19 Visuelle Geschichtskultur STEFFI TÖPFER Ungeliebtes Erbe Die sowjetischen Ehrenmale in Berlin und Wien 1945 bis 2010
Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor Philosophiae (Dr. phil.) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022, Sandstein Verlag, Goetheallee 6, 01309 Dresden Umschlagabbildung: Pioniere und FDJler beim Appell vor dem Sowjetischen Ehrenmal Treptow in Berlin. ddrba_00010602.jpg/ ID 67074. © ddrbildarchiv.de/Burkhard Lange. Redaktion: Wilfried Franzen Korrektorat: Sandstein Verlag Einbandgestaltung: Sandstein Verlag Gestaltung, Satz, Repro: Sandstein Verlag Druck: FINIDR, s.r.o. Bildrechte: S. 67, Abb. 62: Privatbesitz Dr. Helga Köpstein (Berlin) S. 103, Abb. 113: Österreichische Nationalbibliothek, ÖNB/Wien, US 12.834/2 S. 133, Abb. 116: Bundesarchiv Berlin, BArch, Bild 212-136 S. 160, Abb. 116: Privatbesitz Dr. Katrin Löffler (Leipzig) Alle nicht nachgewiesenen Abbildungen entstammen dem Privatarchiv der Verfasserin. www.sandstein-verlag.de ISBN 978-3-95498-691-0 Gedruckt mit Unterstützung des Leibniz-Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europa e.V. in Leipzig. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes. Der Titel ist als Open-Access-Publikation verfügbar über www.sandstein-verlag.de, DOI: 10.25621/sv-gwzo/VG-19 Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Non Commercial 4.0 Lizenz (BY-NC). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für nicht kommerzielle Zwecke (Lizenztext: https://creativecommons.org/ licenses/by-nc/4.0/deed.de). Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z. B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.
19 Ungeliebtes Erbe Die sowjetischen Ehrenmale in Berlin und Wien 1945 bis 2010 STEFFI TÖPFER SANDST E I N
Inhalt 7 Vorwort 1 Einleitung 9 1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellung 11 1.2 Vorgehensweise 12 1.3 Quellenlage 14 1.4 Forschungsstand 15 1.5 Theoretischer Ansatz: Konzepte von Geschichtspolitik 2 Ausgangslage und Entwicklung der außenpolitischen Beziehungen 23 2.1 Zwischen UdSSR und DDR – Eine lebensnotwendige Abhängigkeit 25 2.2 Zwischen UdSSR/Russländischer Föderation und Österreich – Beständiges Streben nach Unabhängigkeit 30 2.3 E xkurs: Österreich – Bundesrepublik Deutschland – DDR. Außenpolitische Beziehungen zur UdSSR und zwischenstaatliches Verhältnis 3 Sowjetische Ehrenmale in Europa 37 3.1 Die Entwicklung des Gefallenengedenkens im deutschsprachigen Raum und in der UdSSR/Russländischen Föderation 40 3.2 Sowjetische Ehrenmale in ostmittel- und südosteuropäischen Ländern 43 3.3 Sowjetische Ehrenmale in Deutschland und Österreich 45 3.4 Beschreibung der Anlagen und Interpretation ihrer Symbolik 82 3.5 Ensembles der Architektur der Stalin-Zeit
4 Das sowjetische Ehrenmal in Wien 93 4.1 Wien 1945 bis 1955: Ein sowjetisches Ehrenmal zwischen Befreiung, Niederlage und Besatzung 104 4.2 Wien 1955 bis 1990: Nach dem Staatsvertrag 111 4.3 Wien 1990 bis 2010: Bedeutungswandel des »Russendenkmals«? 118 4.4 Die geschichtspolitische Einordnung des »Russendenkmals« amWiener Schwarzenbergplatz (1945 bis 2010) 5 Die sowjetischen Ehrenmale in Berlin 131 5.1 Berlin 1945 bis 1949: Neue Denkmäler an alten Orten 140 5.2 DDR und West-Berlin 1949 bis 1990: Die Ehrenmale zwischen Außenseiterstatus und politischer Inszenierung 168 5.3 Berlin 1990 bis 2010: Sowjetische Ehrenmale als öffentliches Ärgernis, Erinnerungsort oder Touristenattraktion? 179 5.4 Die geschichtspolitische Einordnung der sowjetischen Ehrenmale in Berlin (1945–2010) 6 Zusammenfassung 203 Die sowjetischen Ehrenmale in Berlin und Wien 1945 bis 2010 Anhang 211 Abkürzungen 212 Quellen- und Literaturverzeichnis
2 Ausgangslage und Entwicklung der außenpolitischen Beziehungen
2.1 Zwischen UdSSR und DDR – Eine lebensnotwendige Abhängigkeit1 Nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 war es für die Staatsführung der SED bis 1955 unsicher, welchen Status das eigene Land von Seiten der UdSSR zugebilligt bekommen würde. Bezeichnend war hierbei das sich 1952/53 ereignende Zwischenspiel der sogenannten Stalin-Note,2 als für einen Moment eine Wiedervereinigung Deutschlands unter dem Vorzeichen blockfreier Neutralität möglich schien. Zugleich schuf sich die UdSSR schon seit 1945 ein System der Überwachungs- und Einflussmöglichkeiten innerhalb der SBZ bzw. DDR, zu deren Durchsetzung und Bestand die SED mit differenzierten Formen und Methoden beitrug3 und das bis 1989 bestehen sollte. Als Stalin am 5. März 1953 verstarb, entstand ein Machtvakuum innerhalb der Führungsspitze der UdSSR, das sich – bedingt durch den Aufstand vom 17. Juni 1953 – nicht nur auf die innen-, sondern auch auf die außenpolitische Stabilität der DDR auswirkte. Noch ohne zugebilligte staatliche Souveränität durch die UdSSR unterstützte diese das SED-Regime jedoch bei der Niederschlagung dieses Aufstandes militärisch, was die SEDFührung wieder stabilisierte.4 Nicht nur dasmilitärische Eingreifen der UdSSR während des Aufstandes, sondern auch die dauerndemilitärische Präsenz der sowjetischen Truppen in der DDR prägten das Bild der Ostdeutschen über die Sowjetunion.5 Dagegen zeigten sich Vertreter der »sowjetischen Streitkräfte« auch noch nach 1989 überzeugt, dass ihre Stationierung »wichtigstes Mittel für den Machterhalt der SED« war sowie der »Stärkung der Positionen des Sozialismus in Europa« diente.6 Nach der vom damaligen Ersten Sekretär des ZK der KPdSU Chruščëv 1955 geäußerten Zwei-StaatenTheorie half die Sowjetunion der DDR, ihre wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu den der UdSSR zugeneigten Staaten sowie zum Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) auszubauen. Fortan sollten zudemdie intensiven Beziehungen zwischen DDR und Sowjetunion zu einer »deutsch-sowjetischen Freundschaft« ausgestaltet werden, die bis 1989 offiziell Bestand hatte. Nach dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO am 9. Mai 1955 gehörte die DDR im Gegenzug – fast zwangsläufig – zu den »gleichberechtigten Mitunterzeichnern« des Warschauer Pakts vom 14. Mai 1955. Sie gewann somit an staatlicher Souveränität, auch gegenüber der Sowjetunion. Dies zeigte sich u. a. in einem am 20. September 1955 von DDR und UdSSR unterzeichneten bilateralen Vertrag. Dieser definierte die Beziehungen mit »völliger Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung der Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten«. Doch – »obwohl sich dadurch die Abhängigkeit von der Sowjetunion de jure milderte, verwies der vertraglich vereinbarte Verbleib sowjetischer Truppen auf die mangelnde faktische Souveränität der DDR und zugleich auf die fortdauernde Instabilität des Regimes.