Leseprobe

Paul Scheurich me issen por zel l an-st if tung

meissen porzel l an-st if tung sandstein verl ag Paul Scheurich Porzellangestalter, Zeichner, Grafiker Porcelain designer, illustrator, graphic artist

4

6 Vorwort · Foreword 12 Einleitung · Introduction Das plastische Schaffen Work as a modeller 18 Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst 22 Porzellan-Manufaktur Meissen 94 Nymphenburger Manufaktur 100 Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin 112 Karlsruher Majolika-Manufaktur 114 Lorenz Hutschenreuther AG 120 Bronzen · Bronzes Das grafische Schaffen Work as a graphic artist 132 Frühe Werbegrafik · Early commercial art 142 Charaktere in Grafik und Porzellan · Characters in graphic works and porcelain 150 Modezeichnungen und Magazine · Fashion illustrations and magazines 154 Grafische Vielfalt · Wide-ranging graphic output Anhang · Annexe 164 Biografie · Biography 168 Dokumente zu Paul Scheurich aus dem Manufakturarchiv · Documents on Paul Scheurich from the Meissen Manufactory archives 173 Dank · Acknowledgments 174 Literatur · Bibliography 175 Bildnachweis · Picture credits 176 Impressum · Publishing details

Paul Scheurich war einer der bedeutendsten Porzellangestalter in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Menschen aus aller Welt sind bis heute begeistert von seinen Entwürfen. Weniger bekannt ist, dass Scheurich als Zeichner, Plakatkünstler, Illustrator, Pressezeichner, Karikaturist und Bühnenausstatter auch ein beträchtliches grafisches Schaffen hinterließ. Die Ausstellung anlässlich seines 75. Todestags stellte seine Porzellanentwürfe in den Mittelpunkt. Zwischen 1912 und 1942 arbeitete Paul Scheurich für insgesamt sechs Manufakturen. Die Ausstellung führte erstmals Stücke aus allen sechs Unternehmen zusammen. So ermöglichte sie einerseits einen umfassenden Überblick über Scheurichs keramisches Schaffen. Andererseits zeigte sie, dass Scheurich es verstand, neben seiner künstlerischen Handschrift für die einzelnen Manufakturen auch jeweils ganz eigene Formensprachen zu entwickeln. So sind seine Figurenreliefs für die Karlsruher Majolika-Manufaktur passend zu Material und Technik eher grob in ihrer Ausführung. Seine außerordentlich filigranen Damen für Nymphenburg kommen in ihrer Feinheit dagegen fast an die Grenze des in Porzellan Möglichen. Trotz dieser Unterschiede sind diese Arbeiten doch »typische Scheurichs«. Die meisten seiner Porzellanmodelle schuf Paul Scheurich für die Porzellan-­ Manufaktur Meissen. Hier holte er die Figurengestaltung ins 20. Jahrhundert und brachte mit seinen präzisen Staffage-Vorgaben auch grundlegende Neuerungen für die Porzellanmalerei. Paul Scheurich war studierter Bildhauer. Seinen Lebensunterhalt verdiente er aber zudem als Plakatkünstler, Modezeichner und Illustrator. Dabei hinterließ er von der Buchvignette bis zum Großplakat ein stattliches Œuvre. Allein mehr als 200 Plakatentwürfe für Film, Theater, Zeitschriften und Produktreklame sind von Scheurich bekannt. Für manche Zeitschriften lieferte er jahrzehntelang Zeichnungen oder Karikaturen. Sein grafisches Schaffen konnten wir in der Ausstellung zumindest anreißen und an ausgewählten Beispielen zeigen. Eine umfangreiche Aufarbeitung von Scheurichs grafischem Werk steht jedoch noch aus. Vorwort 6

Die Figuren des Künstlers weben sich gleichsam durch sein gesamtes Schaffen: Zweidimensional in Zeichnungen und Illustrationen oder dreidimensional in seinen Porzellanen tauchen seine Charaktere wiederholt auf. Mal wird seine Illustration zur Porzellanfigur, mal lässt er eine Figur auf seinem Opernvorhang wieder auftreten. Der »Auftritt« selbst ist auch ein typisches, wiederkehrendes Gestaltungsmittel bei Scheurich. Mit Körperspannung, Gesten und Mimik schickt er seine Figuren wie auf einer Bühne in den Dialog mit den Betrachtenden. Scheurichs Schaffen als Porzellankünstler war lebenslang aufs Engste verwoben mit der Biografie Max Adolf Pfeiffers. Der visionäre Keramik-Fachmann leitete und beriet verschiedene Porzellan-Manufakturen. Er arbeitete zeitlebens daran, den Werkstoff Porzellan als künstlerischen Werkstoff zu etablieren. Pfeiffer erkannte früh Paul Scheurichs Talent für Porzellangestaltung. Er beauftragte den Künstler gern und unterstützte ihn und seine Familie auch während langer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Künstlers durch Modellankäufe. Einige seltene Bronzefiguren ergänzten die im Mittelpunkt stehenden Porzellane. Viele der gezeigten Objekte stammen aus privaten Sammlungen von Scheurichs Zeitgenossen, wie dem früheren Meissener Direktor Wolfgang Müller von Baczko, einem ehemaligen Schüler Pfeiffers. Baczko hatte Scheurich schon als Leiter der Karlsruher Majolika-Manufaktur beauftragt. In der Zeit des Nationalsozialismus und unter wirtschaftlichem Druck produzierte von Baczko bei Meissen Modelle Scheurichs. Dafür suchte er auch außerhalb Sachsens anerkannte Fürsprecher. Einblick in das sorgsame Taktieren gab eine Hörstation in der Ausstellung. Die Abschriften der Archivdokumente sind im Anhang des Katalogs ergänzt. Porzellan verzaubert, so auch Paul Scheurich selbst, der rückblickend schrieb: »Hätte ich all die Schwierigkeiten und heimlichen Tücken der Feinkeramik vorher gekannt, hätte ich vielleicht die Hände davon gelassen. Aber man fängt so an, will nachher das Spiel nicht aufgeben, gewinnt Interesse, kommt auch hinter manche Sachen, und schließlich, einmal daran gewöhnt, läßt man ungern davon«. Susanne Bochmann, Kuratorin 7

