vater als konsequenter Frühaufsteher schon am frühen Morgen arbeitete, blieb er oft bis zum Mittagessen im Bett. In seinen späten Lebensjahren empfing er dort sogar Besucher, kümmerte sich um Regierungsgeschäfte oder widmete sich seinen literarischen Projekten.7 Was ihn jedoch mit seinem Vater verband, war eine Abneigung gegen das höfische Leben. Ernst II. bevorzugte die Gesellschaft von Gelehrten, August wiederum zog sich gern auf ein entlegenes Landschloss zurück und umgab sich mit nur wenigen Vertrauten. Carl Maria von Weber, der eine solch herausragende Vertrauensstellung beim Herzog genoss, berichtete: »Wenigen Menschen würde im Ganzen diese Einsamkeit behagen in der sich der Herzog so wohl gefällt, wo er vom lästigen Getümmel des Hofes entfernt, nur die Menschen die er sehen will um sich hat. Ueberhaupt ist er mit seiner unendlich regen Phantasie überall zufrieden und zu Hause.«8 Bis zu einem gewissen Grad durch seine fürstliche Würde geschützt, verstieß August oft unbekümmert gegen gesellschaftliche Konventionen. Johann Wolfgang von Goethe hatte einen weit klareren Blick als er, was die Konsequenzen derartiger Regelbrüche betraf: »Schade daß er nicht fühlt, oder nicht fühlen will, wie hoch einem die Menschen ein Geringes anrechnen wodurch man sie verletzt, und wie sehr ihnen das seltsame fast mehr als das böse zuwider ist. Wie die Sachen jetzt stehn und gehen wird jedermann irre an ihm und wie es angefangen hat wird es endigen.«9 Insbesondere begehrte August gegen den gesellschaftlichen Kodex auf, der ihm eine bestimmte – nicht nur sexuelle – Identität und ein damit konformes Verhalten aufnötigte. Seiner Seelenverwandten Sidonie von Dieskau gegenüber haderte er mit den »mühsam mir angeklebten erbärmlichen Schlacken der mir angezwängten Männerey«.10 Er unterschied zwischen seiner öffentlichen und seiner privaten Person. Regierungsakten unterzeichnete er mit »August«, persönliche Briefe dagegen mit »Emil« oder in der französischen Form »Émile«. In seinen literarischen Werken nahm er oft eine weibliche Perspektive ein.11 Wohl vor allem seinem Vater Ernst II. zuliebe ging er zweimal die Ehe ein.12 Wäre die Entscheidung ihm allein überlassen geblieben, hätte er vielleicht einen anderen Lebensweg für sich gewählt. Dass er sich in seiner Rolle als Ehemann nicht allzu wohl gefühlt und gewisse dynastische Erwartungen enttäuscht haben dürfte, lässt ein Besuch des Herzogs Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin vermuten, der Anfang Juli 1798 nach Gotha reiste, um »seinen Schwieger Sohn zu seinen pflichten anzuhalten«.13 Seinem einzigen Kind Luise war August ein liebevoller, vielleicht zu nachsichtiger Vater. Leider begriff er nicht, dass er mit seinem unkonventionellen, oft grenzüberschreitenden Verhalten ein schlechtes Vorbild für seine Tochter abgab, die als Frau auf sehr viel weniger Nachsicht hoffen durfte als er als regierender Fürst.14 Die Geschichtsschreibung tat sich mit einer objektiven Beurteilung Herzog Augusts lange schwer. Sein Verhalten und seine Persönlichkeit reizten nicht nur Zeitgenossen zu abwertenden Kommentaren und scharfen Verurteilungen. Erst allmählich setzt eine ausgewogenere Betrachtung ein.15 FF 6 Jacobs 1822, Sp. 497 f. 7 Thümmel 1818, S. 91 f.; Jacobs 1822, Sp. 499 f. 8 Zit. nach Weber 1864, S. 465. Vgl. Dreißig/Martens 2012, S. 287. 9 Grumach 1999, S. 507, Goethe an Silvie von Ziegesar, 3. August 1808. 10 Eichstaedt 1823, S. 50, August an Sidonie von Dieskau, 19. November 1815. Zu der Beziehung zwischen beiden vgl. Augusts Briefe an Ernst Wagner in: Mosengeil 1826, Bd. 2, S. 27, 35 f., 41 f., 51; Binzer 1877, S. 99 f. 11 Vgl. Jacobs 1837. 12 Vgl. Thümmel 1818, S. 90. 13 Emde 2004, Bd. 1, S. 202, Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach an Caroline Jagemann, 27. Juni 1798. 14 Vgl. Grunewald 2013, S. 36–47. 15 Vgl. [Ungern-Sternberg] 1857; Walesrode 1865; Beck 2012 [1868], S. 428–451; Däberitz 2008; Klatt 2014.