«7 Als am 13. August 1961 die Berliner Mauer gebaut wurde und sich Ostdeutschland gegen die Bundesrepublik Deutschland abriegelte, sah der damalige Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht diesen Schritt gleichsam als »Zwischenstufe« für einen möglichst separaten Friedensvertragmit der Sowjetunion. Die DDR-Führungsspitze wollte den alliierten Status Berlins abbauen, um so längerfristig die Kontrolle über Gesamtberlin zu übernehmen. Chruščëv jedoch war nicht daran interessiert, Ost-Berlin zu viel außenpolitischen Spielraum zu überlassen. Das führte zu Missstimmungen zwischen beiden Staaten.8 In Bezug auf das sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow sei hier noch erwähnt, dass im November 1961 die »Entstalinisierung« des öffentlichen Raumes – an Gebäuden und Denkmälern – auch in der DDR vonstatten ging.9 Das Ehrenmal in Treptowmit seinen zahlreichen Stalin-Zitaten war jedoch nicht unmittelbar von diesen Aktionen betroffen.10 Im Juni 1964 schlossen DDR und UdSSR den »Vertrag über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit«, der für die DDR aber nur ein »Trostpflaster« war, da die SED-Führungmit einemgesonderten Friedensvertrag und – in Konsequenz – mit verstärkter staatlicher Anerkennung durch die Sowjetunion gerechnet hatte.11 Im Oktober desselben Jahres wurde Leonid Brežnev Parteichef der KPdSU. Die Beziehungen zwischen Walter Ulbricht und Brežnev waren aber nie frei von Reibungen. Das zeigte sich nicht in offenem Widerspruch, wohl aber hatte die DDR-Führung nach dem Bau der Berliner Mauer neues Selbstbewusstsein bekommen. Infolgedessen beklagten sich viele »Bruderländer«wegenmancher ostdeutscher Überheblichkeit. Jedoch auch hier behielt Moskau die Kontrolle, als die Führung der KPdSU mit einem Handelsvertrag im Dezember 1965 die sowjetischen Handelswünsche gegen die der DDR durchsetzte. Auch Ende der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre blieb die DDR weiterhin an die »sowjetische Generallinie gebunden«.12 Ulbrichts nach 1969 fokussierte »selbstständige Deutschlandpolitik« gegenüber der Bundesrepublik stieß auf sowjetischen Widerspruch. Denn statt der von Ulbricht geforderten »diplomatischen Missionen« musste sich die DDR am 12. August 1970mit der Rolle des Zaungastes abfinden, als die Bundesrepublik Deutschland und die UdSSR den Moskauer
q 24 2 Ausgangslage und Entwicklung deraußenpolitischen Beziehungen Vertrag unterzeichneten.13 Damit ging der Versuch der Staatsführung einher, in der DDR ein eigenes Nationalstaatsbewusstsein zu verankern. So vertrat in einer offiziellen demoskopischen Untersuchung Anfang der 1970er Jahre dieMehrheit der Bevölkerung dieMeinung, die DDR »sei ein selbstständiger Staat und müsse von der Bundesrepublik anerkannt werden«.14 Als am 2. Mai 1974 Ständige Vertretungen in Bonn und Ost-Berlin eingerichtet wurden, sprach sichMoskau gegen jede Form der diplomatischen Annäherung zwischen beiden deutschen Staaten aus. Die eingeforderte »Blockdisziplin« musste der DDR jedoch nicht abgerungen werden, weil dieser Staat ohnehin den fortwährenden Schutz der Sowjetunion benötigte. Zudem heißt es imersten Artikel eines am7. Oktober 1975 unterzeichneten Freundschaftsvertrags mit der UdSSR, dass auf die Erwähnung gesamtdeutscher Zusammenhänge verzichtet und die ewige Freundschaft mit der Sowjetunion beschworen werde.15 Im Jahr 1982, nach dem Tod von Brežnev, kam es während der Übergangszeit unter den neuen KPdSU- Generalsekretären Jurij Andropov und Konstantin Černenko zu keiner grundlegendenNeubestimmung in der die DDR betreffenden Außenpolitik. Die Beziehungen zwischen Sowjetunion und DDR blieben durch Meinungsverschiedenheiten über Vorteile und Risiken einer deutsch-deutschen Kooperation gekennzeichnet. 1985/86, nach demAmtsantritt vonMichail Gorbačëv als Generalsekretär der KPdSU, sah sich Ost-Berlin außenpolitisch zunächst wieder im Gleichklang mit der Sowjetunion und bewegte sich bei Abrüstungs- und diversen Friedensverhandlungen auf Linie der UdSSR.16 Doch während Gorbačëv eine Politik der Öffnung – Glasnost – sowie der Umgestaltung der Gesellschaft – Perestroika – verwirklicht sehenwollte, distanzierte sich die DDR-Führung zunehmend von der Führungsspitze der UdSSR. Dagegen hoffte ein Großteil der DDR-Bevölkerung durch die Politik der UdSSR auf Reformen im eigenen Land. Jedoch zeigte sich in der sogenannten »Sputnik-Krise«, die imOktober 1988 begann, wie tief die Kluft zwischen den Führungsspitzen der DDR und UdSSR einerseits sowie zwischen demSED-Regime und der ostdeutschen Bevölkerung andererseits war.17 So gab SED-Generalsekretär Erich Honecker imDezember 1988 die Losung vom»Sozialismus in den Farben der DDR« aus. Offen griff er die sowjetische Politik allerdings erst an, als sich die UdSSR zu einseitigen Rüstungsreduzierungen gezwungen sah und sich die Existenzfrage für die DDR damit am Horizont abzeichnete. Denn im Gegensatz zu 1961, dem Jahr des Mauerbaus, konnte die DDR 1989 nicht mehr auf die Blocksolidarität der »Bruderländer« bauen. In Ungarn suchten »Reformkommunisten« schon 1988 nach anderen politischen Wegen. In Polen verhandelte die Regierung mit der Gewerkschaft Solidarność.18 Als am 7. Oktober 1989 die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR in Berlin stattfanden, wollte Gorbačëv Honecker erneut zu einem reformorientierten Kurs drängen. In der atmosphärisch eisigen Stimmung verhallte seine Mahnung jedoch ungehört: »Wenn wir zurückbleiben, bestraft uns das Leben sofort.« Diese unkooperative Stimmung zeigte sich auch Ende Oktober 1989, als Egon Krenz, der neue Generalsekretär des ZK der SED, nachMoskau reiste. Der Eindruck, dass »in den Grundfragen der Entwicklung des Sozialismus zwischen der Sowjetunion und der DDR »kein Schulterschluss mehr vorhanden sei«, bestätigte sich während dieser Reise.19 Nun zeigten sich die Konsequenzen der Tatsache, »dass demStaat DDR ein konstitutives Element von Anfang an gefehlt hatte: Ein eigenes Staatsvolk hatte es nie gegeben, und die Staatsgewalt, die Herrschaft über Land und Leute, konnte nur so lange mit Gewalt aufrecht erhalten werden, wie der ›große Bruder‹ in Moskau die Voraussetzungen dafür garantieren konnte.«20 Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 besetzte Hans Modrow den Posten des neuen Regierungschefs. Zunächst sah er die Zukunft der DDR in »kooperativer Koexistenz« mit der Bundesrepublik Deutschland. Bei den ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 gab dieMehrheit der Ostdeutschen jedoch denjenigen Parteien ihre Stimme, die einer Vereinigung auf Grundlage des Artikels 23 des Grundgesetzes zustimmten. Ebenfalls 1990wurden die »Zwei-plusVier-Gespräche« durchgeführt. Sie endeten am 12. September 1990, nachdem die beiden deutschen Außenminister sowie die Außenminister der vier Siegermächte des ZweitenWeltkrieges den »Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland als Ganzes« abgeschlossen und damit die Voraussetzungen für die Wiedervereinigung Deutschlands gelegt hatten. Gerade für die folgende Analyse ist der Umstand wichtig, dass viele Ostdeutsche einen Unterschied sahen zwischen »den Russen« und der SED, der vielen DDR-Bürgern zubilligte, unter sowjetischer Hegemonie nicht anders als von Moskau bestimmt gehandelt zu haben.21 Die offizielle Formel von der Freundschaft mit
