Leseprobe

Bewahren?! Mosaiken und keramische Wandflächen in der Denkmalpflege

Bewahren?! Mosaiken und keramische Wandflächen in der Denkmalpflege Konferenzband zur Fachtagung des Amtes für Kultur und Denkmalschutz der Landeshauptstadt Dresden 4. bis 6. Oktober 2022 Sandstein Verlag

  Inhalt

5 Annekatrin Klepsch 11 Mosaiken als Puzzleteile urbaner Identität Prof. Philip Kurz 13 Grußwort Bernhard Sterra 14 Prolog Mosaiken und keramische Wandflächen im Blick zurück Manfred Herbert Höhn 20 Zeitgenössisches Mosaik in Kunst und Architektur Ute Joksch 24 Das venezianische Mosaik aus dem 13. Jahrhundert in der Potsdamer Friedenskirche Rainer W. Leonhardt 32 Mosaiken der Macht aus Berlin für die Welt Die Geschichte der Berliner Mosaikfabrik Puhl & Wagner Petra Mayer und Walter Uptmoor 46 Mayer’sche Hofkunstanstalt 175 Jahre Tradition und Innovation in Glas und Mosaik Malu Storch 56 Tiroler Mosaikwerkstätten Rainald Franz 66 Baukeramik in der Wiener Moderne zwischen 1890 und 1930 Materielle und ästhetische Aspekte Eva Merle 74 Maria an einem anderen Ort Die Restaurierung der Mosaiken der Frauenfriedenskirche

6   Mosaiken und keramische Wandflächen der Nachkriegsmoderne in Deutschland Peter Writschan 84 Farbige Keramik in Rostock: Von der Gotik inspiriert Nikolaus Bencker 90 Mosaiken und keramische Fassadenkunst der Wiederaufbauzeit in Nürnberg Materialien, Motive, Auftraggeber und heutige Wertschätzung Rainer Knauf 102 Mosaiken und keramische Wandflächen der Nachkriegszeit im Saarland Programmatische und denkmalpflegerische Aspekte Klaus Jestaedt 112 Leipziger Mosaiken zwischen 1949 und 1990 – erfassen, bewerten, erhalten Klaus-Peter Dyroff 126 Sicherung und Restaurierung von Mosaikkunstwerken seit den 1980er Jahren in Sachsen Ralf Große und Ralf Peter Pinkwart 136 Baugebundene Kunst in Hoyerswerda aus der Zeit der Stadtexpansion und der Umgang damit in der Nachwendezeit Marcus Weiß 146 Das Wandmosaik Der Tanz von Bert Heller (1912–1970) im Berliner Schlosspark Schönhausen Auf den Spuren eines verlorenen Kunstwerks Elmar Kossel 154 Walter Womackas Vorentwürfe zum Fries am Haus des Lehrers in Berlin Martin Fliedner und Torsten Nimoth 164 Die Wandgestaltung von Karl Heinz Adler und Friedrich Kracht am Neuen Rathaus in Plauen (Vogtland)

7 Paul Zalewski 174 Die letzte Chance, die Künstler*innen zu befragen Zeitzeugeninterviews zu einem vergessenen Vorzeigeprojekt der DDR in Frankfurt (Oder) Dirk Kretzschmar und Jakob Schwichtenberg 184 Fragile Geschichten Die Keramische Säule in Schwerin Susanne Carp 194 Keramik auf Beton – die farbigen Wände des KERAMION in Frechen Oliver Sukrow 198 Mensch – Natur – Technik Geschichte und Wiederherstellung des Erfurter Wandbildes von Josep Renau Magdalena Scherer 208 Aktuelle Herausforderungen bei der Wiederanbringung keramischer Wandgestaltungen am Beispiel Erdstrukturen – Lebensbaum – Wasser von Manfred Wenck in Frankfurt (Oder) Ralf Liptau und Rasmus Radach 216 Nächste Station Schwimmbecken? Keramische Gestaltungskonzepte im U-Bahn-Bau der Nachkriegsmoderne Michael Pfanner und Judith Schekulin 226 Schäden am Scheidplatz Zur Sanierung der U-Bahn-Stationen der Olympialinie in München Silke Wagler 234 Rekontextualisierung als Impuls Ein typisches DDR-Wandbild aus Meissner Porzellan und seine gelungene künstlerische Übersetzung in die Gegenwart Peter Leonhardt 246 Die Mosaiken aus dem Sowjetischen Pavillon auf der Technischen Messe in Leipzig Joana Pomm 260 Heinrich Jungebloedt (1894–1976) Künstler und Mosaizist

8   Liane Wilhelmus 266 »Keine Anstecknadel am Revers« Mosaiken und keramische Wandarbeiten im Werk Georg Meistermanns. Eine Fallstudie Anna Dyroff 276 Bergung, Restaurierung und Wiederanbringung eines Mosaikkunstwerks am Beispiel eines Glasmosaiks von Georg Schmidt-Westerstede Sylvia Lemke 280 Die weibliche Seite der baugebundenen Keramik Sigrid Gensichen 288 Ein Ensemble keramischer Wandreliefs mit Brunnenanlage im Hof des Finanzamts Mannheim von Elisabeth (Tutti) Veith (1922–2004) Gwendolin Kremer 298 Mosaiken und Keramiken in der Ostmoderne Keramische Forschung an der TU Dresden – ein Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft Tanja Kilzer 308 Zwischen Würdigung, Vernachlässigung und Abriss Denkmalpflegerische Betrachtungen zu den Mosaiken des Künstlers Jürgen Hans Grümmer an der Universität zu Köln Antje Kirsch 318 Zwischen Experiment und Erfindung Zur Beschreibung von werktechnischen Kriterien keramischer Wandbilder in der Nachkriegsmoderne Mosaiken und keramische Wandflächen der Nachkriegsmoderne außerhalb Deutschlands Isabel Haupt 330 Bilder für die Ewigkeit? Anmerkungen zum Umgang mit Mosaiken in Schweizer Schulhäusern der Nachkriegszeit

9 Daniela Gurlt 340 Relikte sowjetischer Mosaikkunst im heutigen Aserbaidschan Ein Blick von außen Lubava Illyenko 352 Die sowjetische Kunst des Mosaiks im öffentlichen Raum der Ukraine von 1960 bis 1980 Das staatliche Auftragssystem in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik Gabriela Citko und Piotr Knapik 362 Das Mosaik und die Architektur des Biprostal-Hochhauses in Kraków Magdalena Kracík Štorkánová and Pavla Bauerová 370 Monumental mosaics in Czechoslovakia between 1948 and 1989 Inappropriate legacy of communism or valuable works of art? Luan Starova 382 Der Herr der Steine Der nordmazedonische Mosaikkünstler Gazanfer Bayram Epilog Bernhard Sterra und Heike Heinze 392 Ein Kreis schließt sich Anmerkungen zu Geschichte und Verbleib des Wandmosaiks Mutter und Kind von Siegfried Schade in Dresden-Prohlis Anhang 404 Die Autorinnen und Autoren 414 Impressum

