Leseprobe

85 Abb. 6 Fotografie der mutmaßlichen mechanischen Ente von Jacques de Vaucanson. Etwa 1840. Musée des arts et métiers-Cnam, Archive N.C. Pièce 9 Die Ente stand auf einemmächtigen Sockel, der den größten Teil des Antriebsmechanismus barg (Abb. 5). Vielen Beschreibungen können wir entnehmen, dass sie mit den Flügeln schlagen, die Federn sträuben, schnattern, Körner picken, Wasser trinken, verdauen und eine naturgetreue grünlich-breiige Konsistenz ausscheiden konnte.10 1738 wurden die Automaten der Akademie der Wissenschaften in Paris präsentiert, die den Flötenspieler genau untersuchten ließ.11 »Zuerst wollten viele Leute nicht glauben, dass die Töne tatsächlich aus der Flöte kamen, die der Automat in Händen hielt, und nicht von einer Orgel im Inneren der Figur, aber bald waren selbst die größten Skeptiker überzeugt, dass der Automat tatsächlich die Flöte blies und der Atem über seine Lippen kam, und die Bewegungen seiner Finger für die verschiedenen Töne verantwortlich waren«, schrieb Rigollay de Juvigny über eine der Vorstellungen.12 Vaucanson selbst hatte eine technisch detaillierte Beschreibung des Flötenspielers und der Trommlers veröffentlicht, den inneren Mechanismus der Ente hielt er stets geheim.13 1740 sahen sie mehr als 2 000 Gäste im Hôtel de Longueville, wo die Automaten für zwei Monate ausgestellt waren. Auch Voltaire befand sich unter ihnen und berichtete umgehend dem preußischen Kronprinzen Friedrich, der Vaucanson kurz nach seinem Regierungsantritt nach Berlin holen wollte. Er wurde aber im selben Jahr zum Inspektor der Seidenmanufakturen des Königreichs ernannt und führte den mechanischen Webstuhl ein.14 Vaucanson verkaufte die Automaten an drei Geschäftsleute aus Lyon. 1742 waren sie im Haymarket Opera House in London zu sehen, 1746 in Straßburg, 1747 in Hamburg. In der Folge wechselten sie wiederholt den Besitzer, bis sie 1781 bei Gottfried Christoph Beireis (1730–1809), Professor an der Universität Helmstedt und Raritätensammler, landeten.15 1805 besuchte Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) Beireis wegen der Automaten in Helmstedt und beschrieb seinen Eindruck: »Die Vaucansonischen Automaten fanden wir durchaus paralysiert. In einem alten Gartenhause saß der Flötenspieler in sehr unscheinbaren Kleidern; aber er flötete nicht mehr […]. Die Ente, unbefiedert, stand als Gerippe da, fraß den Haber noch ganz munter, verdaute jedoch nicht mehr. An allem dem ward er aber keineswegs irre, sondern sprach von diesen veralteten, halbzerstörten Dingen mit solchem Behagen und so wichtigem Ausdruck, als wenn seit jener Zeit die höhere Mechanik nichts frisches Bedeutenderes hervorgebracht hätte.«16 Nach Beireis’ Tod 1809 ging die Odyssee der Automaten weiter. 1879 wurde die Ente bei einem Brand in Russland zerstört. Von der Ente sind ein paar Fotografien erhalten, die sich heute im Musée des Arts et Métiers in Paris befinden und den handschriftlichen Vermerk »Ansichten der Ente von Vaucanson erhalten aus Dresden« tragen (Abb. 6). Sie sollen etwa 1840 entstanden sein.17 »Sie [die Ente] strecket ihren Halß in die Höhe, um Körner aus der Hand zu nehmen, sie verschluckt, verdauet, und giebt das verschluckte durch die gewöhnliche Wege, nachdem sie es verdauet hat, wieder von sich. […] Die in dem Magen verdauete Materie wird durch Röhren, wie bey einem Thiere durch seine Gedärme, in den Hindern abgeführt, allwo eine Oefnnung ist, durch welche das verdauete einen Ausgang findet.« (Vaucanson 1748, S. 21)

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