Leseprobe

14 Die berühmtesten »kleinen« astronomischen Uhren wurden für Ottheinrich von der Pfalz (1502–1559) in Heidelberg (1554–1560, Philipp Imsser)3, den hessischen Landgrafen Wilhelm IV. (1568– 1592) in Kassel (1557–1562, Eberhard Baldewein u. a.)4 und den sächsischen Kurfürsten August (1526–1586) in Dresden (1563– 1568, Eberhard Baldewein u. a.)5 gefertigt. Sie bilden die komplexesten mechanischen Apparate des 16. Jahrhunderts. Eine bedeutende Rolle spielte bei der Entwicklung der hessische Landgraf Wilhelm IV., der die astronomischen Berechnungen für die Uhren in Kassel und Dresden vornahm.6 Wilhelm IV. war ein anerkannter Astronom und neigte dazu, seine neu vermessenen Sternpositionen mithilfe von Himmelsgloben aus vergoldetem Messing zu publizieren. Diese Globen wurden zunächst von Eberhard Baldewein (1525–1593), der auch federführend den Bau der astronomischen Uhren für Kassel und Dresden organisierte, gebaut und von Jost Bürgi (1552–1632) fortgesetzt. Sie wurden dann an andere Fürsten und Forschungseinrichtungen verschenkt. Während die Kasseler Globen zum Festhalten und Verbreiten eigener Beobachtungsergebnisse dienten, griffen die Augsburger Uhrmacher Johann Reinhold (1550–1596) und Georg Roll (1546–1592) für ihre mechanischen Himmelsgloben (Abb. 3) auf bereits publizierte Sternkarten zurück. Ihre Globen bestehen aus einemmechanischen Himmelsglobus, auf dem die auf zwei mechanischen Bügeln montierten Figuren von Mond und Sonne ihre Positionen am Himmel zeigen. Unter der Himmelskugel finden wir einen Erdglobus und über ihm eine Armillarsphäre. Sonnenuhren und ein Kompass auf der Grundplatte halfen beim Einstellen der Himmelskugel. Heute finden wir Exemplare dieses Automaten in Wien7 (1588), Neapel8 (1586), Paris9 (1588), London10 (1584), Sankt Petersburg11 (1584) und Dresden12 (1586).13 Bei diesen astronomischen Modellen können wir zweifellos von mechanischen Automaten sprechen. Auch die bewegten Kreaturen der großen astronomischen Uhren fanden ihre Umsetzung Ende des 16. Jahrhunderts in kompakten Automaten.14 Die berühmtesten dieser Automaten schuf der Augsburger Hans Schlottheim. An seinem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Krippenautomaten (Kat.-Nr. 4) finden wir die sich vor Maria verneigenden Heiligen Drei Könige der Straßburger Münsteruhr wieder, in seinen Tafelschiffen in Écouen und London (Kat.-Nr. 15), die sich bis 1832 in der Dresdner Kunstkammer befanden, verneigen sich die Kurfürsten vor dem Kaiser, wie wir es seit 1509 beim »Männleinlaufen« am Westgiebel der Nürnberger Frauenkirche finden (Abb. 4).15 Die Frauenkirche wurde 1355 von Karl IV. als kaiserliche Hofkapelle gestiftet und sollte Reichsinsignien (Kaiserkrone, Zepter und Mantel) aufnehmen. Das »Männleinlaufen« erinnert an die Verkündung der Goldenen Bulle 1356. Schlottheims Automaten sind komplexe mechanische Gebilde mit mehreren Antriebswerken, die das Gehwerk, das Schlagwerk, die Automatenfunktionen und nicht selten auch noch einen Musikautomaten antreiben. An den meisten Automaten findet sich irgendwo ein Zifferblatt als Hinweis auf den Antriebsmechanismus. Nur ein Krebs (Kat.-Nr. 19) und eine Spinne aus Dresden (Kat.-Nr. 21) sowie ein Maikäfer aus Kassel (Kat.-Nr. 20) verzichten darauf. Den komplexen Automaten folgten am Ende des 16. Jahrhunderts die sogenannten Augenwender; einfachere Figurenautomaten, bei denen sich vor allem die Augen bewegten. Sie waren über ein Gestänge mit dem Uhrwerk verbunden, und an ihnen konnte abgelesen werden, ob Abb. 2 Aufzieh-Spielzeug »Spinney«. Kikkerland Design Inc., USA, 2021

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