Leseprobe

72 (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit) in der Architektur kam dabei eine besondere Bedeutung zu. Leon Battista Alberti (1404–1472) war einer der ersten, der diese Forderungen seinerseits in seinem Architekturtraktat aufgriff. Wie überhaupt die Bedeutung des Architekten, der über Kenntnisse in der Malerei und der Mathematik ebenso wie im Zeichnen und imModellbau zu verfügen hatte, enorm zunahm. Die Fürsten und Päpste der Renaissance bedienten sich gern dieser an der Antike geschulten Architekten und Künstler.8 So beeinflussten diese Entwicklungen auch die Kriterien, nach denen das Aussehen der Städte bewertet wurde. Neben mathematischen und geometrischen Kenntnissen befassten sich Verfasser von staats- und architekturtheoretischen Schriften vermehrt mit der Planung von idealen und utopischen Städten. Mit dem Anspruch der Zeit an eine mathematisch erfassbare Lebenswelt verband sich die Vorstellung von Schönheit als rationaler Ordnung – in der Städteplanung war darunter ein mathematisch beschreibbarer Grundriss zu verstehen. Dieses veränderte ästhetische Empfinden verband sich jedoch mit lebensweltlichen Motiven, wie die Städte besser vor Schäden durch Feuer oder Erdbeben zu schützen. In vielen Städten führte dies sukzessive zu Planung und Einführung einheitlich gestalteter Straßenzüge und Platzanlagen – besonders bei der Neuplanung ganzer Städte oder bei der Erweiterung oder Sanierung bestehender Stadtstrukturen.9 Doch anfänglich übten die Architekten ihre Ideale von Proportion und Gleichmäßigkeit nur an einzelnen Bauwerken, denn den Städten und Stadtstaaten fehlten für groß angelegte, langfristige Bauprogramme die nötigen finanziellen Mittel wie auch die politische Stabilität. Die Idealstadt blieb projektierte Utopie. Anfänglich wurden bereits existierende Stadtstrukturen überbaut, selten neue geplant und errichtet, oft erwiesen sich die Planungen als überzogen oder undurchführbar.10 Einer der ersten, der sich mit der Idealstadt befasste, war Antonio di Pietro Averlino, genannt Filarete († 1469), der in seinem »Architettonico Libro« (um 1460–1464), einem in Form des höfischen Romans verfassten Architekturtraktat, die sternförmig befestigte, hierarchisch durchstrukturierte Planstadt Sforzinda präsentierte, deren Grundriss ein Kreis eingeschrieben ist und deren Wegesystem radial auf den Mittelpunkt ausgerichtet ist. (ABB. 1) Francesco Sforza (1401–1466) war namengebend für Sforzinda und Filarete widmete sowohl ihm als auch Piero de’ Medici (1416–1469) jeweils ein Exemplar seines Traktats.11 Die Diskussion der nun zahlreich entstehenden Architekturtraktate schwappte auch über die Alpen in den Norden.12 Die erste tatsächliche Umsetzung eines solchen Projektes war Pienza, das durch die Umgestaltung des Dorfes Corsignano, dem Geburtsort Pius’ II. (1405– 1464), entstand. Da die Gesamtplanungen beim Tod des Papstes 1459 eingestellt wurden, kam es nur zu einer partiellen Verwirklichung des Idealstadtgedankens, allerdings nicht im Hinblick auf eine ideale Stadtgesellschaft, sondern auf eine hierarchisch strukturierte – auf den Papst als Gründer ausgerichtete – Stadtrepublik.13 ABB.1 Plan der Idealstadt Sforzinda, in: Filarete: Libro architettonico, um 1460–1464, Wikimedia Commons (https://commons. wikimedia.org/wiki/ File:Idealstadt.jpg). ABB.2 Bastionierte Idealstadt, in: Joseph Furttenbach: Architectura martialis. D.i. ausführliches Bedencken über das zu dem Geschütz und Waffen gehörigen Gebäw, 1630, Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, 2 Stw 141.

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