14 Prolog Bernhard Sterra Die Motivation, in der seit 2011 bestehenden Reihe der Dresdner Fachtagungen zur Denkmalpflege ein auf den ersten Blick gattungsspezifisch recht eingeengtes Sujet zum Thema zu machen, nährt sich aus unterschiedlichen Quellen. Sie erwuchs zunächst dem Umstand, dass die Landeshauptstadt Dresden als Eigentümerin eines monumentalen Wandbildes der 1970er Jahre schlicht in der Pflicht stand, dieses einer Zukunftsfähigkeit zuzuführen – auch wenn sich dieses Pflichtgefühl, von Denkmalpflegenden und anderen Enthusiasten ausgehend, erst auf andere entscheidende Stellen übertragen musste. Das Mosaik mit dem Titel Mutter und Kind, das der Künstler Siegfried Schade für einen zehngeschossigen Plattenbau der Großsiedlung Dresden-Prohlis entwarf und ausführte (Abb. 1), hatte bis in die jüngere Gegenwart das Schicksal einer zunehmenden Dekonstruktion erfahren müssen: Kurz vor dem im Zuge des Stadtumbaus Ost geplanten Abbruch des Zehngeschossers im Jahr 2007 war das monumentale Kunstwerk unter Denkmalschutz gestellt worden. Es folgte sein geordneter Abbau und die – allerdings ungeschützte – Deponierung auf einem städtischen Bauhof (Abb. 2). Hatte schon zuvor mangelnde Instandhaltung zu einem signifikanten Schadensbild geführt, so wurde dies durch die neue Lagerung im Laufe der Zeit erheblich umfänglicher und dramatischer. Der zerlegte Zustand des über 270 qm großen Bildwerkes regte Fantasien – auch zu einer semantischen Dekonstruktion und Transformation – an, die immerhin zu einer etwas größeren öffentlichen Aufmerksamkeit führten. Dass sich nun im Jahr 2022 das Wandbild in einem fortgeschrittenen Stadium der Restaurierung befindet (siehe Beitrag von Sterra und Heinze in diesem Band), ist das Ergebnis eines vielschichtigen Prozesses, bei dem restauratorische Untersuchungen, zunehmende öffentliche Wahrnehmung und der wachsende Wille seitens der Verwaltung, das bildkünstlerische Werk als Zeitzeugnis von singulärem Wert zu überliefern, in der Summe zu einer Dynamik geführt haben, die ab einem gewissen Punkt unumkehrbar war. Das Zusammenwirken vieler Beteiligter – bei denen natürlich auch öffentliche Fördergeber und -geberinnen nicht unerwähnt bleiben dürfen – rechtfertigt es gegenwärtig, den Prozess mit dem Finale einer Wiederanbringung an vergleichbarem Ort optimistisch zu sehen. Von ganz entscheidender Bedeutung war und ist in diesem Prozess die kompetente und erfahrene Mitwirkung des Restaurierungsateliers Dyroff aus Schmiedeberg. Klaus-Peter und Anna Dyroff haben das Mosaik von den Stahlbetonplatten getrennt, das Kunstwerk auf diese Weise gesichert und restaurieren es nun im Auftrag der Landeshauptstadt Dresden. Sie haben auch den Gedanken einer deutschen

15 2 a, b Das Wandbild im Zustand der Zwischenlagerung (2007) 1 Das Wandmosaik Familie von Siegfried Schade, ehemals Elsterwerdaer Straße 1, Dresden-Prohlis

16   Mosaik-Fachtagung frühzeitig ins Gespräch gebracht und durch diese Idee die Stadt überzeugt, eine entsprechende Veranstaltung im Rahmen der Denkmal-Fachtagungen zu organisieren. Aus den Erfahrungen mit diesem Einzelwerk lässt sich exemplarisch die ganze Dramatik und Spannung nachzeichnen, die die denkmalpflegerische Arbeit so oft prägen. Es sind Themen, die in größerem Zusammenhang auch auf den gesellschaftlichen Umgang mit Epochen, mit Zeitschichten, verweisen. So war die Befassung mit dem Tagungsthema auch aus dieser Richtung motiviert, insofern die Zeugnisse der sogenannten Nachkriegsmoderne seit Jahren eine zunehmende Herausforderung für die unterschiedlichen Fachressorts der Denkmalpflege darstellen. Obwohl bis dato eine gewisse Etablierung der denkmalfachlichen Relevanz der Zeitschicht der 1960er bis 1980er Jahre konstatiert werden darf, was seinen Ausweis nicht zuletzt in zahlreichen, teilweise interdisziplinären Workshops, Tagungen, Symposien wie auch in ebenso zahlreichen Publikationen gefunden hat, sind doch die Inventare ebenso wenig abgeschlossen wie auch der Kenntnisstand zu Materialien, Techniken, zeit- und entstehungsgeschichtlichen Hintergründen etc. Die Verluste an Bauwerken dieser Zeitschicht sind bedauerlicherweise hoch, und der Bestand stellt nach wie vor komplexe Herausforderungen an die Inventarisation, die Baudenkmalpflege und nicht zuletzt auch an die Denkmalvermittlung, da die Nachkriegsmoderne im gesellschaftlichen Raum vielfach noch auf Akzeptanzprobleme stößt. Werke der baugebundenen Kunst, der Kunst am Bau, stellen zumeist integrale Bestandteile dieser Baudenkmale der Nachkriegsmoderne dar. Sie changieren – ganz vereinfacht – im typologischen Rahmen zwischen künstlerischer Wandverkleidung und Werkautonomie. Unabhängig von ihrer Programmatik, Ikonografie, formalästhetischen Semantik etc. sind sie jedoch in der Regel nicht vom Gesamtobjekt isoliert zu betrachten. Sie fügen sich so auch in eine Ikonologie von Architektur und Städtebau mit ihren jeweiligen zeitbedingten ideologischen, inhaltlichen und funktionellen Prämissen ein. Teilweise sind sie allerdings, wie etwa das Wandbild Familie, unabhängig vom Bauwerk, als Einzeldenkmale geschützt, gesichert, gerettet, und harren ihrer Wiederherstellung und Präsentation, idealerweise am authentischen Ort. Angemerkt sei als ein dritter Aspekt für die thematische Ausrichtung dieses Bandes die gattungsgeschichtliche Dimension: Mosaiken und keramische Wandverkleidungen stehen in einer Tradition von nahezu unübersehbarer historischer Vielfalt, in der der Aspekt der Nobilitierung eines Ortes durch diese Formen dauerhafter und verfeinerter künstlerischer Gestaltung einen wesentlichen Aspekt darstellt. Schon historisch sind die Typen, Techniken, Formate und Materialien außerordentlich vielfältig, sind teilweise miteinander kombiniert und werden, wie in römischer oder byzantinischer Zeit, zu höchster Künstlerschaft entwickelt. Der hohe Symbol- und Schauwert dieser Gestaltungen spiegelt sich sowohl in privaten Bauten wider, in denen sie die repräsentativen Bereiche schmücken, als auch – und besonders – in öffentlichen und halböffentlichen Bereichen profaner wie sakraler Widmung, in denen Mosaiken, Inkrustationen etc. den hohen Stellenwert von Orten, Gebäuden und deren Bauherren demonstrieren. Das ausgehende 19. und das 20. Jahrhundert führten in Aufnahme, Fortführung und Transformation historischer Vorbilder eine Wiederbelebung der Mosaikkunst herbei, wobei — ähnlich den großen Architekturbüros — nun teilweise große Mosaizierbetriebe, aber zugleich auch zunehmend einzelne Künstler- und Künstlerinnenpersönlichkeiten das Geschehen bestimmten.

