Leseprobe

130 Lars Rebehn Was ist eigentlich ein Theatrum mundi oder Welttheater? Im späten 19. Jahrhundert hätte man diese Frage nicht stellen müssen. Die meisten Menschen hatten es selbst auf einem Jahrmarkt oder in einem Theatersaal erlebt. Um es einfacher zu machen, stellen wir die Frage, was es nicht ist: Es ist weder ein historisches Ereignis meist kriegerischer Natur gemeint, noch eine überspitzte Bezeichnung für höfisches Leben im Barock oder ein literarisches Werk mit umfassendem Anspruch.1 Vielmehr bezeichnet es eine spezielle Form der darstellenden Künste. In einem Theatrum mundi werden perspektivische Ansichten von Landschaften und Städten gezeigt, belebt durch sich veränderndes Licht und sich bewegende Menschen, Tiere und Fahrzeuge (Abb. 1). Grundidee der Aufführung ist die perfekte Illusion, die Schaffung einer künstlichen Welt (Abb. 2). Die Figuren aus Pappe, Holz oder Blech mit einer Höhe von gewöhnlich zehn bis 40 Zentimetern wurden auf eine von meist sechs hintereinander angeordneten Schienen gesetzt und durch ein sich darin drehendes Laufband mit Kurbeln bewegt (Abb. 3). Die Kulissen waren überwiegend aus Pappe hergestellt, in ihren Umrissen ausgeschnitten und illusionistisch bemalt. Manche dieser Theater hatten eine Breite von bis zu fünf Metern und konnten so gleichzeitig von bis zu 500 Personen im Zuschauerraum gut betrachtet werden (Abb. 4 und 5). Entstanden in der Hochzeit des Barock, erfreuten sich diese Theater bis um 1900 in ganz Europa einer großen Beliebtheit. Der Gründer der Dresdner Puppentheatersammlung, Otto Link (1888–1959), nannte sie »Die Wochenschau des 19. Jahrhunderts«. Neben Genreszenen mit Sommer- und Winterlandschaften, Volksfesten und berühmten Städten wurden gern Naturkatastrophen und insbesondere Land- und Seeschlachten gezeigt. Nur mit der Aktualität haperte es ein wenig, da ja zunächst Kulissen und passende Figuren hergestellt werden mussten. Dafür wurden gewöhnlich mehrere Wochen benötigt.2 Das Theatrum mundi oder: Die Welt im Kleinen

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