2.2 Zwischen UdSSR/Russländischer Föderation und Österreich – Beständiges Streben nach Unabhängigkeit 25 q der Sowjetunion und der Bereich privater Erinnerung widersprachen sich häufig so entscheidend, dass ein Großteil der Einwohner der DDR lernte, zwischen öffentlicher Inszenierung und privater Anschauung zu trennen.22 Die Auswirkungen der hier kurz skizzierten Ereignisse auf die Nutzung der Berliner Ehrenmale sollen im Kapitel 5 dargestellt werden. Zunächst vor allem durch die Partei- und Staatsführung, umdarauf aufbauend die spezielle Nutzung am 8. bzw. 9. Mai vergleichend zu analysieren sowie – soweit anhand der Quellen möglich – die Präsenz im öffentlichen Bewusstsein der DDR-Gesellschaft aufzuzeigen. Auf die geschichts- und außenpolitischen Beziehungen zwischen der Russländischen Föderation und dem wiedervereinigten Deutschland wird ausführlich in Kapitel 5.3.1 (rechtliche Grundlagen) eingegangen, ebenso auf die daraus resultierenden Debatten um den Verfall oder die Sanierung der sowjetischen Ehrenmale (5.3.2), die sich 1990 in einem stark baufälligen Zustand befanden. Auch die Interventionen von russischer Seite bei diesen Debatten werden dabei aufgezeigt. 2.2 Zwischen UdSSR/Russländischer Föderation und Österreich – Beständiges Streben nach Unabhängigkeit Die Rote Armee war die erste der alliierten Armeen, die am29. März 1945 die österreichische Grenze überschritt und am 13. April 1945 inWien einmarschierte.23 Bis zum 15. Mai 1955 – dem Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrages – sollte es jedoch dauern, bis Österreich seinen »Doppelcharakter« als befreites und besetztes Land24 zugunsten einer politischen Neutralität verlor und sich künftig als freies Land bezeichnete.25 Die politischen Beziehungen zwischen UdSSR bzw. Russländischer Föderation und Österreich lassen sich anhand politischer Ereignisse in vier Zeitabschnitte untergliedern und sollen entsprechend dieser Periodisierung ausführlicher imFolgenden dargestellt werden. Von 1945 bis 1955 gab es ein Ringen um den Staatsvertrag, 1955 folgten der Staatsvertrag und die politische Neutralität, daraus resultierte von 1955 bis 1990 das Spannungsverhältnis vonNeutralität und Abhängigkeit, das sich seit 1990 in die politische Unabhängigkeit Österreichs auflöste. 1945 bis 1955 Ringen um den Staatsvertrag26 Schon vor Kriegsende hatte die sowjetische Regierung in Bezug auf Österreich das wichtigste Ziel formuliert: Die Wiederherstellung eines unabhängigen Landes in den Grenzen von 1937.27 Jedoch war es kein Hauptanliegen Stalins, dass Österreich kommunistisch werden sollte.28 Mueller spricht von einer »Grauzone, in der westlicher und sowjetischer Einfluss in einem freien Spiel der Kräfte wirken sollten«. Langfristig wollte die sowjetische Regierung den »friedlichen Übergang zu Volksdemokratie und Sozialismus einleiten«, indem politische »Schlüsselressorts« durch die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) besetzt werden.29 Die beinahe zehnjährige Besatzungszeit unterteilt Eisterer in drei Phasen: Die erste Phase dauerte vom Kriegsende im April 1945 bis zur Anerkennung der ersten österreichischen Nachkriegsregierung unter Karl Renner durch die Alliierten am 20. Oktober 1945. Die zweite Phase dauerte bis zum Zweiten Kontrollabkommen, das am 28. Juni 1946 in Kraft trat, während die dritte Phase bis zum Abzug der alliierten Armeen im Oktober 1955 anhalten sollte.30 Bereits am27. April 1945 wurde unter Befürwortung der Sowjetunion eine Provisorische Staatsregierung unter dem der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) angehörenden Karl Renner konstituiert. Renner hatte bereits nach dem Zusammenbruch der Monarchie von 1918 bis 1920 das Amt des Staatskanzlers der Ersten Republik Österreich bekleidet, 1938 aber nach dem Anschluss an das Deutsche Reich diesen auch befürwortet. Der Einfluss der 1945 gebildeten Regierung endete zunächst an den Grenzen der sowjetischen Besatzungszone. Diese Begrenzung auf den sowjetischen Einflussbereich war auch in anderen osteuropäischen Ländern zu beobachten, die von der Roten Armee besetzt waren, auch Renner sollte als »willige Marionette des Kremls über [die, d. A.] nötige Autorität im Land verfügen, um zunächst alle antifaschistischen Kräfte zu einen und eine demokratische Regierung zu bilden, in der sich zunehmend die Kommunisten etablieren«.31 Beteiligt an dieser ersten Regierung der Zweiten Republik waren die drei großen Parteien gleichermaßen: die Österreichische Volkspartei (ÖVP), die SPÖ und die KPÖ. Der KPÖ wurde dabei aber von Seiten der UdSSR keine Sonderstellung zugebilligt. Der einzige Vorteil, der sich aus ihrer Regierungsbeteiligung für die sowjetische Staatsmacht ergab, war die rasche Information über jeg-
q 26 2 Ausgangslage und Entwicklung deraußenpolitischen Beziehungen liches Geschehen innerhalb der Regierung Renner.32 Zugleich sollten die Beteiligung der KPÖ und ihre prosowjetische Propaganda jedoch unterstützend wirken, um den Einfluss der UdSSR in Österreich zu festigen.33 Da dies jedoch im deutlichem Gegensatz zu den – vor allem durch die Rote Armee verursachten – katastrophalen Versorgungsverhältnissen in der sowjetischen Zone und im bis dahin ausschließlich sowjetisch besetzten Wien stand,34 blieben die kommunistischen Einflüssemit einemstarken negativen Eindruck konnotiert, so dass diese Strategie der UdSSR von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.35 Bereits nach ihrem Einmarsch in Österreich hatten die Armeen der Alliierten die Zivilverwaltung an Österreicher übergeben, innerhalb weniger Wochen errichteteman provisorische Landesregierungen in allen Ländern.36 Mit demersten Zonenabkommen vom9. Juli 1945 wurden die Besatzungszonen endgültig festgelegt.37 Es wurden Militärregierungen installiert, die den Landesregierungen übergeordnet waren. Die vier Militärkommissare – zuständig jeweils für ihre Besatzungszone – stellten als Mitglieder des Alliierten Rates die oberste Gewalt für Österreich dar.38 Wien blieb zunächst ausschließlich sowjetisch besetzt und gehörte damit zu einem der »erste[n] internationale[n] Konfliktherde, die