17 Die Bezugnahme auf ikonografische und typologische Traditionen ist ebenso zu konstatieren wie eine Ausweitung des technischen Repertoires und das Experimentieren mit neuen Fertigungstechniken, etwa im Zuge des industrialisierten Bauens (Abb. 3). So entwickelt sich, je nach Bauaufgabe, künstlerischer Freiheit und inhaltlichem Anspruch ein Pluralismus nebeneinander bestehender Konstellationen und entsprechender künstlerischer Ergebnisse. Diese können sich von der Aufnahme frühchristlicher Typologien in der sakralen Baukunst über die Verschmelzung von Architektur, Skulptur und Oberflächengestaltung bis hin zu seriell hergestellten Modulsystemen für die künstlerische Ausgestaltung öffentlicher Bereiche erstrecken. So stellen die unterschiedlichen Blickwinkel auf die Thematik ein Kaleidoskop an möglichen Fragestellungen dar, die sich bei der denkmalpflegerischen Betrachtung und Betreuung der betreffenden Zeugnisse ergeben können. Denn die hier vorgestellten Objekte stehen zum größten Teil unter Denkmalschutz oder sind aus gutem Grund zumindest potenzielle Denkmale. Indem vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zur jüngeren Vergangenheit ein Bogen geschlagen wird, werden zum einen unterschiedliche historische Aspekte erschlossen, zum anderen wird der Aktionsradius der Denkmalpflege thematisiert. Sie erweitert als Fachbehörde ihre Inventare in einem Fortschreibungsprozess stetig und trägt damit dem öffentlichen Erhaltungsinteresse Rechnung, das die Überlieferung von kulturellen Zeugnissen zu einem Anliegen von gesellschaftlicher Dimension qualifiziert. Die Aufgabe der praktischen Denkmalpflege ist es, die Integrität von Substanz, Erscheinungsbild und Aussage eines Kunstwerks zu wahren. Und so werden in den zahlreichen Beispielen der Denkmalpraxis, die in diesem Band zusammengetragen werden, unterschiedlichste Aspekte betrachtet: entstehungsgeschichtlicher Kontext, inhaltliche Aussage und Bedeutung der Denkmale, Planungszwänge oder Fragestellungen zu Rekonstruktion, Dekontextualisierung wie auch Aspekte der Materialität, der Statik, der Ausführungs- und Bautechnik und schließlich auch der Vermittlung. Die hier präsentierte Vielfalt der Werke wie auch der Herausforderungen an die Denkmalpflege mögen in der Summe eine Inspiration für künftige, noch unbearbeitete Projekte darstellen. 3 Wohn- und Geschäftshaus Markgrafenstraße 39/Gendarmenmarkt Berlin, Baujahr 1985/1987 Abbildungsnachweis  Abb. 1: Thomas Kantschew.  Abb. 2 a: Objektakte Landeshauptstadt Dresden.  Abb. 2b: Antje Kirsch.  Abb. 3: Bernhard Sterra.

32 Rainer W. Leonhardt Mosaiken der Macht aus Berlin für die Welt Die Geschichte der Berliner Mosaikfabrik Puhl & Wagner 1883 gründeten der Kaufmann August Wagner (1866–1952) und der Dekorationsmaler WilhelmWiegmann (1851–1920) in Berlin eine Firma für dekorative Malerei. Die Bauherren der Gründerzeit verlangten nach dekorativem Schmuck für ihre neuen Gebäude, sowohl für die Innenräume als auch an den Fassaden. Es fand eine Abkehr von den in verschiedenenWeißtönen gefassten Hausfassaden der Schinkel-Schule statt. Nur gab es bei den Farbfassungen an den Außenfassaden das Problem der mangelhaften Haltbarkeit der zur Verfügung stehenden Farben. Wagner und Wiegmann suchten eine Dekorationsform, die repräsentative, witterungsbeständige und bildhafte Motive im Außenbereich ermöglichte, und kamen dabei fast zwangsläufig auf das Mosaik. Wagner und Wiegmann kannten die wenigen in Berlin angebrachten Mosaiken an Außenfassaden. So das 1873 nach Vorlage von Anton von Werner an der Berliner Siegessäule und die im darauffolgenden Jahr am Pringsheim’schen Palais angebrachten (ebenfalls nach Anton von Werner) wie auch die 1882 fertiggestellten Mosaiken am Königlichen Kunstgewerbe Museum (heute Martin-Gropius-Bau). Alle diese Mosaiken waren von dem venezianischen Mosaizisten Antonio Salviati ausgeführt worden. Wagner und Wiegmann war nicht entgangen, welche Resonanz die für Berlin neuartigen Verzierungen von Gebäudefassaden hervorgerufen hatten. Vor allem um die Fassadengestaltung des von den Architekten Gustav Ebe und Julius Benda von 1872 bis 1874 errichteten Wohnhauses des Eisenbahnunternehmers Rudolf Pringsheim gab es in Berlin kontroverse Diskussionen. Nicht die Mosaiken selbst erregten Unmut, sondern die für die Zeit ungewöhnliche Farbigkeit des Gebäudes. Über einem braunen Sandsteinsockel waren gemusterte Fliesen aus Mettlach angebracht, die Fenster und Türgewände mit mehrfarbig glasierten Terrakottaprofilen aus der March’schen Tonwarenfabrik einfassten, und unter der Traufe befand sich der Mosaikfries. Es war vermutlich das erste Wohnhaus mit einer Mosaikfassade in Berlin.1

33 Die Anfänge der Mosaikproduktion 1884 richteten Wiegmann und Wagner im Keller ihres Firmensitzes in der Ackerstraße 135 in Berlin-Wedding ein Mosaikatelier ein. Der Chemiker Friedrich Puhl, der mit Wiegmanns Schwester verheiratet war und zur Glasschmelze forschte, unterstützte sie. Er führte in einem selbst entworfenen Glasofen erste Versuche durch, Glaskuchen herzustellen. Fünf Jahre experimentierte er, bis es ihm gelang, Glassmalten für Mosaiken herzustellen. Nachdem die drei Unternehmer ein Mosaik nach einer Vorlage aus dem Kunstgewerbemuseum angefertigt hatten, fanden sie über den Verein für die Beförderung des preußischen Gewerbefleißes Kreditgeber, die ihnen den Umzug in eine Fabrik in Rixdorf (heute Neukölln) ermöglichten. Die ehemalige Maschinenfabrik verfügte über einen Schornstein, der die Einrichtung einer Glashütte ermöglichte. Hier erfolgte dann 1889 die Gründung der Deutschen Glasmosaik-Anstalt Puhl & Wagner (Abb. 1, 2). Wiegmann war vorher ausgeschieden und gründete in Berlin-Tiergarten ein eigenes Unternehmen. Der Glashütten-Ingenieur Robert Dralle baute nach dem Einzug in die neuen Firmenräume einen Glasschmelzofen ein. Fachliche Unterstützung erhielten sie von dem Italiener Francesco Pellarin, der vor seiner Übersiedlung nach Berlin 20 Jahre Mitarbeiter der Mosaikfirma Antonio Salviati in Venedig gewesen war. 1 Firmenschrift der Firma Puhl & Wagner mit Logo aus dem Jahr 1904, neben einer kurzen Geschichte der Firma werden 270 ausgeführte Arbeiten aus allen Teilen Deutschlands, aus Jerusalem, Rotterdam, Tokio, Zürich, Schweden, Belgien, Istanbul, St. Louis, Rom und Luxemburg aufgeführt

