Leseprobe

12 Mit einem Schlüssel aufzuziehende Kreaturen – vom kleinen emaillierten Maikäfer aus dem frühen 17. Jahrhundert (Kat.-­ Nr. 20) bis zum Wind-Up der Firma Kikkerland (Abb. 2) aus den Kinderzimmern heutiger Tage – bilden unsere Vorstellung von mechanischen Automaten. Die kleine Aufzugsfeder, die ein dem Uhrwerk verwandtes Räderwerk antreibt, bot über Jahrhunderte einen ortsunabhängigen Antrieb für faszinierende mechanische Apparate. Die berühmtesten mechanischen Objekte der Zeit um 1600 sind sicherlich die spektakulären Figurenautomaten des Augsburgers Hans Schlottheim (1547–1625), doch stehen sie eher am Ende einer Entwicklung, die mit den großen astronomischen Uhren in und an Kirchen und Rathäusern begann. Diese monumentalen Apparate vereinen astronomische Funktionen, wie den Lauf von Gestirnen und Planeten, die Zeitanzeige auf Zifferblättern, wie auch durch ein Schlagwerk und den Kalender. Wir finden aber auch bewegte Kreaturen, wie den zur Stunde krähenden Hahn, Glocken schlagende Männer und die berühmten Figurenläufe. Einen mechanischen Hahn, der wohl zu einer Kirchenuhr gehörte, zeigt bereits das Bauhüttenbuch des Villard d’Honnecourt1 (um 1200–nach 1235) aus der Zeit um 1235. Die berühmPeter Plaßmeyer Einleitung teste dieser Uhren ist sicherlich die im Straßburger Münster. Die erste Uhr aus dem Jahr 1353 wurde an anderer Stelle des Querhauses durch die 1574 vollendete zweite Münsteruhr ersetzt.2 Bereits die erste Uhr zeigte neben dem Kalendarium Anzeigen der Gestirne und die Heiligen Drei Könige als bewegte Figuren, die zu jeder Stunde die Köpfe vor Maria neigten. Die großen astronomischen Uhren wurden von Gewichten angetrieben, die eine große Fallhöhe benötigten, um nicht ständig aufgezogen werden zu müssen. Mit der Erfindung der Aufzugsfeder entstanden im 16. Jahrhundert kompakte Uhrwerke, die kleinere Automaten ermöglichten. Dabei wurde die Komplexität der astronomischen Uhren zerlegt in astronomische Tischautomaten und in Figurenautomaten. Alles vereinende Tischautomaten blieben die Ausnahme. Eine solche bildet die prächtige Tischuhr des Nürnberger Uhrmachers Paulus Schuster (Meister 1587, gest. 1624) von 1587 (Abb. 1). Herrlich kontrastierende Silber- und Goldflächen und fragile Tiefenschnittemails bieten eine Bühne für vier kleine Meeresgötter an den Ecken des Sockels, die jede Minute abwechselnd für jeweils 15 Sekunden ihre Köpfe bewegen. Weiter oben schlagen zwei Männer die Glocken des Stunden- und Viertelstundenschlagwerks und der Hahn kräht flügelschlagend.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1