— 99 — 1 Herzog Ernst II. von Sachsen-GothaAltenburg Friedrich Wilhelm Doell 1788 · Gips 74 × 61 × 43 cm SSFG, Inv.-Nr. P230 Provenienz: Herzogliche Kunstsammlungen. 1745 als zweiter Sohn Herzog Friedrichs III. und seiner Gemahlin Luise Dorothea geboren, wurde Ernst Ludwig nach dem Tod seines älteren Bruders Friedrich 1756 Thronfolger. 1772 trat er als Herzog Ernst II. die Regierung des Herzogtums SachsenGotha-Altenburg an. Seit 1769 mit Charlotte Amalie von Sachsen-­ Meiningen vermählt, wurde er Vater von vier Söhnen, von denen allerdings zwei bereits im Kindesalter starben. Seit 1779 wurde daher sein zweitältester Sohn August auf die Regierungsnachfolge vorbereitet. Ernst II. zeichnete sich durch strenges Pflichtbewusstsein, Disziplin und äußerste Sparsamkeit aus. Er stand früh auf und widmete sich zeitig den Regierungsgeschäften; er pflegte einen geregelten Tagesablauf und achtete auf körperliche Abhärtung sowie regelmäßige Bewegung. Persönlich eher bedürfnislos, lagen ihm der Aufbau der herzoglichen Sammlungen sowie die Pflege der Naturwissenschaften besonders am Herzen. In vielerlei Hinsicht war er das genaue Gegenteil seines Sohns August, der sich weniger durch einen nüchternen Verstand als durch eine überbordende Phantasie leiten ließ. Der langjährig für den Gothaer Hof tätige Bildhauer Friedrich Wilhelm Doell schuf 1788 eine Porträtbüste Ernsts II. aus Gips, die den Herzog in Uniform und mit natürlichem Haar statt einer Perücke zeigte. Leider hat sich dieses Werk in Gotha nicht erhalten. Bei der vorliegenden Büste dürfte es sich jedoch um eine Variante davon handeln. FF Quellen und Literatur Thümmel 1818, v. a. S. 70–92; Beck [2012] 1868, S. 436; Rau 2003, S. 105 f., 288, Nr. 117; Greiling 2005. 2 Erbprinz August von Sachsen-GothaAltenburg Friedrich Wilhelm Doell um 1788/1792 · Gips gefirnist 59 × 43 × 27 cm SSFG, Inv.-Nr. P280 Provenienz: Herzogliche Kunstsammlungen. Herzog Augusts Vater Ernst II. baute Gotha in seiner Regierungszeit zu einem Zentrum der Naturwissenschaften und Künste aus. Er berief Künstler wie den französischen Bildhauer Jean-Antoine Houdon an seinen Hof und erweiterte die herzoglichen Kunstsammlungen. So könnten auch August und sein jüngerer Bruder Friedrich in Kontakt mit den am Hof wirkenden Künstlern gekommen sein, etwa mit Friedrich Wilhelm Doell. Der aus der Nähe von Hildburghausen stammende Bildhauer und Stuckateur hatte sich 1771 im Auftrag des damaligen Erbprinzen Ernst beim französischen Bildhauer Jean-Antoine Houdon in die Lehre begeben, nachdem dieser sein viel gerühmtes Talent auch am Gothaer Hof bewiesen hatte. Doell wurde nach seiner Rückkehr im Jahr 1781 zum Hofbildhauer in Gotha ernannt. Im Auftrag Herzog Ernsts II. richtete er eine Zeichenakademie und ein damit verbundenes Antikenkabinett ein. Künstlerisch wurde er beispielsweise für die Fürstenhäuser in Gotha, Anhalt-Dessau und Meiningen tätig. Während der Regierungszeit Ernsts II. fertigte er im Zeitraum von 1788 bis 1792 unter anderem einige Porträtbüsten an, darunter die der Herzogssöhne August und Friedrich, die als idealisiertes Paar vermutlich für einen repräsentativen Zweck konzipiert waren. Da die Prinzen sich von 1788 bis 1791 zu Studienzwecken 1 2

— 100 — in Genf aufhielten, wurden die Büsten möglicherweise in ihrer Abwesenheit geschaffen, weshalb eine Modellierung auf Grundlage von Porträts und Zeichnungen wahrscheinlich ist. Das hier vorliegende Pendant zur Büste des jüngeren Bruders besteht aus Gips, der in Kaseintempera weiß lasiert wurde. Die Büste zeigt August als jungen Mann im Zivilfrack mit Halsbinde und hohem Kragen, dem sogenannten Umfallkragen. Seine Gesichtszüge sind sanft und weich geformt – ein Hinweis auf sein jugendliches Alter: August war, wenn man das Jahr 1788 als frühestmögliche Datierung der Büste ansetzt, gerade einmal 16 Jahre alt. Durch die Darstellung der Haare wird dies noch unterstrichen: Im Gegensatz zum Diktat des Hofzeremoniells und der Mode der Herrenfrisuren im ausgehenden 18. Jahrhundert wählte Doell für den Prinzen keinen festgedrehten Nackenzopf mit seitlichen Locken, sondern stattete ihn mit üppigem, frei fallendem Haupthaar aus, das lediglich mittig gescheitelt und hinten von einem Kamm gehalten wird. Die Büste ist frontal ausgerichtet, der Blick des Prinzen richtet sich empfindsam nach vorn. Ein nahezu identisches Brustbild hat sich in den Sammlungen erhalten (Inv.