34 Mosaiken und keramische Wandflächen im Blick zurück Kaiser Wilhelm II., der 1888 den Thron bestiegen hatte, entdeckte alsbald das Mosaik als ideale Ausdrucksform für seine Kunstpropaganda – vor allem, weil es für den dauerhaften Einsatz an Außenfassaden geeignet und somit für jedermann sichtbar war. Wie diese kaiserliche Vorliebe in der Öffentlichkeit propagiert wurde, geht aus der Rede des Vizepräsidenten vom preußischen Abgeordnetenhaus Dr. Freiherr von Heeremann vom 24. Februar 1893 hervor. Er forderte die Öffentlichkeit und Regierung auf, »[…] ihr Augenmerk und Wohlwollen auf den Schmuck von Mosaik [zu] richten«. Weiter betonte er, dass der an Mosaiken Interessierte sich nicht mehr nach Venedig wenden müsse, sondern nannte ausdrücklich die »[…] Anstalt in Rixdorf von Wiegmann, Puhl & Wagner […]«.2 Mit der Gründung des Evangelischen Kirchenbauvereins 1892 durch Wilhelm II. und durch seine Anordnung, neu errichtete Kirchen mit Mosaiken auszustatten, erhielt die Mosaikproduktion eine erhebliche Beförderung. Zumal nun die Mosaiken, der Einstellung des Kaisers folgend, von deutschen Handwerkern im deutschen Geiste hergestellt werden konnten und man nicht mehr auf die Hilfe ausländischer Fachleute angewiesen war. So wurde Wilhelm II. ein steter und unermüdlicher Förderer der Mosaikproduktion in Deutschland und vor allem der Mosaikfabrik von Puhl & Wagner, die er nach dem Umzug 1906 in das neu errichtete Firmengebäude in der Kiefholzstraße in Berlin-Neukölln mehrmals besuchte. 2 Setzersaal um 1897

35 Der Durchbruch Einen ersten großen Auftrag erhielt die Fabrik 1892 von der Firma Loeser und Wolff mit der Fertigung eines Mosaiks für deren Hauptgeschäft am Berliner Alexanderplatz. Im selben Jahr führte sie für die Fassade des Theaters am Schiffbauerdamm ein Mosaik nach dem Entwurf von Max Koch aus. Verschiedene Aufträge für Privatgebäude und Staatsbauten – auch außerhalb Berlins – folgten. Die Geschäftswelt entdeckte das Mosaik als Werbeträger, so etwa der Unternehmer Rudolf Hertzog, der die Fassade seines Berliner Kaufhauses mit Mosaiken nach einem Entwurf von Max Seliger dekorieren ließ. Eine der spektakulärsten Aufgaben in der noch jungen Firmengeschichte war die Ausstattung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im neu entstandenen Zentrum des Berliner Westen. Der Einbau der Mosaiken (Abb. 3) zog sich bis kurz vor die Einweihung der Kirche 1906 hin. Der von Wilhelm II. bevorzugte Architekt Franz Schwechten (1841–1924) demonstrierte in ihrer inneren Ausschmückung durch Mosaiken die Verwirklichung der propagandistischen, sakralen und monarchistischen Ideen des Auftraggebers. Die Entwürfe der umfangreichen Ausstattung mit Mosaiken stammen von Hermann Schaper, Max Seliger, dem Glasmaler Alexander Linnemann und von Ernst Christian Pfannschmidt. Das der Erinnerung an seinen 3 Deckenmosaik der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche

36 Mosaiken und keramische Wandflächen im Blick zurück kaiserlichen Großvater dienende Bildprogramm umfasste die für Wilhelm II. wesentlichen staatspolitischen Gedanken – das Gottesgnadentum, die Verbindung zwischen Thron und Altar – und die Erinnerung an den Sieg gegen Frankreich 1871, der das zweite Kaiserreich erst ermöglicht hatte, und an dessen Gründer, Wilhelm I. Die Mosaiken zeigen in dem heute noch erhaltenen Teil der Kirchenruine in der Mitte Christus als Weltenherrscher und darunter an der Ostseite den Fürstenfries mit den Hohenzollernherrschern von Kurfürst Friedrich I. bis zum Kronprinzen Friedrich Wilhelm. »Die Mosaiken der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wurden zum künstlerischen Inbegriff des Kaiserreiches und zum Symbol wilhelminischer Ästhetik.«3 NachdemWilhelm II. 1900 das Unternehmen erstmalig besucht hatte, erhielt es von ihm den Auftrag, die Mosaiken für den Überbau des Altars in der Abteikirche Maria Laach nach einem Entwurf von August Oetken auszuführen. Ebenfalls nach einem Entwurf Oetkens erfolgte die Mosaikausstattung der Elisabeth-Kemenate auf der Wartburg mit Motiven aus dem Leben der hl. Elisabeth (Abb. 4). Auftraggeber war wiederumWilhelm II., der diese Arbeit seinem Großonkel, dem Großherzog von Sachsen-Weimar Wilhelm Ernst, zum Geschenk machte. Den raschen Aufstieg der Firma, 1900 waren gerade 17 Jahre seit Gründung und 13 Jahre seit der Präsentation der ersten Mosaiken vergangen, verdankten sie vor allem den Aufträgen des Evangelischen Kirchenbauvereins, der der Firma auf Betreiben Wilhelms II. zahlreiche Aufträge übertrug. »Die Vorliebe des Kaisers hatte Signalwirkung. Sei es, um ihre Zugehörigkeit zu den höchsten Gesellschaftskreisen zur Schau zu tragen, sei es, um ihre Loyalität zum Kaiserhaus zu zeigen, oder schlicht aus Freude am elitären Luxus eiferten vor allem die Angehörigen des Großbürgertums der Prachtliebe ihres Herrschers nach.«4 4 Glasmosaiken im neobyzantinischen Stil in der Elisabeth-Kemenate der Wartburg in Eisenach

37 Die Zauberburg Mit den Mosaiken für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche stieß Puhl & Wagner nicht nur an die Grenzen ihrer technischen Möglichkeiten, sondern auch an die Grenzen ihrer Kapazität (Abb. 5). 1903 hatte die Firma aufgrund eines Kredits ihres Mäzens Kommerzienrat Arnold ein großes Grundstück an der Grenze zwischen den Berliner Bezirken Neukölln und Treptow erwerben können. Der Architekt der KaiserWilhelm-Gedächtniskirche Franz Schwechten erarbeitete den Entwurf für das Gebäude. Es war eine Kombination aus einer Fabrikanlage mit einem 30 m hohen Schornstein in Form einer romanischen Säule, einer Klosteranlage mit einem den Innenhof einfassenden Kreuzgang, einer Burganlage mit Turm und einer Fabrikantenvilla. In dem Gebäude befanden sich die Ateliers für die Entwürfe, die Handwerker- und Lagerräume, die Glasöfen, Büro- und Verwaltungsräume und die Wohnungen der Eigentümer. Einige Bauteile waren mit Mosaiken dekoriert, sodass Besucher schon beim Eintritt in den Gebäudekomplex mit den Produkten der Firma in Kontakt kamen. Im Laufe der Jahre gesellten sich weitere Mosaiken hinzu, meist Objekte, die auf Ausstellungen gezeigt wurden und im Anschluss in den Firmenräumen die 5 a Fabrikgebäude Puhl & Wagner um 1904, Architekt Franz Schwechten 5b Mosaiken am Schornstein der Fabrikanlage

