Leseprobe

106 DIE GRAFEN VON HANAU UND DIE NIEDERLANDE Vielleicht unterhielten die Grafen von Hanau bereits im späten 15. Jahrhundert Beziehungen in den niederländischen Kulturraum. Herausragendes Beispiel hierfür wäre das sogenannte »Gothaer Liebespaar«, jedoch ist dies nicht unumstritten. Ohne hier auf die komplexe und kontroverse Frage eingehen zu können, ob hier tatsächlich Graf Philipp I. von HanauMünzenberg (1449–1500) mit seiner Geliebten Margarethe Weißkirchner (* ca. 1460) dargestellt ist, scheint das Wappen zumindest nach Hanau zu weisen. Träfe dies zu, so zeigte sich die Region als ein künstlerisches Zentrum, gilt doch das um 1480/85 entstandene »Gothaer Liebespaar« als eines der Meisterwerke der Kunst vor Dürer. Wenngleich die Figur des Malers, der unter dem Notnamen »Meister des Amsterdamer Kabinetts« firmiert, bislang nicht identifiziert werden konnte, wird doch eine Herkunft aus den Niederlanden oder zumindest gute Kenntnis der dortigen Kunstproduktion angenommen.6 Muss diese Frage also noch offenbleiben, so bestanden seit dem 16. Jahrhundert gesichert verwandtschaftliche Beziehungen zum Haus OranienNassau. Juliane von Stolberg (1506–1580) heiratete 1523 Philipp II. von Hanau-Münzenburg (1501–1529). Nach dessen Tod sechs Jahre später heiratete sie 1531 Wilhelm den Reichen von Nassau-Dillenburg (1487–1559) und wurde so zur Stammmutter des Hauses von Oranien.7 Einer der Söhne aus Julianes erster Ehe war Reinhard von Hanau-Münzenberg (1528–1554), der 1554, in kaiserlichen Diensten stehend, in Béthune in Flandern starb.8 Ein von dem Antwerpener Bildhauer Jacques Jonghelinck (1530– 1606) entworfenes Epitaph für den Verstorbenen hat sich leider nicht erhalten. Dagegen ist zumindest der Entwurf für ein Grabdenkmal für Reinhards Bruder, den 1561 verstorbenen Philipp III. von Hanau-Münzenberg (1526–1561), erhalten geblieben.9 Es gelangte jedoch nicht zur Ausführung, stattdessen schuf Johann von Trarbach (1530–1586) ein Epitaph, das sich noch heute in der Marienkirche in Hanau befindet.10 Von Reinhard wiederum ist ein mit 1554 datiertes Bildnis erhalten, das bislang wenig Beachtung fand. Es stammt von einem unbekannten (deutschen?) Maler und folgt in seinem steifen Standmotiv den Werken von Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553) und seiner Schule. Ein Landschaftsausblick reichert das Bildnis etwas an.11 Ein weiteres, ebenfalls mit 1554 datiertes Bildnis stellt Philipp IV. von Hanau-Lichtenberg (1514–1590) dar und mutet in Komposition und Landschaftsausblick wie ein Zwilling an.12 Der Vergleich verdeutlicht, dass hier wohl weder nach dem Leben gemalt wurde noch eine topographische Genauigkeit der Umgebung angestrebt war. Vielmehr wurde dasselbe Standmotiv auf denselben bunten Fliesen verwendet sowie versatzstückartig Landschaftselemente zusammengefügt, die Mitglieder der beiden, seit der Mitte des 15. Jahrhunderts getrennten Linien des Hanauer Grafenhauses zeigen. Dies deutet darauf hin, dass die Serie kaum zeitgenössisch sein dürfte, sondern wohl erst nachträglich entstand, vielleicht auf der Grundlage älterer Bildnisse. Reinhards Stiefbruder Wilhelm I. wurde bekanntlich zum Begründer des Hauses Oranien-Nassau und wird als »Vater des Vaterlandes« bis heute mit hoher nationaler Emphase verehrt. Diese verwandtschaftlichen Beziehungen intensivierten sich dann mit Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg, der sich 1593/94 in den Niederlanden aufhielt und engen Kontakt zu den Prinzen von Oranien unterABB.2 Philipp Ludwig II. von HanauMünzenberg, Dominicus Custos, Kupferstich, um 1600, Museumslandschaft Hessen Kassel, Graphische Sammlung, Inv.-Nr.: GS 17617.

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