Leseprobe

182 Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Literatur In die forcierte technische Entwicklung gingen viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse ein. Eines dieser Phänomene war die Elektrizität. Kannte man im 18. Jahrhundert lediglich die Elektrostatik, die – vorgeführt in spektakulären Präsentationen – große Aufmerksamkeit auf sich zog, stand nach 1800 mit der Voltaischen Säule eine Quelle für elektrischen Strom zur Verfügung, wie wir ihn heute kennen und vielfach nutzen. Aufsehenerregende Experimente an toten Tierkörpern und menschlichen Leichen zeigten, dass Elektrizität Muskelbewegungen auslösen kann. Bald wurden damit neue chemische Elemente entdeckt sowie Nachrichten über weite Entfernungen übertragen; Elektrizität ermöglichte die Erzeugung eines bis dahin ungekannten hellen Lichtes und bald wurde klar, dass sie sich auch zum Energietransport eignete. Daher kann es nicht verwundern, dass diese Phänomene rasch Eingang in Literatur und Kunst fanden, wobei sich Realität und Fiktion verwoben. So wird etwa das künstliche Wesen im Roman Frankenstein,2 den Mary W. Shelley (1797–1851) im Alter von 21 Jahren 1818 veröffentlichte, durch Elektrizität belebt, während Rabbi Löw der Legende nach im Prag des 16. Jahrhunderts für den von ihm geschaffenen Golem noch Magie einsetzen musste.3 Auch der amerikanische Erfinder Thomas A. Edison (1847–1931), eine der herausragenden Personen der jungen Elektroindustrie, avancierte zur Hauptfigur in einem 1886 erschienenen satirischen Roman.4 Darin bittet ihn ein junger englischer Lord aus enttäuschter Liebe, eine perfekte Frau zu erschaffen, die einen makellosen Körper mit hohem Intellekt vereint. Man mag diese Geschichte als pubertäre Männerfantasie abtun, aber man kann sie auch als Frage nach möglichen Perfektionierungsstrategien diskutieren, die uns heute angesichts der modernen Vermessungs- und Selbstoptimierungstechniken gar nicht so fremd sind. Die aufstrebende Elektrotechnik bot ein großes Potenzial für neue technische Lösungen, in deren Beschreibung auch auf biologische Metaphern zurückgegriffen wurde. So stellte etwa 1916 der amerikanische Ingenieur Benjamin Miessner (1890–1976) in einer Monografie zur Funkfernsteuerung von Torpedos einen »elektrischen Hund« vor.5 Mit zwei lichtempfindlichen Selenzellen ausgestattet, folgte dieser dem Licht. Auf der gleichen Technik beruhten etwa 40 Jahre später auch die »Schildkröten«, mit denen der Neurophysiologe William Grey Walter (1910–1977) die Lernfähigkeit von Lebewesen demonstrieren wollte.6 Miessner hatte im erwähnten Buch das Ziel formuliert, rasch zu einem »dog of war« zu kommen, der emotionslos und unerbittlich kämpfen könne, was mitten im Ersten Weltkrieg, in den die USA 1917 eintraten, nicht verwundert. Hier scheint bereits auf, was heute offensichtlich ist, nämlich, dass das Militär ein großes Interesse an der Robotik hat. 1918 tauchten in amerikanischen Zeitschriften Berichte von Robotersoldaten auf.7 Deren Autor Hugo Gernsback (1884–1967) absolvierte ein technisches Studium am Rheinischen Technikum in Bingen Abb. 2 The Automatic Soldier. 1918. Cover der Zeitschrift Electrical Experimenter, Vol. VI, No. 66, October 1918, No. 6 »Our front cover as well as the accompanying illustration shows the device clearly. The automatic ›soldier‹ briefly consists of a special double steel cylinder made of shell-proof Tungsten steel or the like. There is one outer, stationary cylinder and a second inner cylinder, the latter telescoping into the stationary one. The entire device is set into trenches as shown in our illustration, the contrivance taking the place of a human soldier.« (Gernsback 1918, S. 372)

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