102 Mosaiken und keramische Wandflächen der Nachkriegszeit im Saarland Programmatische und denkmalpflegerische Aspekte Rainer Knauf Objekte der Nachkriegszeit stehen noch nicht lange im Fokus der Denkmalpflege. Das gilt auch für Mosaiken und keramische Wandflächen dieser Zeit, von denen bislang vergleichsweise nur wenige im Saarland unter Schutz gestellt wurden. Viele dieser Objekte zählen zur Kunst im öffentlichen Raum, die im Saarland seit den 1990er Jahren vom Institut für aktuelle Kunst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar umfassend dokumentiert wird.1 Im gegebenen Rahmen werden nachfolgend denkmalgeschützte Beispiele vorgestellt, die die Spannbreite der Bedeutungsinhalte, die solchen Objekten zugeordnet werden können, schlaglichtartig anzeigen und auf hierbei tätige, vor allem regional bedeutende Künstler verweisen. Partiell lassen sich an ihnen auch Möglichkeiten wie Grenzen im denkmalpflegerischen Umgang exemplarisch thematisieren. Philosophische Fakultät der Universität des Saarlandes Ein frühes Beispiel für Nachkriegsarchitektur mit keramischen Wandflächen ist das vom renommierten französischen Architekten André Remondet entworfene Gebäude der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes.2 Die Universität wurde 1948 am Rand Saarbrückens in einer Kaserne der 1930er Jahre angesiedelt und ab den 1950er Jahren ausgebaut. Die Philosophische Fakultät entstand von 1953 bis 1955 als zweiter neuer Großbau und als Pendant zu der zuvor vom bekannten Stuttgarter Architekten Richard Döcker erbauten Bibliothek (Abb. 1). Das viergeschossige Fakultätsgebäude in Betonskelettbauweise erhielt ein Flachdach sowie einen offenen Wandelgang im Erdgeschoss. Entlang der Vertikalstützen der zeittypischen Rasterfassade gruppieren sich beidseitig einander abwechselnde, hellblau und gelb geflieste Farbflächen, die das strenge Quadratmuster überspielen und, im Zusammenspiel mit versetzt zueinander angeordneten Einscheibenfenstern, einer monotonen Geschossschichtung entgegenwirken.

103 Die unverglasten Teilflächen der Innenseite des Wandelgangs im Erdgeschoss gestaltete Wolfram Huschens3 nach Wettbewerb 1954 als keramische Wandbilder. Laut Ausschreibung sollte keine gegenständliche Gestaltung verfolgt, aber dem Charakter des Gebäudes Rechnung getragen werden. Zu bevorzugen waren »glasierte Steinzeugplatten in möglichst länglichen Rechtecken, horizontal verlegt, […] vorherrschend in Rot, […] wobei das Blau und das Gelb der Fassadenkeramik als Wiederholung aufgenommen werden soll«.4 Tatsächlich gestaltete Huschens einen dunkelblauen, fast schwarzen Fliesengrund. Aus diesem treten zu Farbbändern verdichtete 1 a, 1b Saarbrücken, Philosophische Fakultät, keramisches Wandbild von Wolfgang Huschens, September 2021

104 Mosaiken und keramische Wandflächen der Nachkriegsmoderne in Deutschland geometrische Formationen hell hervor, die neben anderen Farben dann dominant das Blau und Gelb der Fassadenkeramik aufgreifen.5 Die ungegenständliche, streng geometrische Abstraktion zeigt eine Nähe zur konstruktivistischen Tradition.6 Wie schon mit dem Bau der Bibliothek die Gestaltungsweisen des Neuen Bauens der 1920er Jahre aufgegriffen wurden, suchte man auch mit dem Fakultätsgebäude, dem unmittelbar benachbarten Kasernenbau der NS-Zeit das demokratische Bauen einer europäischen, deutsch-französisch ausgerichteten Bildungsstätte wirkungsvoll gegenüberzustellen. Die keramischen Wandflächen am Außenbau – in gestalterischer Großform die gefliesten Gefache der Rasterfassade und als Kunst am Bau im Wandelgang – tragen dabei vor allem in schmückender Funktion zur architektonischen Qualität des Baus bei. Damit ist eine Facette der keramischen Wandflächen angesprochen. Für die Kunst im öffentlichen Raum allgemein konstatiert hierzu Christoph Wagner: »Diejenigen Kunstwerke, die auf eine rein formale oder farbliche Bereicherung des öffentlichen Raumes in dekorativer Absicht zielen, ohne eine funktionale oder thematische Beziehung zu den örtlichen Gegebenheiten aufzubauen, haben die Kunst im öffentlichen Raum in der Vergangenheit am ehesten in Misskredit gebracht« – allerdings nicht immer zu Recht, wie die »überzeugende« Wandgestaltung von Huschens belege. Gleichwohl sei die Gefahr, dass »die in dekorativer Absicht im öffentlichen Raum platzierte Kunst das Paradigma der autonomen Kunst, dem sie ihre Herkunft verdankt, durch ihre latente formale und geistige Beziehungslosigkeit zur umgebenden Lebenswelt diskreditiert, in der Regel größer, als bei Kunstwerken, die auch eine funktionale oder thematische Beziehung zu dem Ort aufnehmen«.7 Dies kann – mit Blick auf den Tagungskontext – ebenso für architekturbezogene keramische Wandflächen und Mosaiken gelten. Im Folgenden werden solcherart Beispiele mit thematischer bzw. funktionaler Beziehung zum Ort vorgestellt. Wandmosaik des hl. Christophorus in Neunkirchen Von weitem sichtbar befindet sich an zentraler Stelle der Kreisstadt Neunkirchen, an der zumMarienplatz weisenden Seite eines Wohn- und Geschäftshauses der 1950er Jahre, ein über drei Geschosse geführtes monumentales Wandmosaik mit der Darstellung des hl. Christophorus.8 Gestiftet hat es 1960 die Gemeinde der unmittelbar benachbarten katholischen Pfarrkirche St. Marien, ausgeführt der einheimische Künstler Ferdinand Selgrad, der ab den 1950er Jahren vor allem im Saarland zahlreiche Glasfenster und Wandgestaltungen an und in Kirchen, Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden schuf (Abb. 2).9 Als große Gestalt mit Christus auf den Schultern folgt die Darstellung der Tradition der Christophorus-Ikonografie. Mit der Weltkugel in den Händen erscheint Christus dabei als Herr der Welt. Christophorus, mit kurzem, weißem Untergewand und rotem Umhang, steht barfuß im Wasser. Als Stütze hält er einen dünnen Baumstamm, aus dem Blätter sprießen. Eingerahmt wird das Bild von Lisenen sowie Erdgeschoss- und Dachgesims, jeweils weiß gefasst. Die Farbigkeit des Glasmosaiks ist zurückhaltend. Grau- und Weißtöne, vor allem für die Körper und Gewänder, herrschen vor. Hinzu kommen kleine Flächen und Linien in Blau, Rot und Braun sowie

