Leseprobe

171 GRÜNDUNG DER HOHEN LANDESSCHULE Gegründet 16072 von Philipp Ludwig II. (1576–1612) im Kontext seiner umfassenden Verwaltungsreformen3 hatte die Hohe Landesschule zunächst einen schweren Stand. Der frühe Tod des Grafen und der Kriegsverlauf zwischen 1618 und 16484 verzögerten einen effektiven und schnellen Aufbau der Bildungsanstalt.5 Trotz des intensiven Bemühens seiner Frau Katharina Belgia6 (1578–1648) brachte erst die Herrschaftsübernahme der Lichtenberger einen allmählichen Aufschwung für die Schule. Jedoch wurde die Hohe Landesschule letztlich erst 1665 durch Friedrich Casimir7 (1623–1685) als das eröffnet, wofür sie bereits sechzig Jahre zuvor vorgesehen war: als eine Akademie mit angeschlossenem Pädagogium. Wodurch zeichnete sich dieser Schultyp konkret aus? ENTWICKLUNG DES SCHULTYPS »AKADEMISCHE GYMNASIEN« In Herrschaftsbereichen, in denen sich wie in der Grafschaft Hanau-Münzenberg allmählich die zweite, calvinistisch geprägte Reformation durchsetzte,8 war gut ausgebildetes theologisches und juristisches Personal dringend notwendig, handelte es sich zum einen um Gebiete, in denen sich gerade erst so etwas wie eine professionelle landesherrschaftliche Verwaltung auszubilden begann.9 Zum anderen konnten reformierte Landes- und Stadtherren nicht ohne Weiteres auf Hochschulen zurückgreifen, sofern nicht gerade zufällig im eigenen Territorium bereits bestehende Universitäten lagen (Heidelberg, Marburg).10 Eigene reformierte Universitäten konnten in der heißen Phase der Konfessionalisierung nicht oder nur schwer gegründet werden, da die notwendigen Privilegien hierzu vom Papst oder Kaiser kamen, die als katholische Mächte den reichsrechtlich durch den Augsburger Frieden von 1555 nicht anerkannten Reformierten diese zunächst verwehrten.11 Daher war man gezwungen, die Studierwilligen an die lutherischen Universitäten zu senden. Abhilfe schaffte 1582 im fürstlich-anhaltinischen Zerbst die Gründung einer reformierten Oppositionsbildungsanstalt zum lutherischen Wittenberg.12 Ihr folgte 1584 die Hohe Schule in Herborn.13 1607 wurde die Hohe Landesschule in Hanau gegründet, 1610 dann eine Hohe Schule in Bremen.14 Allerdings blieb dieser Schultyp nicht nur auf calvinistische Herrschaften beschränkt. 1613 folgte im lutherischen Hamburg ein akademisches Gymnasium.15 Wie sah dieser Schultyp aber organisatorisch aus? INNERER AUFBAU DER AKADEMISCHEN GYMNASIEN Die Hohe Landesschule wurde also im Zuge des Konfessionalisierungs- und Territorialisierungsprozesses als höheres Gymnasium (»Gymnasium illustre«) gegründet.16 Wie einige dieser Bildungseinrichtungen, so entwickelte sich auch die Hohe Landesschule bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zu einer Art Semi-Universität. Was bedeutet das? Spätestens ab ihrer Neugründung durch Friedrich Casimir im Jahr 1665 bis zu ihrer Schließung 1812 besaß sie neben einem Pädagogium, das heißt dem kleinen Gymnasium als einer Art heutiger Unter- und Mittelstufe, einen akademischen Überbau mit den Fakultäten Theologie, Jurisprudenz, Medizin und einer philosophischen Fakultät samt den jeweiligen lehrenden Professoren. Später kamen Professuren für Physik und Mathematik sowie für den modernen Sprachunterricht hinzu.17 (Graphik 1) In diesem universitätsähnlichen Überbau wurden sogenannte »lectiones publicae« abgehalten und damit ein universitätsähnlicher Betrieb geschaffen, während in den Klassen des Pädagogiums auf die Universität vorbereitender Unterricht angeboten wurde.18 Bei der Hohen Landesschule handelte es sich um ein typisches Beispiel eines solchen »Gymnasium illustre«.19 Seine Zwitterstellung zwischen Universität und besseren Lateinschulen macht aber eine exakte Typologisierung schwierig, weshalb es bislang

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