Leseprobe

244 Mahlzeitstillleben mit Magd hinter einem Fenster 48 1670 — Öl auf Leinwand, 69,5×84,5 cm — bezeichnet unten rechts: in Coesfelt./Wolffg. HBach. C. f:/ao. 1670 — Kassel, Museumslandschaft Hessen Kassel, Inv. GK 613a Provenienz: seit 1815 auf Schloss Wilhelmshöhe in Kassel nachweisbar Literatur: Slg.-Kat. Kassel 1996, S. 142 f., dort weitere Literatur; Morsbach 1999, S. 89 f., 228 f., Abb. S. 223; Morsbach 2008, S. 165; Ausst.-Kat. Kassel 2016, Kat. 31 M it großen runden Augen und hochgezogenen Brauen blickt die Magd durch das Fenster mit Gitter herein, welches sie vom üppig bestück- ten Tisch trennt. Die Scheibe ist auf der Höhe ihres rechten Auges zersprungen. Hielt das Glas dem durchdringenden Blick des Verlangens nicht stand? Ihre am unteren Fensterrand zu erkennen- den Hände verweisen ferner auf den erwünschten Akt, das Ergreifen der Speisen und Getränke, und den damit verbundenen Genuss. Die eher nüch- terne Malweise steht im Kontrast dazu. Dieses Spätwerk Wolfgang Heimbachs ist nicht nur in seiner Kombination aus Genrebild und Stillleben Ausdruck der vielfältigen Inspirationsquellen des Malers, sondern zelebriert im zweiten Blick – ganz im Sinne der Tradition des barocken Stilllebens – gerade diejenigen Sinne, welche ihm selbst bekannt waren: Sehen, Schmecken, Riechen und Fühlen. Zufall oder lässt man sich hier durch das Vorwissen um seine Gehörlosigkeit verleiten? Das Werk stellt deutlich das Innova- tionspotenzial Heimbachs heraus, dessen anfänglich besonders enge Orientierung an der niederländischen Malerei hier einer offeneren Rezeption gewichen ist. Die Aufsicht ermöglicht den Betrachtenden, die einzelnen Objekte genau in Augenschein zu nehmen, wobei man sich von der Frauenfigur im Hintergrund geradezu ertappt fühlt. Ihr Blick von draußen wird durch die zersprungene Scheibe zum fragilen Moment, der nicht unwei- gerlich Bestand haben muss. Hier zeigt sich einmal mehr der »empathische Blick« 1 Heimbachs auf andere margina- lisierte Menschen. Das Gemälde, wel- ches als einziges Stillleben des Malers gilt, fand im frühen 19. Jahrhundert seinen Weg in die Kasseler Sammlung und wird im Inventar von 1815 zum ersten Mal erwähnt. Bis heute regt es durch den ungewöhnlichen Aufbau und die stilistischen Besonderheiten zur Diskussion an. MRO 1 Lange 2020, S. 258. Lange nennt hier beispiel- haft den Kranken in der Hamburger Kunsthalle, der ebenfalls ohne sarkastischen oder moralischen Unterton dargestellt sei. Thematisiert werde in diesen Bildern vielmehr die menschliche Fürsorge.

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