2 Neunkirchen, Wandmosaik am Marienplatz, September 2021

106 Mosaiken und keramische Wandflächen der Nachkriegsmoderne in Deutschland akzentuierend die Grüntöne der Blätter, das Orange der Weltkugel und das Gold der Wasserlinie und der Nimben. Mit einem Anstrich des Hauses in jüngerer Zeit, bei dem die ursprünglich grüne Putzfarbe einem Gelbton wich, wurde die Wirkung des Mosaiks durch den nun veränderten Kontrast zum Hintergrund noch verbessert. Die Darstellung bleibt trotz abstrahierender, geometrisierender Flächenhaftigkeit gegenständlich, figürlich. Sie spiegelt damit die damalige Suche nach modernen Ausdruckformen für religiöse Motive wider, das Streben, mit modernen Kunstformen einen geistigen Gehalt zum Ausdruck zu bringen, der einer zunehmend säkularisierten Welt angemessener erscheint und die Menschen im Alltag anspricht. Zugleich ist der moderne Schutzheilige aber auch Ausdruck einer aufgrund der Weltkriegserlebnisse nach 1945 intensivierten Volksfrömmigkeit, im Rahmen einer neuen Sinnsuche generell. Mit seiner prominenten Position ergänzt er letztlich den sakralen Aussagewert des von einer kurz zuvor errichteten Mariensäule sowie von Kirche und Pfarrhaus geprägten Marienplatzes. Zudem vermittelt das Bild »auch die verbreitete zeitgenössische Vorstellung von einer Kunst, die die bauliche Umwelt humanisieren und den Menschen verbessern kann. Das Unbehagen an der ornamentlosen Zweckarchitektur der Zeit war latent in der Gesellschaft verankert. Kunst am Bau dieser Zeit kann auch als ein emotionales Identifikationsangebot gedeutet werden, indem sie konkrete Beziehungen zur ›Heimat- und Volkskunst‹ aufzeigt. Im Gegensatz zur industrialisierten Bauweise stellt sie ein handwerkliches Element dar, das den Rasterbau ›beseelt‹. Der Gebrauchswert solcher Wandbilder über die reine Schmuckform hinaus lag in der inhaltlichen, hier der religiösen Mitteilung in Verbindung mit dem Gedanken der ›Beheimatung‹.«10 Wandmosaik am Schwesternwohnheim in Saarbrücken-Burbach Als man 1989 das Hüttenkrankenhaus in Saarbrücken-Burbach abriss, blieb lediglich das Anfang der 1960er Jahre erbaute Schwesternwohnheim stehen.11 Mit sechs Geschossen überragt es die umgebende Bebauung. Seine nüchterne Wohnarchitektur wurde zwischenzeitlich erheblich verändert, doch konnte das seit 2007 denkmalgeschützte monumentale, über viereinhalb Geschosse geführte Wandmosaik an der Südseite erhalten werden. Geschaffen und signiert hat es 1964 der saarländische Künstler Fritz Zolnhofer, der u.a. mit zahlreichen Wandbildern an und in öffentlichen Bauten zu den einflussreichsten Künstlern im Saarland der Nachkriegszeit zählt (Abb. 3).12 Dargestellt sind drei eng umschlungene Figuren am pflanzenbestandenen Flussufer, unter Wolken und einer rot leuchtenden Sonne, umgeben von dekorativ in die Wand eingesprengten Mosaikelementen. Die abstrahierend gestalteten Figuren sind gestaffelt angeordnet, vorne rechts eine bis auf einen kurzen tuchartigen Umhang und eine weiße Binde um die Schulter entblößte schwangere Frau, in der Mitte ein Mann, der die Gruppe überragt. Hinten links steht eine weitere Frau, die das Paar umarmt, wobei ihre rechte Hand, die scheinbar auch demMann zugeordnet ist, auf dem Bauch der Schwangeren ruht. Haut- und Rosatöne prägen vornehmlich die Gestaltung der Frauen, während die blau-grüne Farbgebung beim Mann die kalten Töne des Wassers und der Pflanzen aufgreift. Hinzu kommen wenige über das Bild

107 verteilte Rottupfer, die in der Sonne kulminieren. »Das Bild lebt von dem spannungsvollen Verhältnis zwischen vitalen Lebenskräften einer fast paradiesischen, freien Natürlichkeit in einer südseeähnlichen Umgebung, in die die Figuren versunken scheinen, und der realen Sorge, die sich mit dem menschlichen Dasein verbindet. Die Wolken am Himmel, die die Sonne verdecken könnten, deuten diese Schattenseiten an. […] In dem handwerklich meisterhaft umgesetzten Wandmosaik […] ergänzen sich ein gelöstes Farbspiel und expressionistische Formen zu einer überzeugenden, ausdrucksstarken Arbeit.«13 Das Paar, das für neues Leben und Familienglück steht, erhält Fürsorge und Unterstützung, was sich im Gestus des Umarmens und Handauflegens durch die Frau links ausdrückt. Letztere kann so als Caritas gedeutet werden, womit der direkte Bezug auf den Ort Krankenhaus bzw. Schwesternwohnheim gegeben ist. Mit seiner allgemeingültigen Aussage über die menschliche Existenz spiegelt das Mosaik ebenso die Suche nach Orientierung und Sinn in der Nachkriegsgesellschaft wider. Da der Denkmalschutz nur das Mosaik umfasst, nicht jedoch das Gebäude, erhielt letzteres aufgrund der Energieeinsparverordnung 2019 ein Wärmedämmverbund3 Saarbrücken, Wandmosaik am ehemaligen Burbacher Schwesternwohnheim, September 2021

208 Magdalena Scherer Aktuelle Herausforderungen bei der Wiederanbringung keramischer Wandgestaltungen am Beispiel Erdstrukturen – Lebensbaum – Wasser von Manfred Wenck in Frankfurt (Oder) Seit 2019 ziert die keramische Wandgestaltung Erdstrukturen – Lebensbaum – Wasser wieder den öffentlichen Raum der Stadt Frankfurt (Oder) am Giebel des Wohnblocks in der Collegienstraße, Ecke Karl-Marx-Straße. Die im Titel benannten Themen bestimmen den Bildaufbau des Kunstwerks von Manfred Wenck. Strukturiert wird das Werk von seiner asymmetrischen Formgebung in Gestalt eines Kreuzes, welches durch die links und rechts versetzt positionierten horizontalen Linien durchbrochen wird. Während der untere Bildbereich von unterschiedlichen Strukturen des Erdreichs geprägt ist, wird die Bildmitte von einem in blauen, grünen und petrolfarbenen Tönen gehaltenen Baum dominiert. Diese Farbtöne werden an der rechts gelegenen horizontalen Linie in den Wasserelementen wieder aufgegriffen. Farblich sticht das in Rostorange gehaltene Wurzelwerk am unteren Bildrand hervor. Mit einer Größe von ungefähr 5 m Breite und 3 m Höhe gestaltet es den Giebel des dreistöckigen Gebäudes maßgeblich und ist ein präsenter Farbtupfer im Stadtraum. Diese kurze Bildbeschreibung verdeutlicht sowohl die in Frankfurt (Oder) einzigartige Bildsprache des Kunstwerks als auch die Komplexität der Wandgestaltung hinsichtlich der Demontage, Restaurierung und Wiederanbringung. Wie auch in anderen Städten in der DDR entstanden in Frankfurt (Oder) eine Reihe von Mosaiken und keramischen Wandgestaltungen. Zwischen 1960 und 1990 wurden dort ungefähr zwölf Wandgestaltungen geschaffen, die demMosaik und der Keramik zuzuordnen sind.1 Der Umgang mit diesen Werken hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend gewandelt. Vor allem in den 1990er Jahren und bis in die 2000er Jahre hinein wurden Wandgestaltungen infolge von Abrissen und Sanierungen an Gebäuden zerstört.2 Andere konnten dagegen durch Demontage gerettet werden. Neben der Restaurierung des hier vorgestellten Kunstwerks, ist das Mosaik Volkstanz von Fritz Eisel aus dem Jahr 1960, welches sich heute in Privatbesitz befindet und im Zusammenhang mit dem Gebäude restauriert wurde, als weiteres erfolgreiches Beispiel zu nennen.