offen militärisch-politische Gegensätze innerhalb der Anti-Hitler-Koalition aufzeigten«.39 Hintergrund war, dass über diemöglichen Versorgungswege der Stadt zwischen den Alliierten – insbesondere zwischen Briten und Russen – Uneinigkeit herrschte.40 Noch im Juli 1945 weigerten sich die Briten, ihren Sektor inWien zu übernehmen und kalkulierten ein, dass dadurch die sowjetische Besatzungsmacht – als bisheriger Alleinversorger der Stadt – immer weiter an Ansehen verlieren würde, »da man alle negativen Seitender Besetzung denRussen anlastenwürde«.41 Der Oberbefehlshaber der sowjetischen Truppen, Marschall Konev, entschloss sich daraufhin zu einem »radikalen Schritt«. Er zog am 1. September aus allen westlichen Sektoren Wiens einseitig die sowjetischen Truppen ab. Noch am gleichen Tag wurden diese von Amerikanern, Briten und Franzosen übernommen. Ob die Einweihung des russischen Befreiungsdenkmals am Schwarzenbergplatz am 19. August 1945 oder die erste gemeinsame Parade der Alliierten an diesem Ort am 23. August 1945, als sich die Vertreter der westlichen Alliierten ausschließlich als »Gäste« bezeichneten, diese sowjetische Entscheidung beeinflussten, ist nicht mehr ganz nachvollziehbar.42 Am 11. September 1945 kam erstmals der seit dem Ersten Kontrollabkommen vom 4. Juli 1945 bestehende Alliierte Rat im Haus der Industrie am Schwarzenbergplatz, dessen südlicher Teil im April 1946 in Stalinplatz umbenannt werden sollte, zusammen.43 Bis dahin hatten die Alliierten eine »eigenmächtige Zonenpolitik«44 betrieben. Das Ziel der UdSSRwar nun, die Anerkennung der provisorischen Staatsregierung durch die Westmächte und damit die endgültige Legitimation der Regierung Renner durchzusetzen. Nachdemeinemder KPÖ angehörenden Staatssekretär die Aufsicht über die Hauptwahlbehörde entzogen und einem Unterstaatssekretär der ÖVP übertragenwurde, war derWeg für die ersten demokratischen Nachkriegswahlen frei. Am 20. Oktober 1945 wurde die provisorische Regierung unter Karl Renner auch durch die Westmächte anerkannt.45 Die zweite Phase der Besatzungszeit sollte bis zum Zweiten Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 dauern. Entscheidend in diesenMonatenwaren die ersten freien Nachkriegswahlen vom25. November 1945. SPÖ und ÖVP erhielten die Mehrzahl der Stimmen, während für die KPÖ nur gut fünf Prozent der Wähler stimmten. Die drei Parteien bildeten eine Große Koalition unter Leopold Figl (ÖVP), doch schon imKoalitionsabkommenwurde deutlich, dass die Kommunisten ausschließlich »formal an der Regierung« beteiligt waren, an der »Machtausübung auf Bundesebene« aber nicht mitwirkten.46 Vor allem der rapide Ansehensverlust der Roten Armee aufgrund der durch sie verübten Plünderungen, Morde und Vergewaltigungen trugen maßgeblich zum Scheitern der KPÖ bei dieser Wahl bei. Die Partei distanzierte sich zu wenig von diesen Verbrechen und übte kaumKritik.47 In Folge des geringen Rückhalts in der Bevölkerung wurde siemehr undmehr aus dempolitischen Leben gedrängt und verließ 1947 die Regierung.48 Das »Experiment Renner« war aus Stalins Sicht gescheitert,49 und für die UdSSR blieb die Präsenz der sowjetischen Truppen eine Voraussetzung für weitere Verhandlungen um die österreichische Unabhängigkeit.50 Andererseits verursachten die Präsenz der Roten Armee sowie der Regierungsverlust der KPÖ auf Seiten der Österreicher auch die Angst vor Putschversuchen durch die KPÖ.51 Von einer »österreichischen Außenpolitik« kann erst mit der Anerkennung der Figl-Regierung im Januar 1946 und der Entsendung österreichischer Vertreter in
2.2 Zwischen UdSSR/Russländischer Föderation und Österreich – Beständiges Streben nach Unabhängigkeit 27 q die Hauptstädte der vier Besatzungsmächte gesprochen werden.52 Zudem wurde es nun notwendig – so stand es im Ersten Kontrollabkommen der Alliierten – in einem Zweiten Kontrollabkommen fortdauernde Kontrollmechanismen der Besatzungsmächte über Österreich festzulegen. Es trat am 28. Juni 1946 in Kraft, und die »Souveränität Österreichs« wurde durch dieses Zweite Kontrollabkommen »beträchtlich erweitert«.53 Entscheidend war, dass Österreich fortan in der Gesetzgebung mehr Eigenständigkeit zugestanden wurde und der Alliierte Rat nur noch ein einstimmiges Vetorecht besaß (Artikel 6). Obgleich den Besatzungsbehörden Aufgaben entzogen und den Österreichern übertragen wurden – die alliierten Militärregierungen waren zukünftig nur noch Kontrollinstanzen54 –, blieben die Besatzungsmächte, statt der im Abkommen festgelegten weiteren sechsmonatigen Besatzung, letztendlich bis 1955. Damit begann die dritte Phase der Besatzung. Im Artikel 5 des Zweiten Kontrollabkommens hatten die sowjetischen Vertreter bewusst einenwichtigen Punkt vage gehalten. Das Thema »Deutsches Eigentum« entwickelte sich nun »zur Interpretation eines Rechtsproblems«. Wesentliche Teile der österreichischen Schwer- und Grundstoffindustrie, fast die gesamte Elektrizitätswirtschaft und große Teile des Bankenwesens waren nach 1945 in deutschem Besitz geblieben. Die Alliierten hatten sich dieses deutsche Eigentum zugesprochen, und die Sowjetunion versuchte sich durch Beschlagnahmungen zu nehmen, was ihr nach eigenen Ansichten zustand.55 Der Weg zum Staatsvertrag war deshalb von den Verhandlungen über die Reparationsleistungen Österreichs an die UdSSR geprägt.56 Die unrealistische Erwartungshaltung der sowjetischen Führung und die daraus in der österreichischen Bevölkerung resultierende Antipathie wurden offensichtlich: »Die Sowjetunion demontierte Fabriken, beschlagnahmte Erdölfelder und erwartete gleichzeitig politische Sympathien.«57 Zu den Reparationsforderungen der Sowjetunion kam das Ausloten zwischen den Alliierten um die politische Unterstützung für Jugoslawiens Gebietsforderungen an Österreich und Italien.58 Eine Annäherung zwischen den Alliierten fand erst im Frühjahr 1949 auf der Außenministerkonferenz in Paris statt, als die UdSSR darauf einging, Jugoslawien in seinen Gebietsansprüchen nicht mehr zu unterstützen, dafür aber eigene Forderungen nach Reparationszahlungen durch Österreich durchsetzen konnte. Ein fertig ausgearbeiteter Vertrag sollte zum 1. September 1949 unterzeichnet werden.59 Dies scheiterte jedoch an verschiedenenweltpolitischen Entwicklungen, von denen die nunmehr vertraglich festgelegte deutsch-deutsche Teilung ein entscheidender Faktor war.60 Vielmehr wurde jetzt offensichtlich, was sich seit 1945 angedeutet hatte: »Die geopolitische Lage Österreichs machte das Land nun einmal zu einemHandelsobjekt im Kalten Krieg. Die Sowjets fürchteten, daß ein freies Österreich in die Einflusssphäre des Westens, die USA fürchtete, daß ein freies Österreich in die Einflußsphäre des Ostens geraten könnte.