Leseprobe

105 Ein Blick auf Porträts aus der Frühen Neuzeit offenbart schnell, dass es insbesondere im 16. und 17. Jahrhundert recht starre Darstellungskonventionen für das fürstliche Bildnis gab, die nur wenig Spielraum innerhalb der Gattung erlaubten. Bildnisse dienten nicht nur der memoria an eine bestimmte Person, sondern waren eingebettet in ein Bedeutungsgeflecht von Familie, Dynastie und Politik. Sie hatten darin eine bestimmte Rolle zu spielen bzw. diese Rolle wurde ihnen durch die Betrachterinnen und Betrachter zugewiesen. Individualität musste hierbei bisweilen hinter Repräsentation zurücktreten. Dies konnte unter anderem auch dazu führen, dass Bildnisse erst nachträglich durch Beschriftung einer bestimmten Person zugeordnet wurden, auch wenn sie ursprünglich jemand anderen darstellten. Ein Beispiel hierfür wäre ein Porträt von Gerrit van Honthorst (1592–1656), das laut Inschrift eine Lady Craven aus London darstellt, jedoch in Wirklichkeit Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel (1602–1651), geborene Gräfin von Hanau-Münzenberg zeigt.1 Innerhalb einer Familie oder Dynastie führte dies zu einer gewissen Uniformität der Bildnisse, die zudem gerne in Bildnisreihen in Auftrag gegeben wurden. Ein Beispiel wären die Porträts der drei hessischen Landgrafen Philipp I. der Großmütige (1504– 1567), Wilhelm IV. (1532–1592) und Moritz der Gelehrte (1572–1632), die um 1617 von Johann Christoph Jobst (1599–1657) angefertigt wurden.2 Doch auch außerhalb solcher Reihen war der Spielraum für Individualität sehr beschränkt, wie ein Vergleich des »Porträts von Philipp Ludwig II von Hanau-Münzenberg« mit Tizians (ca. 1490–1576) »Porträt des spanischen Königs Philipp II.« oder Alonso Sánchez Coellos (ca. 1531–1588) »Bildnis des Erzherzog Wenzel« zeigt, die sich alle in ihrer Pose recht ähnlich sind.3 Man kann von einem europaweit verbindlichen Code sprechen, der nur begrenzt Raum für individuelle Ausprägung ließ.4 (ABB. 1) Eingedenk dieses Umstandes mag es müßig oder auch vermessen erscheinen, die Bildnisse innerhalb einer Grafschaft auf ihre Spezifika hin zu untersuchen bzw. auf die Frage, wie sich diese im Kontext der Oranien-Nassauischen Porträtmalerei darstellen. Dennoch soll hier der Versuch unternommen werden, ob sich durch die dynastische Verbindung der Grafen von Hanau mit dem Haus Oranien-Nassau eine Veränderung feststellen lässt. Sichtbaren Ausdruck fand diese Verbindung mit der Eheschließung von Catharina Belgia (1578–1648), einer Tochter von Wilhelm I. von Oranien-Nassau (1533–1584), mit Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg (1576–1612).5 ABB.1 Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg, Paulus Friskius oder Daniel van den Queborn, Öl auf Leinwand, um 1594, Kulturstiftung des Hauses Hessen, Schloss Fasanerie, Inv.-Nr.: B 6008.

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