Leseprobe

9 auch veränderte. Schließlich ist man heute so weit, Kulturtransfer als einen pluridirektionalen, also vielgerichteten, Prozess zu begreifen. Genau hier setzen die Beiträge dieses Bandes an, indem sie Hanau nicht als Profiteur eines mono- oder bidirektionalen Kulturtranfers, sondern als ein Drehkreuz in vielfältigen europäischen Kunst- und Wissenstransfers auf unterschiedlichen Ebenen untersuchen. Bezüglich des betrachteten Raums ist festzuhalten, dass zwischen dem 16. und frühen 19. Jahrhundert unterschiedliche Zentren kultureller und künstlerischer Innovation erhebliche Konjunkturen erlebten und sich durchaus in einem Konkurrenzverhältnis zueinander befanden, das sich aber eben nicht durch Abschottung auszeichnete, sondern durch einen Austausch und offenen Wettbewerb. Das Rhein-Main-Gebiet war dabei durch seine geographische Lage und seine seit demMittelalter gepflegten Handelsbeziehungen und Verkehrswege gleichsam das Zentrum von zwei kulturellen Bezugssystemen: Zum einen, im kleineren, auf das Alte Reich bezogenen Rahmen, zwischen dem Niederrhein mit Köln und Aachen im Nordwesten, Nürnberg im Südosten, sowie Straßburg und Augsburg im Süden; zum anderen ist das Rhein-Main-Gebiet als Schnittfläche des Kunst- und Wissenstransfers in einem weiteren europäischen Rahmen zu sehen, nämlich zwischen den Niederlanden im Nordwesten, Italien im Süden sowie dem Kaiserhof in Prag beziehungsweise Wien im Osten. Die prägnanten, pointierten Beiträge geben einen Einblick in die Vielfalt von Bereichen, in denen es zu fruchtbarem kulturellen Austausch in der Planstadt Hanau kam – von der Kunst und Architektur über die Ausübung des Gold-, Silberschmiede- und Druckgewerbes bis hin zur Lehreinrichtung der Hohen Landesschule. Die Abbildungen unterstreichen die Erkenntnisse der Beiträge und geben zugleich einen Eindruck der frühneuzeitlichen in und um Hanau entstandenen Kunst- und Druckerzeugnisse wieder. So zeigt dieser Band neueste Forschungstendenzen zum Kulturtransfer anhand der Neustadt Hanau auf und präsentiert zugleich anschaulich die künstlerischen Folgen ihrer Gründung. Der Publikation dieses Bandes folgt im Frühjahr 2023 eine neue Dauerausstellung des Historischen Museums Hanau Schloss Philippsruhe, die sich mit der Gründung und Entwicklung der Neustadt Hanau beschäftigen wird. Die Beiträge dieses Bandes haben erheblich zur inhaltlichen Erarbeitung dieser Ausstellung beigetragen. Sie wird sich mit den Kernthemen der Stadtplanung und ihrer Aushandlung befassen und Migration, Innovation und Kulturtransfer anhand von Hanauer Erzeugnissen vom 16. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts beleuchten. Die Ausstellung wird Zusammenleben und Austausch im beschränkten Raum der Planstadt mit einer Bevölkerung zeigen, die sich aus verschiedenen Sprach-, Glaubens- und Berufsgemeinschaften zusammensetzte. Ebenso wird ein Fokus auf die Interaktion mit den Netzwerken und Verflechtungen außerhalb der Neustadt gelegt werden, von der direkten Nachbarschaft bis hin zu den Netzwerken der Exulantinnen und Exulanten in ganz Europa. Durch eine Interaktionsspur auf analoger und digitaler Ebene werden die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung Verknüpfungen zu aktuellen Themen und Fragen herstellen und die Bedeutung der Gründung und Entwicklung der Neustadt für die Gegenwart diskutieren können. Ganz im Lichte des 425-jährigen Jubiläums der Neustadtgründung werden die Publikation des Bandes und die Ausstellungseröffnung von vielen weiteren attraktiven Veranstaltungen und Aktionen zur reichen Geschichte Hanaus sowie seiner Bewohnerinnen und Bewohner begleitet sein. Ein Dank gilt dem Kulturfonds Frankfurt RheinMain und der Stiftung Flughafen Frankfurt/Main für die Region sowie dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde für die Förderung von Tagung, Band und Ausstellung sowie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, in deren Förderung zur Modernisierung von Schloss Philippsruhe die genannten Projekte eingebettet sind. Ein Dank gilt ebenso Herrn Martin Hoppe und Herrn Christian Krüger für die aufmerksame und eingehende Korrekturlektüre der Beiträge, Herrn Stephan Loquai und Herrn Jan Nils van der Pütten vom Stadtarchiv Hanau für biographische Recherchen sowie Frau Nele Bielenberg, Frau Una Giesecke und dem Sandstein Verlag für die gelungene graphische Gestaltung, Satz, Endkorrektorat und Druckbetreuung des Bandes. | 1 | Auswirkungen einer Stadtgründung, hg. vom Magistrat der Stadt Hanau, der Wallonisch-Niederländischen Gemeinde und dem Hanauer Geschichtsverein 1844 e.V., Hanau 1997.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1