«61 Das Land sollte nun bis 1955 zu einem»Spielball« im »Kalten Krieg« werden, zu einem»Hauptschauplatz [...], wo es galt, die Kommunisten mit allen Mitteln einzudämmen«,62 denn dieMachtübernahme der Kommunisten im Februar 1948 in der Tschechoslowakei hatte in Österreich die Angst vor einemähnlichen Schicksal verstärkt.63 Freilich war die Frage des politischen Status Österreichs eng an die Deutschlandfrage gekoppelt – auch das sollte bis 1955 so bleiben.64 Erst nach der zweiten freien Wahl in Österreich im Februar und Stalins Tod im März 1953 kamen die Verhandlungen zum Staatsvertrag aus der Stagnation.65 Unter dem neuen Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP) versuchte die österreichische Regierung den Westmächten entgegenzukommen, indem man versicherte, ein »neutrales Österreich« solle – am Beispiel der Schweiz orientiert – durchaus auch militärische Mittel besitzen.66 Im Oktober 1954 wurde der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO beschlossen. Sämtliche sowjetische Drohungen, dass die Ratifizierung des Beitrittvertrages die dauerhafte Trennung Deutschlands nach sich ziehe, hatten keine Wirkung. Die Trennung der beiden deutschen Staaten blieb bestehen, dennoch begann sich im Januar 1955 die Deutschland- von der Österreichfrage zu lösen. Entscheidend für den endgültigen Abzug der Alliierten aus Österreich war für die sowjetische Regierung, dass Österreich nicht mehr von Deutschland annektiert werden könne und es von Seiten Österreichs für diesen Schritt ein eindeutiges Votumgebenmüsse.67 So ist der entscheidende Weg zum Staatsvertrag während der Verhandlungen von Januar bis Mai 1955 von unterschiedlichen Einflussfaktoren geprägt.68 Neben der signalisierten Verhandlungsbereitschaft der UdSSR war es ein Alleingang der österreichischen Regierung
3 Sowjetische Ehrenmale in Europa
3.1 Die Entwicklung des Gefallenengedenkens im deutschsprachigen Raum und in der UdSSR/ Russländischen Föderation Wie bereits zu Beginn der Untersuchung dargestellt, widmet sich die vorliegende Studie dezidiert den drei großen sowjetischen Ehrenmalen in den Hauptstädten Berlin und Wien. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass in der UdSSR sowie in fast allen von der Sowjetunion besetzten Staaten zwischen 1945 und 1990 zahlreiche vergleichbare Anlagen geschaffen wurden. So steht in der Russländischen Föderation mit demMamajev-Kurgan in Volgograd das größte Ehrenmal zur Erinnerung an den »Großen Vaterländischen Krieg«. Zugleich sind diese Ehrenmale Teil der langfristigen Entwicklung des Gefallenengedenkens. Diese soll im Folgenden knapp von den Napoleonischen Befreiungskriegen bis nach 1945 komparatistisch sowohl für den deutschsprachigen Raum als auch für die Sowjetunion nachgezeichnet werden.1 Daran schließt sich die exemplarische Vorstellung von Beispielen an, die den heutigen Umgang mit den sowjetischen Ehrenmalen in den post-kommunistischen Staaten veranschaulichen sollen.2 Entscheidend bei der Auswahl aus der unüberschaubaren Vielzahl der sowjetischen Denkmale ist dabei die skulpturale Darstellung eines oder mehrerer Angehörigen der Roten Armee und/oder der Figur der »Mutter Heimat«.3 Abschließend soll der administrative Umgang Deutschlands und Österreichs mit den sowjetischen Ehrenmalen in den europäischen Kontext eingeordnet werden. Imdeutschsprachigen Raumentstand –wie der einschlägige Sammelband von Manfred Hettling und Jörg Echternkamp zeigt – nach dem Ende der Napoleonischen Befreiungskriege ein neues Paradigma des Gefallenengedenkens. Dieses zeichnet sich durch Individualisierung, Ritualisierung, Monumentalisierung sowie politisierte Religion aus.4 Hettling und Echternkamp unterscheiden für Deutschland drei Zeitphasen des Gefallengedenkens. Die erste Phase dauert von 1813 bis zumErstenWeltkrieg. Das Sterben für das Vaterlandwar – aufgrund der gewonnenen Kriege von 1813/15, 1864, 1866 und 1871 – »heldenhaft«, und »das individuelle Opfer für die zu errichtende Nation« stand fortan im Mittelpunkt des Gedenkens.5 Das Sterben für das Vaterland im Krieg war in der Bevölkerung hoch angesehen, und so sind die Kriegerdenkmäler dementsprechend gestaltet. Es erfolgt eine Symbolisierung des Sieges, der Fürst wird als Sieger/Einiger der Nation dargestellt, und die Symbole des neuen Staates stehen gestalterisch im Vordergrund. Gefallene Soldaten werden in aller Regel nicht dargestellt, wohl aber namentlich genannt. Der Erste Weltkrieg verursacht eine zweite Phase des Gefallenengedenkens. Von den drei Elementen »Gott – König – Vaterland überdauerte nun allein die nationale Komponente«.6 In zahlreichen Kriegerdenkmälern wurde die »Überhöhung des Kriegserlebnisses sichtbar«, nicht zuletzt, um die Erfahrung der Niederlage zu kompensieren. Der uniformierte Soldat war der »Held«, der in den Denkmalen dargestellt wurde. Trauer war aber der Grundton der offiziellen staatlichen Feiern zum Gedenken an die Opfer.7 ImNationalsozialismus wurde konsequenterweise der »Volkstrauertag« zum »Heldengedenktag« umbenannt und besonders die Errichtung von Kriegerdenkmalen gefördert.8 »Die Bereitschaft zum Opfer für das Vaterland wurde [...] als rassische Qualität und völkische Aufgabe inszeniert.« Vor allem aber enthielt der geplante und durchgeführte Völkermord an Millionen von Zivilisten aufgrund der »Steigerung der Tötungsweisen, bis hin zur Vergasung, einen geschichtlichen Qualitätssprung«.9 Aus dieser sinnlosen Radikalität heraus definiert sich nach 1945 die dritte Phase des Gefallenengedenkens und implizierte die Forderung nach »Sinnstiftung« des gewaltsamen und wertlosen Todes für die Millionen Gefallenen und Ermordeten. In der Bundesrepublik gedachte man der Gefallenen zunächst durch zusätzliche Opfertafeln an den bereits bestehenden Kriegerdenkmalen der beiden bisherigen Kriege seit 1870/71. Zahlreiche Konflikte, beispielsweise über die angemessene Erinnerung an Verfolgung und Widerstand, verdeutlichten allerdings die Grenzen dieser Art des Gedenkens.10 Erst nach der Wiedervereinigung und einer komplexen öffentlichen Debatte wurde 1993 in der Neuen Wache in Berlin eine zentrale staatliche Gedenkstätte eingerichtet. Seitdem wird am Volkstrauertag »dort der gefallenen Soldaten und Opfer der deutschen totalitären Systeme im 20. Jahrhundert gedacht«.11 Hettling und Echternkamp konstatieren, dass sich die eingangs definierten Felder Individualisierung, Ritualisierung sowie Monumentalisierung seit 1813 kontinuierlich als »Kernelemente des neuzeitlichen Totenkults über alle Epochen- und Systemwechsel hinweg erhalten [haben]«.12 Für Russland ist hingegen das Totengedenken erst für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg umfassender erforscht. In der Zarenzeit zeigten die Denkmale eine »den Staat und Herrscher verklärende« Bildsprache, die häufig Symbole der russisch-orthodoxen Kirche verwendete.13 Den zentralen Stellenwert in der sowjetischen Erinnerungskultur nach 1917 hatten bis 1941 jedoch die