209 Das Ende der 1970er Jahre geschaffene Keramikwandbild Erdstrukturen – Lebensbaum – Wasser reiht sich in diese Werkgruppe ein, unterscheidet sich jedoch durch seine Formsprache und für die Oderstadt eher ungewohnte Komposition von anderen Wandgestaltungen, die in der Regel durch eine figürliche Gestaltung und eine quadratische oder rechteckige Form geprägt sind. Die frühesten Mosaikgestaltungen entstanden in Frankfurt (Oder) wahrscheinlich in den 1960er Jahren.3 Während in dem darauffolgenden Jahrzehnt der Wohnungsbau sowohl innerstädtisch als auch auf der grünen Wiese kontinuierlich vorangetrieben wurde, nahm ebenfalls die Gestaltung des öffentlichen Raums mit Wandmalereien, -reliefs und anderen Kunstwerken zu. An Gebäuden mit einer für die Öffentlichkeit wichtigen Funktion, z.B. an Schulen oder Dienstleistungskomplexen, wurden die Wandgestaltungen vor allem von den Inhalten des jeweiligen Gebäudes bzw. dessen Lage im städtischen Raum bestimmt. An den Wohnblöcken waren die Bildkunstkonzeptionen der Wohnkomplexe für die thematische Vorgabe der Kunstwerke maßgeblich.4 Die Wandgestaltung von Manfred Wenck nimmt dabei vor allem hinsichtlich ihrer Entstehungsgeschichte eine besondere Stellung ein. Manfred Wenck (*1936) studierte an der Fachhochschule für angewandte Kunst Berlin/Potsdam und arbeitete ab 1959 in Stalinstadt (Eisenhüttenstadt) als Innenarchitekt und Farbgestalter. Als freischaffender Baukeramiker und Formgestalter beschäftigte er sich ab 1980 vor allem mit Wandreliefs, Plastiken, Gartenkeramik sowie Brunnen und später auch mit der Malerei. Die keramische Wandgestaltung in Frankfurt (Oder) war für den Künstler die erste Arbeit mit diesem Material. Danach schuf er weitere Werke aus Keramik für die Oderstadt, beispielsweise den Fontanebrunnen (gemeinsam mit Hans-Detlev Hennig, 1984) und den Brunnen zur Plastik Aphrodite (1980). Das hier beschriebene Kunstwerk ist 1978 von Manfred Wenck geschaffen worden, nachdem er selbstständig einen Entwurf für eine Wandgestaltung einreichte.5 1 Manfred Wenck, Erdstrukturen – Lebensbaum – Wasser, am ursprünglichen Standort in der Karl-Marx-Straße, Ecke Badergasse

210 Mosaiken und keramische Wandflächen der Nachkriegsmoderne in Deutschland Bereits 1977 wurde mit demGeneralauftraggeber für den Aufbau der Stadt Frankfurt (Oder) der Werkvertrag abgeschlossen, welchem folgende inhaltliche und künstlerisch-ästhetische Vorgabe zu entnehmen ist: »Wandgestaltung dekorativ und thematisch«.6 Nach Bestätigung der Entwürfe durch Auftraggeber und Stadtarchitekten wurde der Künstler beauftragt, seinen Entwurf in Keramik umzusetzen. Das Kunstwerk sollte zum 725-jährigen Stadtjubiläum beendet und im Stadtzentrum aufgestellt werden. Seinen ursprünglichen Standort hatte es an dem Giebel des Gebäudes Karl-Marx-Straße, Ecke Badergasse. Geografisch ist dieser Straßenzug am nördlichen Ende der Karl-Marx-Straße in direkter Nachbarschaft des Karl-Marx-Denkmals, der Konzerthalle und der Oderpromenade verortet. An diesemOrt markiert es das nördliche Ende der Magistrale, einem wichtigen Areal für Feste und Demonstrationen. Es ist davon auszugehen, dass das Kunstwerk in die künstlerische Ausgestaltung des Stadtzentrums eingebettet werden sollte und erst nachträglich sowie unabhängig von einem vorher festgelegten Standort entstanden ist. Der Beirat für Bildende und Baugebundene Kunst sprach sich bei der Standortfindung gegen die Positionierung an einem Wohnhaus aus und unterbreitete weitere Vorschläge für die Anbringung. Als Alternativen zog der Beirat eine Mauer des an der Oderpromenade gelegenen Grenzgebäudes oder einen Bildträger am Botanischen Garten in Betracht.7 In Rücksprache mit dem damaligen Stadtarchitekten Manfred Vogler wurden diese Vorschläge allerdings nicht umgesetzt; das Kunstwerk wurde an dem bereits 1962 fertiggestellten Gebäude in der Karl-Marx-Straße angebracht.8 Im Zuge der Sanierung des Gebäudes in der Badergasse, Ecke Karl-Marx-Straße, musste die Wandgestaltung von Manfred Wenck 2012 demontiert werden. Das 2 Manfred Wenck, Erdstrukturen – Lebensbaum – Wasser, am neuen Standort in der Collegienstraße, Karl-Marx-Straße

211 Gebäude gehörte zu diesem Zeitpunkt bereits der Wohnungswirtschaft Frankfurt (Oder) GmbH. Unmittelbar mit der Fassade verbunden, wurde das Kunstwerk nach 1990 der neuen Eigentümerin übertragen. In Zusammenarbeit mit dem Kulturbüro der Stadt Frankfurt (Oder),9 welches für die Pflege der im städtischen Eigentum befindlichen Kunstwerke zuständig ist, konnten die Keramikplatten demontiert und somit gerettet werden. Diese Maßnahme beinhaltete neben der Freilegung des Werks auch die Sicherung der einzelnen Platten in einem passgenauen Tragesystem. Die Demontage wurde durch den in Frankfurt (Oder) ansässigen Stuckateurmeister und Restaurator im Handwerk Ulrich-Christian Müller durchgeführt, der sieben Jahre später ebenfalls die Restaurierung und Montage des Kunstwerks umsetzte. Der im Kulturbüro angegliederte Sachbereich für Kunst im öffentlichen Raum/ Bildende Kunst ist aus dem in der DDR gegründeten Baustab für Bildkunst und Denkmalpflege hervorgegangen und kümmert sich seitdem ununterbrochen um die Pflege der im öffentlichen Raum aufgestellten Kunstwerke, die im städtischen Eigentum liegen. Da auch Werke wie die Erdstrukturen – Lebensbaum – Wasser im Rahmen der DDR-Stadtentwicklung entstanden sind und sich noch heute im öffentlich wahrgenommenen Raum befinden, hat das Kulturbüro beschlossen, die neuen Eigentümerinnen und Eigentümer bei der Pflege solcher Kunstwerke zu unterstützen. Das Kulturbüro versteht sich dabei als Ansprechpartner in Fragen zum Umgang mit Kunstwerken im öffentlichen Raum. Aufgrund der intern angelegten Datenbank können Hintergrundinformationen zu den Werken übermittelt und Einschätzungen zu ihrem Erhalt gegeben werden. Diese Unterstützung kann darüber hinaus in Abhängigkeit vom Kunstwerk unterschiedliche Formen anneh3 Manfred Wenck, Erdstrukturen – Lebensbaum – Wasser