-Nr. P90). AW Quellen und Literatur Schäfer 1990, Bd. 1, S. 29; Schuttwolf 1995, S. 12, 166; Rau 2003, S. 288, Nr. 118; Wallenstein 2006, S. 80. 3 Herzogin Charlotte Amalie von SachsenGotha-Altenburg mit ihren Söhnen August und Friedrich am Denkmal des Erbprinzen Ernst um 1780 · Papier Scherenschnitt aus schwarz-glänzendem Papier, auf grünlich laviertes Papier geklebt, mit schwarz getuschten Details und Rahmen 32,4 × 33,9 cm SSFG, Inv.-Nr. G84,12 Provenienz: Nachlass Herzog Ernsts II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, später Nachlass Herzog Augusts von Sachsen-Gotha-Altenburg. Seit dem 17. Jahrhundert entwickelte sich der Scherenschnitt in Europa zu einer vielseitigen Kunstgattung. Eine besonders beliebte Form am Übergang zum Klassizismus und vor dem Hintergrund von Lavaters Physiognomik-Studien war die Porträtsilhouette. Das in Schwarz oder auch Weiß geschnittene, getuschte, später auch gestochene Bildnis erfreute sich beim Adel und beim Bürgertum großer Beliebtheit und wurde vielfach von Dilettanten, aber ebenso von ausgebildeten Künstlern hergestellt. Der Name »Silhouette« selbst ist von dem Generalkontrolleur der französischen Finanzen, Étienne de Silhouette, abgeleitet, dessen sparsamer Finanzkurs zu dem geflügelten Wort ›à la Silhouette‹ führte und mit dem spöttisch auf Sparsamkeit und Armseligkeiten hingewiesen wurde. Die Schattenrisse wurden vielfach als Wandschmuck genutzt, waren Bestandteil von Stammbüchern oder wurden in Sammelalben aufbewahrt. Letzteres trifft auf die Silhouette der Herzogin Charlotte Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg mit ihren Söhnen zu. Sie gehörte zu einem Konvolut von 181 Schattenbildern, die aus dem Nachlass Herzog Ernsts II. stammten und in den Besitz Augusts von Sachsen-Gotha-Altenburg übergingen. Sie zeigt auf der linken Seite eines Postaments mit Urnengefäß Herzogin Charlotte Amalie im Ganzkörperprofil mit voluminöser Frisur. Zur Urne gewandt, schmückt sie diese mit pflanzlichen Ranken. Auf dem Postament ist in einem Medaillon ein Profilbildnis ihres verstorbenen Sohns, Prinz Ernst, zu sehen. Rechts der Urne stehen zwei weitere, sich an den Händen haltende Kinder, Friedrich und August, von denen Letzterer mit seinem Finger auf die Urne hindeutet. Ernst war der erstgeborene Sohn des Gothaer Herzogpaars, der 1779 mit gerade einmal neun Jahren verstarb. Dieses für die Familie und das Herzogtum einschneidende Ereignis – mit dem Tod seines älteren Bruders wurde plötzlich August zum Erbprinzen – ist in mehreren, jeweils variierenden Schattenrissen festgehalten worden. Eine seitenverkehrte Ansicht, jedoch mit kleinen Unterschieden, die den Rock Charlotte Amalies, die Urne und das Profilbild Ernsts – nun mit Haarknoten am Nacken – betreffen, liegt ebenfalls in Gotha vor (Inv.-Nr. G84,3). Darüber hinaus existiert ein Familienbild in gleicher Anordnung, aber mit weiteren Veränderungen in Haltung, Kleidung und Frisuren, das zusätzlich Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg hinter August aufweist (KSW, Inv.-Nr. KSi/04768 sowie Inv.-Nr. unbekannt). Die Urne steht bei diesen Silhouetten in anderer Gestalt auf einer mannshohen Säule. Das Medaillon mit dem Profilbild des verstorbenen Kindes ähnelt nun aber jenem im zweiten Exemplar in Gotha und ist ebenso nach rechts ausgerichtet. Unverkennbar sind alle Schattenrisse also voneinander abhängig. Eines der Weimarer Blätter ist mit »Starcke fec.« signiert. Es handelt sich hierbei um den nicht weiter bekannten Thüringer Künstler F. C. X. Starcke (tätig um 1780). Inwiefern Starcke nach einer Vorlage des Gothaer Silhouetteurs Johann Friedrich Anthing arbeitete, wie in Weimar postuliert, und in welchem Verhältnis die unsignierten Schattenrisse dazu stehen, muss jedoch offenbleiben. UE Quellen und Literatur SSFG, Inventar 20, Kupferstichkabinett, Generalverzeichnis versch. Sammlungen, 1843, fol. 254r. Kroeber 1911, S. 175, Taf. 55a–c; Knapp 1916, S. 116, Taf. 36; Unbehaun 1996, S. 106 f. 3

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