q 38 3 Sowjetische Ehrenmale in Europa Oktoberrevolution sowie der sich anschließende Bürgerkrieg (1918–1920). Die imErstenWeltkrieg bis zu zwei Millionen gefallenen russischen Soldaten sowie die zahlreichen zivilen Opfer wurden hingegen für »den politischen Sieg im Bürgerkrieg statt [für, d. A.] die militärische Niederlage im Weltkrieg« öffentlich verschwiegen.14 Konsequenterweise wurden auch keine Denkmale zu Ehren der Gefallenen errichtet. Im privaten Raum erinnerte man sich jedoch dieses Krieges.15 Der Toten der Revolution (1917) und des Bürgerkrieges (1918–1920) – schätzungsweise waren es von 1917 bis 1920 neun bis zehn Millionen – wurde aber ebenso wenig individuell gedacht. Vielmehr wurden sichtbare Zeichen für den Sieg des Kommunismus gesetzt. Die neue »Kultstätte« wurde das Mausoleum auf dem Roten Platz in Moskau, in dem der Leichnam Lenins als Führer der Revolution erhalten und präsentiert wurde. Die sowjetische Bevölkerung sollte gleichsam durch »die öffentliche Ausstellung des einbalsamierten Leichnams auf Lenin«16 verpflichtet werden. Offensichtlich war diese Erinnerungskultur nicht auf Trauer und Gedenken, sondern allein auf die Zukunft ausgerichtet und zielte darauf, den Einzelnen in den Dienst der Revolution, also einer utopischen Zukunftserwartung zu stellen. Auch die gefallenen Rotarmisten sollten lediglich allen Lebenden zur Wegweisung in die Zukunft dienen.17 Damit wurden die Grundlagen der spezifischen Erinnerungskultur der Stalinära gelegt. Auch hier stellte sich die Frage, welche Formen der Totenehrung und Erinnerung an die zivilen Opfer und die Gefallenen der Roten Armee im »Großen Vaterländischen Krieg« vom Staat verordnet werden sollten. Neben dem durch Stalin diktierten und allein auf ihn ausgerichteten öffentlichen Gedenken bestand kaum Raum für private Trauer. Zunächst in provisorisch eingerichteten Massengräbern beigesetzt, gab es punktuell nach 1945 durchaus private oder lokale Versuche neben Denkmalen, die einen trauernden Soldaten oder eine trauernde Frau zeigten, Stelen oder Kenotaphemit denNamen der Gefallenen zu errichten. Häufig wurden hierbei Orte gewählt, an denen bis zu ihrer Zerstörung unter Stalin Kirchen, Kapellen oder Friedhöfe bestanden hatten. Bis zu Stalins Tod im Jahr 1953 war eine offizielle Diskussion über Kriegsereignisse und -verluste jedoch verboten.18 Statt einer in Denkmalen manifestierten Trauer um alle Toten sollte in die Zukunft geschaut werden. Zur allgemeingültigen Leitlinie der Erinnerungspolitik der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde das Erreichen einer besseren Zukunft durch kollektive Anstrengungen erklärt.19 In jenen Gebieten und Ländern, aus denen 1944/45 die Rote Armee die Wehrmacht und ihre Verbündeten zurückdrängen konnte, wurde bereits 1945 eine Reihe von Ehrenmalen errichtet, wie im Fortgang exemplarisch gezeigt wird. Darin offenbart sich das Bestreben, diese Länder unmittelbar nach ihrer Befreiung vom Nationalsozialismus in Besitz zu nehmen, wobei diese symbolische Inbesitznahme immer den Doppelcharakter von Befreiung und Besetzung besaß. Auch sollten dadurch die in der UdSSR erlittenen hohen Verluste und Zerstörungen kompensiert werden. In der Sowjetunion kames erst nach Stalins Tod 1953 unter demPartei- und späterenRegierungschef Chruščëv (1953–1964) zu einer »Visualisierung des Kriegsgedenkens auf staatlicher Ebene«.20 In der Ära Brežnev (1964– 1982) verstärkte sich diese Visualisierung um ein Vielfaches. Ein entscheidender Hintergrund für diesen nunmehr stark auf die gefallenen Soldaten und Kriegsveteranen bezogenen Totenkult lag nicht zuletzt darin begründet, dass sowohl Chruščëv als auch Brežnev zur »Veteranenkohorte« der weit vor dem»Großen Vaterländischen Krieg« geborenen und sozialisierten Soldaten gehörten, die nach Kriegsende in bekannte Strukturen zurückkehren konnten und im Laufe der Jahre einen »Bedeutungszuwachs« für ihre Kriegserlebnisse forderten.21 Dieser Bedeutungszuwachs ging nicht nur mit materiellen Vergünstigungen und der Erhebung des 9. Mai zum arbeitsfreien Tag (1965) einher,22 sondern äußerte sich vor allem in der Errichtung des Grabmals des unbekannten Soldaten an der Moskauer Kremlmauer (1966) sowie monumentaler Denkmalensembles.23 Der am 9. Mai 1960 in Leningrad eingeweihte Piskarëvskoe-Gedenkfriedhof ist der erste Denkmalkomplex, der diese Besinnung auf den »Großen Vaterländischen Krieg« sinnbildlich darstellt und nunmehr auch das Sterben der sowjetischen Zivilbevölkerung offiziell zeigt. Im Zentrum des Friedhofes, auf dem 470 000 militärische und zivile Opfer der Leningrader Blockade begraben sind, stehen die Figur der »Mutter Heimat« sowie vis à vis die Ewige Flamme. Die Namen der Verstorbenen und Gefallenen werden jedoch nicht explizit genannt. Die Toten sind hier nach Todesjahr in Massengräbern bestattet.24 Bereits 1951 hatte einer der verantwortlichen Bildhauer des Ehrenmals in Berlin-Treptow, Vučetič, erste Vorschläge für ein Ehrenmal in Stalingrad vorgelegt. Aufgrund der bereits erwähnten politischen Verände-
3.1 Die Entwicklung des Gefallenengedenkens im deutschsprachigen Raum und in der UdSSR/Russländischen Föderation 39 q rungen – die Anlage war für »Brežnev kein Lieblingskind, weil er im Gegensatz zu Chruščëv nicht in Stalingrad gekämpft hatte«25 – konnte die Denkmalsanlage auf dem Mamajev-Kurgan in der in Volgograd umbenannten Stadt aber erst 1967 eingeweiht werden.26 Der Komplex ist aufgrund seiner Höhenlage und der Größe der Figuren – die zentrale Figur der »Mutter Heimat« misst 85 Meter und steht auf einem als Kurgan zu kennzeichnenden Erdhügel – um ein Vielfaches wuchtiger und monumentaler als die bis dahin größte Anlage dieser Art in Berlin-Treptow.27 Die Toten – bestattet sind hier etwa 35 000 Gefallene der Roten Armee, also nur ein geringer Teil der mindestens 500 000 getöteten sowjetischen Soldaten der Schlacht – sind im Kurgan beigesetzt. Einzelne »Helden der Sowjetunion« werden auch namentlich genannt, doch entscheidend war das »Heldentum« der Massen, das den »Triumph des Kommunismus über den Kapitalismus« ermöglicht habe. Zwangsläufig wurden dadurch alle Gefallenen für den Kampf des Kommunismus vereinnahmt.28 In den 1970er Jahren tauchte eine neue Sinnbesetzung des skulpturalen Denkmaltypus auf. Die Stahlwerke der Planstadt Magnitogorsk, die aufgrund der enormen Eisenerzvorkommen ab 1929 innerhalb weniger Jahre jenseits des Ural errichtet worden war, lieferten