Leseprobe

71 »Die Einfahrt nach Hanau, welches in seiner Länge vom Frankfurther bis zum Nürnberger Thor durchschritten werden mußte, machte einen großen Eindruk auf mich. Eine solche große Stadt hatte ich nach meiner Meinung noch nicht gesehen, ob ich gleich an demselben Tag in Frankfurth, das sich wie eins zu vier verhält, gewesen war.«1 So schildert Philipp Jakob Hildebrandt d. J. (1770–1840), Sohn des gleichnamigen Hanauer Jägerleutnants, der mit seinen Eltern 1777 von Homburg nach Hanau kam, seine Eindrücke beim Betreten der Stadt. Diese ergaben sich daraus, dass die Hanauer Straßen – im Gegensatz zur engen Frankfurter Altstadt in der Neustadt breiter und die Anlage regelmäßiger war, denn sie war eine »nach Schnur und Winkelmaß angelegte, neue Stadt plötzlich aus dem Boden [ge]stieg[en], zu einer Zeit, wo Ähnliches in Deutschland noch nicht geschehen war und wodurch sie späterhin als Vorbild der Stadtanlagen zu Berlin, Cassel, Mannheim etc. angesehen werden mußte«, wie Carl Arnd und Johann Peter Ruth in ihrer Geschichte der Neustadt Hanau schrieben.2 Die planmäßige Anlage war eben ausschlaggebend für die positive Beurteilung der Stadt, wie bereits 1675 Joachim von Sandrart (1606–1688) ausführt: »Die welt-berühmte neue Stadt Hanau, als eine der zierlichsten und ganz neu-erbauten Stätt in Teutschland, wurde anfänglich nach den Regeln der Bau-Kunst abgestochen, damit alle Gassen schön weit werden, und auf einander correspondieren auch die herrlichen Behausungen ordent- und zierlich seyn möchten […].«3 Ausgehend von diesen Zitaten sollen nun die frühneuzeitlichen Planstädte unter folgenden Kriterien betrachtet werden: So wird nach den Vorbildern und Nachahmern, vielleicht sollte man besser »Vorläufer« und »Nachfolger« sagen, ebenso zu fragen sein wie nach den grundsätzlichen Ideen der Planstädte, nach den Auslösern und Motiven ebenso wie nach der Realität, sprich den Aufwendungen und Unwägbarkeiten bei der Realisierung. ZUR IDEE DER PLANSTADT Die Planstadt ist keine Erfindung der Neuzeit, sondern geht in ihren Ursprüngen bis in die Antike zurück. Selbst das Mittelalter kennt die Planstadt, auch wenn dies heute nicht mehr eindeutig nachvollziehbar ist, aber es gab regelmäßige Anlagen – etwa Lemgo im östlichen Nordrhein-Westfalen, ehemals Grafschaft Lippe, das südböhmische Budweis (České Budějovice) oder das toskanische San Giovanni Valdarno – um nur einige in willkürlicher Auswahl zu nennen. In Lemgo etwa verliefen drei Parallelstraßen, die dann im Osten vor der Toranlage zusammenliefen. Bei der Eingliederung der Neustadt wurde dieses Planprinzip der Parallelen beibehalten. In Budweis hingegen war ein zentraler Platz ohne Einbauten angelegt, auf den die von außen kommenden Straßen mündeten. Auch San Giovanni Valdarno wies einen rasterförmigen Grundriss mit zentralem Platz auf.4 Zwar fehlen mittelalterliche kartographische Quellen, die Auskunft über die Anlage der zahlreichen im Hochmittelalter entstehenden Städte geben könnten, doch ist davon auszugehen, dass es Überlegungen zur Ordnung des Stadtraumes gab – sei es aus fortifikatorischen, Repräsentations- oder gesellschaftlichen Motiven. Herrschaftssitze, Rathäuser oder Kirchen dominierten den Stadtraum.5 Daher ist nicht von einer direkten Dichotomie zwischen Planstädten und historisch gewachsenen Städten auszugehen, denn auch in Städten, die sich sukzessive und unregelmäßig entwickelten – etwa Nürnberg – sind Planungen festzustellen und in den Gründungsstädten blieb Freiraum für Ungeplantes.6 Voraussetzungen für geplante Städte sind ausreichend Platz und finanzielle wie technische Ressourcen, wobei die Utopie der Idealstadt immer mit zu bedenken ist. Doch zum einen veränderten sich diese Idealvorstellungen im Verlauf der Jahrhunderte7 und zum anderen waren Städte immer auch an ihre topographischen Voraussetzungen gebunden bzw. wurden gerne an Orten angelegt, die verkehrs- oder sicherheitstechnisch günstige Lagen boten – etwa an Flussläufen. Ein Blick nach Italien zeigt, dass dort im ausgehenden 14. Jahrhundert ein qualitativ neues Interesse für die Architektur der Antike entstand, der formensprachliche Charakter von antiken Bautypologien, Proportionen und Gliederungssystemen wurde als Vorbild für neue Bauten genommen. Den Ansprüchen Vitruvs nach Firmitas (Festigkeit), Utilitas

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