Leseprobe

205 Die 1597 erfolgte Gründung und Entwicklung der Neustadt Hanau fand bereits zeitgenössisch große und überregionale Aufmerksamkeit. Seit dem 19. Jahrhundert findet sie in nahezu jedem Werk der lokal- und landesgeschichtlichen Forschung Beachtung, wie sie auch in migrations- und stadtgeschichtlichen Untersuchungen thematisiert wird. Im Folgenden soll anhand eines Ganges durch die einschlägige Literatur skizziert werden, wie Gründung und Entwicklung der Neustadt sowie insbesondere die Motivationen der Exulanten und des Stadtgründers Graf Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg (1576–1612) beurteilt bzw. dargestellt wurden. Es geht dabei nicht nur um eine kritische Beschäftigung mit der fachwissenschaftlichen Literatur, sondern auch und besonders um das »Bild« der Neustadt und ihrer Gründung, wie es der breiteren Öffentlichkeit in Hanau selbst in Gelegenheitsschriften, Festschriften und Werken der Lokalgeschichte vermittelt wurde.1 Angesichts der umfangreichen Literatur wird sich auf eine repräsentative Auswahl bis in die 1950er Jahre beschränkt. VON DEN ANFÄNGEN BIS ENDE DES 18.JAHRHUNDERTS Bereits 1605 berichtete der in Kassel tätige Kartograph und Geschichtsschreiber Wilhelm Scheffer, genannt Dilich (1571–1650) knapp, aber begeistert, dass Graf Philipp Ludwig II. seine Stadt »nunmehr innerhalb wenig jahren mit einer newen stadt / deren gebew auff’s herrlichst erbawet unnd zugerichtet / von den Niederlendischen kauffleuten erweittert« habe.2 Der dazugehörige Kupferstich zeigt die erste Ansicht Hanaus mit der im Bau befindlichen Neustadt. (ABB. 1) Nur ganz kurz erwähnt eine Generation später Martin Zeiller (1589–1661) in Merians Topographia »die Alte / unnd Newe Statt /« sowie die »Niderländ= und Frantzösische Kirch«, um sich dann ausführlich den Ereignissen des Dreißigjährigen Krieges zu widmen.3 Dies steht in eigentümlichem Kontrast zu der doppelseitigen Grundrissdarstellung und der Ansicht Hanaus, war es doch das erklärte Ziel Merians, in seinen Topographien »die hiebevorige Glückselig- und Herrligkeit«,4 also die Schönheit und den Reichtum der Städte vor dem großen Krieg zu dokumentieren. Eine mögliche Erklärung ergibt sich aus Zeillers Biographie. Er war zwar selbst ein Glaubensflüchtling aus der Steiermark, hing aber dem lutherischen Bekenntnis an und lebte damals im strikt lutherischen Ulm. Seine Sympathien für die reformierten Niederländer und die Neustadt Hanau dürften sich ABB.1 Hanau, in Wilhelm Dilichs »Hessische Chronica«, 1605, nach S. 52, Historisches Museum Hanau Schloss Philippsruhe, ohne Inv.-Nr.

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