während des »Großen Vaterländischen Krieges« »fast die Hälfte des Materials für sowjetischeWaffen«.29 Hier entstand vermutlich 1979 ein Denkmal, das einen Stahlarbeiter zeigt, der mit erhobenen Armen ein überdimensionales Schwert an einen Soldaten der Roten Armee übergibt. Das Denkmal misst in der Höhe etwa 15 Meter.30 Makhotina beschreibt es – gemeinsam mit den Anlagen in Treptow (1949) und Volgograd (1967) – als Teil einer »Denkmaltriologie«. Das Schwert stelle hier das sinnstiftende Symbol dar: In Magnitogorsk geschmiedet (»Vom Hinterland – für die Front«), in der Schlacht von Stalingrad den Feind erstmals erfolgreich geschlagen (»Mutter Heimat ruft«) und im besiegten ›Hitlerdeutschland‹ gesenkt, weil der Feind besiegt und zugleich befreit wurde (»Befreiungssoldat«).31 Es ist bemerkenswert, dass die Chronologie der Denkmalserrichtung in genau umgekehrtem Verhältnis zu den erinnerten Ereignissen des Krieges steht, der in Berlin kurz nach demKrieg erprobte Denkmalstyp also annährend zwei Jahrzehnte später in die Sowjetunion gewissermaßen zurückkehrt. Den Hintergrund dieser Entwicklungen stellen Bemühungen dar, mit diesem »neuen« Denkmalstyp den Sieg des »Großen Vaterländischen Krieges« auch an die nunmehr größtenteils nach 1945 geborene Bevölkerung als sinnstiftende Erfahrung zu vermitteln. Diese Sinnstiftung fokussierte nicht mehr allein auf soldatische Opferbereitschaft und militärischen Sieg, sondern bezog etwa auch die »Helden« jenseits der Front, etwa in der wichtigen Rüstungsindustrie, ein. So entstand 1978 in Nižnevartovsk in West-Sibirien, das am Rande des größten Ölfeldes der Sowjetunion Samotlor liegt, ein zwölf Meter hohes, in Bronze gegossenes Denkmal eines Bergbauarbeiters.32 Dieser trägt einen überdimensionalen Hammer auf der Schulter und eine Schale mit dem ewigen Feuer in der anderen weit nach oben gereckten Hand. Die Inschrift »Eroberer von Samotlor« nimmt keinen direkten Bezug auf den Weltkrieg. Vielmehr parallelisiert die Inschrift die Anstrengungen der Erschließung des kriegswichtigen Rohstoffes Öl mit dem aktiven Kriegsdienst und holt damit das Heldentum gewissermaßen in die Gegenwart. Der Sieg des »Großen Vaterländischen Krieges« wird mit den Denkmalen in Magnitogorsk und Nižnevartovsk in den späten 1960er und 1970er Jahre unübersehbar an die Orte und Symbole (Öl, Schwerindustrie) der wirtschaftlichen Größe der Sowjetunion gekoppelt. Dadurchwird, ausgehend von Sieg und Heldentum der Roten Armee, die Sinnstiftung in der Gegenwart auf eine breitere Basis gestellt, da die Nachkriegsgenerationen und gegenwärtige Attribute (v. a. wirtschaftliche Prosperität) eingebunden werden. Diese wirkmächtige Konstruktion, »die dem Nachweis der ›Überlegenheit des Sozialismus‹ diente und eingebettet wurde in eine Siegesikonografie, die den Mythos des ›Heiligen Krieges‹ pflegte«,33 endete Ende der 1980er Jahre. Im Zuge der Perestroika wurde erstmals jener Preis diskutiert, den die sowjetische Gesellschaft für den ZweitenWeltkrieg zahlen musste. Neben der säkularen sowjetischen Gedenkkultur begann eine russische zu existieren, deren Erinnerungszeichen der orthodoxen Kirche zuzuordnen sind.34 Zudem wurden in den 1980er Jahren bereits bestehende Denkmalsanlagen durch religiöse Komponenten ergänzt oder ersetzt. Die Bezugspunkte »Heimat und Patriotismus« blieben aber weiterhin von Bedeutung für die Denkmalsgestaltung.35 Exemplarisch für eine bis in die Gegenwart anhaltende Erweiterung und Bedeutungsverschiebung bestehender Anlagen steht das Ehrenmal in Snegiri, einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Moskau. 1966 errichtet, zeigt es einen Soldaten mit abgenommenem Helm, der in die Ferne schaut, während die neben ihm stehen
q 44 3 Sowjetische Ehrenmale in Europa der Einweihung des Denkmals am 12. August 1945 auf dem zentralen Hauptplatz war der Ort bereits von der britischen Besatzungsmacht übernommen worden. Zur Umlegung des Denkmals auf einen anderen Platz des Ortes kam es jedoch erst 1958 nach langen Verhandlungen mit dem sowjetischen Botschafter in Österreich. Nach 1990 kam es zu Diskussionen über den Umgang mit dem Denkmal, die jedoch ohne Folgen blieben.85 Es befindet sich nunmehr auf der Liste der denkmalgeschützten Objekte in Bad Radkersburg. Naturgemäß existieren in Österreich auch Grabanlagen und Friedhöfe für die gefallenen Soldaten der Roten Armee, vor allem in den ehemals sowjetisch besetzten Gebieten.86 Jedoch sind diese Gräber nur auf dem Wiener Zentralfriedhof mit eigentlichen Denkmalsanlagen versehen (zwei große steinerne Soldatenfiguren der Roten Armee, die ihre Helme abgenommen und die Fahne gesenkt haben).87 1996 wurde in der Umgebung von Volgograd auf Initiative eines österreichischen Personenkomitees, in dem einige Mitglieder rechtsradikale Gedanken offen äußerten, ein »Denkmal für die Opfer der Schlacht von Stalingrad«88 errichtet, das aus zwei ineinander geschachtelten, zehn Meter hohen Dreiecken aus rostendem Eisen besteht. Die Erbauung wurde in Österreich und Volgograd kontrovers diskutiert, nicht zuletzt auch, weil das aus österreichischen Bundesmitteln finanzierte Projekt eben von prominenten Rechtspopulisten unterstützt wurde.89 Zudem richtete sich die Kritik gegen die Sinngebung des Versöhnungsdenkmals, gegen die »undifferenzierte und unreflektierte Sichtweise der damaligen Ereignisse« von Stalingrad.90 Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR existieren neben den sowjetischen Ehrenmalen in Berlin-Treptow weitere größere Anlagen u. a. in Berlin-Schönholzer Heide sowie auf den Seelower Höhen nördlich von Frankfurt/Oder.91 Das sowjetische Ehrenmal in der Schönholzer Heide gehört zu einem Soldatenfriedhof, auf dem zwischen 11 000 und 13 200 sowjetische Soldaten bestattet wurden. Eingeweiht wurde der Friedhof am7. November 1947. Über die Einweihungsfeier gab es keine Berichte in der Presse der SBZ. Auch wurde aufgrund der ungünstigen Verkehrsanbindung sowie der unmittelbarenNähe zur Berliner Mauer der Gedenkfriedhof in der Schönholzer Heide kaum für Gedenkzeremonien durch den SED-Staat genutzt. Zentrale Figuren der Anlage sind ein Obelisk sowie die Figur der »Mutter Heimat«, die umden vor ihr liegenden gefallenen Sohn trauert. Nur wenige der hier Bestatteten konnten noch namentlich genannt werden. Das ungewöhnliche an diesemEhrenfriedhof ist eine Gedenktafel, die dezidiert an die »Soldaten der Sowjetarmee, die in faschistischen Lagern zu Tode gequält wurden« erinnert. Damit wird hier der Opfergruppe der Kriegsgefangenen gedacht, die bis 1995 in Russland unberechtigterweise als »Deserteure« galten und vollständig ausgegrenzt wurde.92 An den Seelower Höhen, einem Höhenzug im Oderbruch, fand von Februar bis April 