212 Mosaiken und keramische Wandflächen der Nachkriegsmoderne in Deutschland men. Sie ist beispielsweise durch die Bereitstellung finanzieller Mittel, die unterstützende Koordination einer Reparatur oder die Empfehlung von Fachfirmen gekennzeichnet. Die Kooperation der Wohnungswirtschaft Frankfurt (Oder) GmbH mit dem Kulturbüro bei der Wiederanbringung der Erdstrukturen – Lebensbaum – Wasser kann als Pilotprojekt der gemeinsamen Zusammenarbeit gelten, die bereits seit Jahren existiert und dadurch vertieft wurde. Für die Projektabwicklung sowie Umsetzung zeigte sich die Eigentümerin der Wandgestaltung verantwortlich. Das Kulturbüro unterstützte das Projekt beratend und finanziell. Dabei durchlief das Vorhaben von der Demontage über den Bau einer Trägerkonstruktion und die Restaurierung bis hin zur Montage immer wieder Veränderungen, die zu Beginn der Planungen nicht kalkuliert werden konnten und somit kurzfristig entschieden werden mussten. Bereits 2016/17 wurden Gespräche zur Wiederanbringung des Kunstwerks mit der Wohnungswirtschaft Frankfurt (Oder) GmbH aufgenommen. Fest stand zu diesem Zeitpunkt, dass die Wandgestaltung nicht direkt an der Hauswand angebracht werden kann, da die Wärmedämmung nicht beschädigt werden darf und eine mit Wärmedämmung ausgestattete Wand die Last des Kunstwerks nicht mehr trägt. Aus diesem Grund wurde zunächst die Idee einer Stahlrahmenkonstruktion als Bildträger verfolgt. Dabei würde die Keramik auf einem von der Fassade losgelösten Haltesystem angebracht werden und seine Verbindung zur Hausfassade verlieren. Bei der Wiederaufnahme der Planungen im Jahr 2018 wurde dieses Konzept verworfen. Die 1977 vom Beirat vorgeschlagene Idee, einen von einer Fassade gelösten Standort zu wählen, wurde von den Projektpartnern und -partnerinnen diskutiert. 4 Manfred Wenck, Erdstrukturen – Lebensbaum – Wasser (Detail)

213 Dabei überwog die Empfehlung, einen Standort zu finden, der weitestgehend dem originalen Standort, also der Fassade eines Wohngebäudes, entspricht. Es wurde fortan versucht, eine Lösung zu finden, bei der das Kunstwerk weiterhin mit dem Gebäude verbunden und somit Teil der Fassade ist. Als Bildträger sollte dementsprechend eine Stahlbetonwand dienen. Diese der eigentlichen Hausfassade vorgelagerte Wandscheibe bietet die Möglichkeit, die vorhandene Wärmedämmung nicht zu beschädigen und eine Abdeckung aus Titanzink anzubringen, um das Kunstwerk so vor Wassereindringung zu schützen. Darüber hinaus ist diese Wand mit der Fassade direkt verbunden und bildet auf diese Weise eine Einheit mit dem Gebäude. Da der ursprüngliche Giebel für die Umsetzung dieses Konzepts zu wenig Fläche bot, musste für die nun veränderte Wiederanbringung ein neuer Standort gefunden werden. Unweit der Originalfassade wurde dafür ein Gebäude in der Collegienstraße, Ecke Karl-Marx-Straße, als geeignet empfunden, da es sich im gleichen Stadtraum befindet, mit dem Baujahr 1960 im gleichen Zeitraum entstanden ist und von der Karl-Marx-Straße aus sichtbar ist. Aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung der beiden Gebäude hat sich dabei die Positionierung der Wandgestaltung verändert. Auf diese Weise wurde jedoch eine bessere Lichteinwirkung ermöglicht. Während der Lagerung des Kunstwerks kam es an den kleinformatigen Keramikplatten zu irreparablen Schäden. Während Ulrich-Christian Müller die übrigen Keramikplatten restaurierte, gestaltete der Künstler die zwölf kleinformatigen Platten neu und setzte sich dabei erneut mit dem Thema auseinander. Da weder das Kunstwerk noch das Gebäude unter Denkmalschutz stehen und das Kulturbüro nur Empfehlungen aussprechen kann, verblieb die Entscheidung über die tatsächliche Umsetzung des Projekts bei der Eigentümerin sowie dem Künstler. In enger Rücksprache mit Manfred Wenck wurden die beschädigten Keramikplatten wiederhergestellt, der neue Standort beschlossen sowie die Wandfarbe ausgewählt. Ursprünglich sollte die Fassadenfarbe des Gebäudes übernommen werden, um die Verbindung zwischen Wandscheibe und Fassade stärker zu betonen. Auf Empfehlung des Künstlers erhielt die Fassade einen der Originalfassade ähnelnden Putz. Auf diese Weise wird eine Beziehung zum ursprünglichen Standort hergestellt. Da das Gebäude bei der Entstehung des Kunstwerks bereits stand und bei der erneuten Wiederanbringung das Gebäude bereits saniert wurde, musste jedoch in beiden Fällen mit den gegebenen Fassadenfarben gearbeitet werden. Die neu gewählte Farbe harmoniert mit der Wandgestaltung, lässt diese aber zugleich eine weniger enge Einheit mit der Architektur eingehen. Mit dem Kunstwerk von Manfred Wenck ist es in der Stadt Frankfurt (Oder) gelungen, ein Kooperationsprojekt erfolgreich umzusetzen und dabei eine Wandgestaltung wieder im Stadtraum aufzustellen. Das Projekt hat gezeigt, wie komplex sowohl die Demontage, der weitere Umgang als auch die Montage eines solchen Werks ist. Gerade keramische Wandgestaltungen und Mosaiken sind aufgrund ihrer Beschaffenheit und Anbringung eine besondere Herausforderung bei der Bewahrung. Gebunden an ein Gebäude und bestehend aus kleinteiligen Mosaiken, geben sie dem Standort dabei jedoch einen einzigartigen und identitätsstiftenden Eindruck. Viele von den heute noch erhaltenen Wandgestaltungen prägen den öffentlichen Raum bereits seit mindestens 40 Jahren. Sie sind ein Erkennungsmerkmal des Stadtraums, setzen Impulse zur Auseinandersetzung mit diesem Raum und seiner Geschichte. So ist auch dieses Projekt durch das Engagement und Spenden von Bürgerinnen und

280 Sylvia Lemke Die weibliche Seite der baugebundenen Keramik Vom Yin und Yang in der Kunst der DDR »Künstler sind eigentlich männlich«, schrieb Irene Below in ihrem Beitrag für die 1991 veröffentlichte Publikation Frauen Kunst Pädagogik.1 Sie fasste in dieser These provokant eine überholte Haltung zusammen und gab damit der Beobachtung des Ungleichgewichts von männlichen und weiblichen Kunstschaffenden einen Namen. Ihre Besprechung der Geschlechterspezifik des Künstlerberufs bewegte sich im Zeitgeist der auslaufenden 1980er Jahre, als Kritik am Sozialismus in der Kunst laut wurde. Im Dezember 1989 schlossen sich in Dresden 23 Künstlerinnen zur Dresdner Sezession 89 zusammen2 und erinnerten namentlich ganz bewusst an die Dresdner Sezession – Gruppe 1919. Sie wollten nicht nur ein streitbares Pendant zu Künstlergruppen schaffen, denen bisher meist nur Männer angehörten. Auch riefen sie dazu auf, das Frauenbild des Sozialismus zu erkennen und es zu hinterfragen. Dass die Dresdner Sezession 89 bis zum Ende dieser Zustände3 bestehen sollte, markierte unmissverständlich das Ziel, etwas zu ändern. Gemeint sind natürlich zurückliegende Zeiten, in denen es notwendig erschien, sich in Künstlerinnengruppen zusammenzuraufen, um der männlichen Dominanz in der Domäne etwas entgegenzusetzen. Heute ist das alles – noch ganz genauso? Das Spektrum der Urban Art, der meist auftragslosen Schwesterdisziplin der baugebundenen Kunst im öffentlichen Raum,4 weist heute ebenfalls einen sehr viel höheren männlichen Anteil an Künstlern auf. Zwar ist für diese Differenz aktuell eine Rückläufigkeit zu beobachten, wie beispielsweise die Liste der Teilnehmenden an der Ausstellung der Ibug – Festival für Urbane Kunst 2021 in Flöha aufzeigt,5 aber trotzdem ist noch immer ein Ungleichgewicht zu beobachten. Deshalb ist die Thematik auch nach mehr als 170 Jahren Frauenbewegung noch interessant und wichtig.

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