1945 eine der letzten großen Schlachten des ZweitenWeltkrieges statt.93 Rund 70 Kilometer vor Berlin gelegen, galten die Seelower Höhen als »Schlüssel für Berlin« und wurden dementsprechend von den deutschen Truppen zäh verteidigt. Bei dieser Schlacht starben vermutlich mehr als 33 000 bis 35 000 Soldaten der Roten Armee.94 Am 27. November 1945 wurde das Denkmal der sowjetischen Bildhauer Lev Kerbeľ und Vladimir Cigal – die auch das Ehrenmal in Tiergarten schufen – eingeweiht. Es zeigt einen »sehr jungen Soldatenmit den Augen eines altenMannes«, der auf einem Steinhügel über den Gräbern der gefallenen Rotarmisten steht.95 In einer Hand hält er das Maschinengewehr vor der Brust, mit der anderen stützt er sich vermutlich auf Teile eines deutschen Panzers bzw. drückt diesen nieder. In der DDR galt die Schlacht um die Seelower Höhen als ein häufig erinnertes Ereignis im Rahmen der »Befreiung vom Hitlerfaschismus« und damit als ein sinnstiftendes Element für das eigene sozialistische Staatsverständnis.96 Im Dezember 1972, anlässlich des 50. Jahrestages zur Gründung der Sowjetunion, wurde auf den Seelower Höhen eine Gedenkstätte eingeweiht, die bis zur »Friedlichen Revolution« 1989 in ihrem Museum ausschließlich die sowjetische Perspektive der Ereignisse um die Schlacht thematisierte.97 Gerade in Brandenburg, in der eine Vielzahl der Kämpfe zwischen deutschen und sowjetischen Truppen stattfanden, finden sich diemeisten Ehrenmale auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Der Umgang mit ihnen nach 1989 variiert sehr stark.98 So schließt das sowjetische Ehrenmal auf demAnger in Frankfurt/Oder an eine ältere Anlage an. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte hier ein Denkmal für die Gefallenen gestanden, das von den Bildhauern Georg und Wilhelm Fürstenberg geschaffen worden war. Die Brüder beteiligten sich dann 1945 ebenso wie der deutsche Architekt Theodor Peißig an demEntwurf und der Erschaffung des sowjetischen Ehrenmals, das am7. November 1947 eingeweiht wurde. Es zeigt einen Soldaten, der vor einem Obelisken mit So
3.4 Beschreibung der Anlagen und Interpretation ihrer Symbolik 45 q wjetstern steht. Der Soldat verharrt – im Gegensatz zu den Figuren anderer Ehrenmale –mit abweisendemGesichtsausdruck in einer Wachpose, das Maschinengewehr vor der Brust. Wenn die Anlage 1975 auch verändert wurde, so steht sie noch heute an ihrem Platz.99 Auch das »Ehrenmal für die gefallenen Soldaten der 5. Gardearmee« in Dresden auf dem Albertplatz, 1945 in Platz der Roten Armee und 1946 bis 1990 in Platz der Einheit umbenannt, wurde von einem deutschen Bildhauer, Otto Rost (1887–1970), geschaffen und bereits im November 1945 eingeweiht.100 Es zeigt auf einem dreifach gestuften Sockel aus Granit eine Gruppe von zwei Soldaten. Der vordere Soldat hält die Sowjetfahne, während der andere Soldat hinter ihmkniet und einMaschinengewehr im Anschlag hält. Auf den Sockeln werden Reliefs mit militärischen Szenen sowie die bekannten militärischen und politischen Symbole (u. a. Lorbeer, Sowjetstern, Schwert, Gewehr, Hammer, Sichel) gezeigt. 1994 wurde dieses Denkmal innerhalb Dresdens in die Parkanlagen vor dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr versetzt. Bis heute ist am ursprünglichen Standort am Albertplatz eine zweisprachige Tafel zum Gedenken an die Aufstellung des Denkmals angebracht.101 Dagegen kames immecklenburgischenNeustrelitz Mitte der 1990er Jahre zur vermutlich einzigen Denkmalsmontage eines sowjetischen Ehrenmals in der ehemaligen DDR. Nach Verhandlungen zwischen demNeustrelitzer Bürgermeister, dem Innenministerium sowie der russischen Seite wurde am22. Mai 1995 die Figur des Soldaten, die auf dem zentralen Marktplatz gestanden hatte, abmontiert und eingelagert. Auf Befehl des sowjetischen Stadtkommandanten war sie im Juni 1945 zunächst aus Holz hergestellt und am 18. November 1945 enthüllt worden. Nach einem starken Sturm imDezember 1949 stürzte die Figur herab und wurde 1954 durch eine Statue aus Eisenguss und Lackfarbe ersetzt. Geschaffen wurden beide Figuren ausschließlich durch deutsche Künstler und Architekten. Vermutlich erfolgte die Aufstellung in Neustrelitz, weil hier bis 1993 in einer der größten Garnisonen 25 000 Soldaten der GSSD stationiert waren.102 Weitere Denkmale mit skulpturalen Darstellungen befinden sich in Brandenburg a. d. Havel, Lübben, Müncheberg und Fürstenwalde.103 Anhand der geschilderten deutschen und österreichischen Beispiele müssen beide Länder außerhalb der hier beschriebenen Kategorien verortet werden. Deutschland und Österreich sind im Umgang mit den dezidiert sowjetischen Denkmalsorten – im Gegensatz zu den von Stefan Troebst in Kategorie I als beispielhaft genannten baltischen Staaten, die den Kommunismus als oktroyiert und fremd ablehnen und dementsprechend die Denkmalsrelikte sowjetischer Herrschaft größtenteils zu tilgen bzw. umzubetten versuchen – zwingenden vertraglichen Verpflichtungen unterworfen.104 Dazu zählen für den deutschen Raum der »2+4- Vertrag«, der »Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken« sowie das »Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Russischen Föderation über Kriegsgräberfürsorge in der Bundesrepublik Deutschland und in der Russischen Föderation«. Im Falle Österreichs regelt seit 1955 der Staatsvertrag den Umgang mit den sowjetischen Denkmalen. 3.4 Beschreibung der Anlagen und Interpretation ihrer Symbolik Bereits in der Einleitung dieser Untersuchung wurde auf die unterschiedliche Forschungslage und die vielfältigen Forschungsdesiderata im Hinblick auf die Ehrenmale in Berlin undWien hingewiesen. So wurde speziell die kunsthistorische Einordnung der drei Anlagen bislang in einem sehr unterschiedlichen Umfang vorgenommen. ImFalle der Anlage inWien spiegelt sich der geringe Stellenwert der Anlage im öffentlichen Bewusstsein in besonderer Weise auch in der Aufmerksam der Forschung wider. Diese hat sich erst 60 Jahre nach der Einweihung des Denkmals überhaupt der Anlage zugewandt, wobei der Fokus nicht auf einer kunsthistorischen Einordnung liegt. Zumeist sind es Beiträge zur Erbauung und Einweihung der Anlage und ferner eher essayistische Reflexionen über diesen Ort aus verschiedenen Perspektiven.105 Daneben existieren zum Ehrenmal am Schwarzenbergplatz Einträge in verschiedenen kunsthistorischen Lexika, die sich jedoch im Wesentlichen auf die Beschreibung der Anlage beschränken.106 Auf eine vergleichende ikonografische Einordnung wird dabei in aller Regel verzichtet, oder sie erfolgt ausschließlich pejorativ.107 Regelmäßigwidmen sich dagegen kunsthistorische Reiseführer diesem »Paradebeispiel für so-
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