Paul Scheurichs plastisches Schaffen Paul Scheurich’s work as a modeller

18 Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst Schwarzburger Werkstätten for Porcelain Art Paul Scheurich ließ auf eigene Kosten in der Berliner Manufaktur eine Porzellanfigur von seinem Entwurf »Jägerin« herstellen. Dort war man an einem Modellankauf jedoch nicht interessiert. Max Adolf Pfeiffer, Gründer der Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in Unterweißbach in Thüringen, erwarb 1912 ohne Zögern den Entwurf Scheurichs. Er fiel ihm »als reife Frucht in die Hand«, wie er später selbst sagte. Für Paul Scheurich war es das erste Modell, das er zur Produktion im Werkstoff Porzellan verkaufte. Er schrieb Jahre später: »Hätte ich all die Schwierigkeiten und heimlichen Tücken der Feinkeramik vorher gekannt, hätte ich vielleicht die Hände davon gelassen. Aber man fängt so an, will nachher das Spiel nicht aufgeben, gewinnt Interesse, kommt auch hinter manche Sachen, und schließlich, einmal daran gewöhnt, läßt man ungern davon.« Paul Scheurich arranged for a porcelain version of his “Huntress” to be produced by the Berlin Manufactory at his own expense. No interest was shown in purchasing the master model, however. Max Adolf Pfeiffer, founder of the Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst (“Schwarzburg Workshops for Porcelain Art”) at Unterweissbach in Thuringia, purchased Scheurich’s design without hesitating in 1912. It fell “into my hands like a ripe fruit”, he was to declare later. It was the first model Paul Scheurich sold for production in porcelain. Years later he wrote: “Had I known all the difficulties and hidden vagaries of fine ceramics beforehand, maybe I would have left well alone. But you get started and then you don’t want to give the game up, you start to get interested, start getting the hang of a thing or two and, in the end, once you’ve grown used to it all, you’d be loathe to give up.”

Jägerin ohne Hut · Hatless Huntress Ausformung nach 1912 · Formnummer U 42 · H 24,5×B 13×T 8,5 cm · Modelljahr 1912 · Privatsammlung Dame mit Lyra · Lady with Lyre Ausformung nach 1912 · Formnummer U 58 · H 27,2×B 8,5×T 7 cm · Modelljahr · Provenienz: Sammlung Folker Doyé · Privatsammlung 19

Jäger staffiert · Decorated hunter Ausformung nach 1912 · Formnummer U 45 · H 25,5×B 11×T 8 cm · Modelljahr 1912 · Privatsammlung 20

Jäger · Huntsman Ausformung nach 1912 · Formnummer U46 · H 26,9×B 11×T 8 cm · Modelljahr 1912 · Privatsammlung Jägerin · Huntress Ausformung nach 1912 · Formnummer U 42 · H 25,5×B 13×T 8,5 cm · Modelljahr 1912 · Privatsammlung 21

22 Meissen In den Jahren 1910 und 1912 gastierte die russische Tanzkompanie Sergei Diaghilews in Berlin. Die Aufführungen dieser »Ballets Russes« wirkten stilbildend auf den modernen Tanz in Europa und Nordamerika. Scheurich entwarf 1912, inspiriert von der ungewöhnlichen Ausdruckskraft der Choreografien und von den Art-déco-Kostümen der Tänzer, eine Figurenserie. Die Porzellan-Manufaktur in Meissen kaufte die Figuren an, nachdem Max Adolf Pfeiffer 1913 hier kaufmännischer Direktor geworden war. Die ausdrucksstarke künstlerische Gestaltung der Figuren entsprach Pfeiffers Bestreben, die Produktpalette der Meissener Manufaktur durch herausragende Künstlerentwürfe zu bereichern. Sergei Diaghilev’s Russian dance company ran seasons in Berlin in both 1910 and 1912. Performances of its ballets russes had a seminal influence on the evolution of modern dance in both Europe and North America. So taken was Scheurich by the extraordinary expressiveness of the choreography and the dancers’ art deco costumes that, in 1912, he designed a series of figurines on the subject. The Porcelain Manufactory at Meissen purchased the works after Max Adolf Pfeiffer had been appointed commercial director there in 1913. The figures’ artistic eloquence accorded well with Pfeiffer’s vision of enriching the Meissen Manufactory’s range of products with the aid of outstanding works by outside artists.

Eusebius Figur aus dem Russischen Ballett · Characters from the ballet russe Ausformung 1914–1923 · Formnummer D 284 · H 23,4×B 21×T 9,7 cm · Modelljahr 1912 · Ankauf 1913 · Privatsammlung Estrella Figur aus dem Russischen Ballett · Characters from the ballet russe Ausformung 1914–1923 · Formnummer D 285 · H 27,4×B 20×T 12 cm · Modelljahr 1912 · Ankauf 1913 · Privatsammlung 23

Die Bemalung von Porzellanfiguren bezeichnet man als Staffage. Die Arbeit mit Paul Scheurich bedeutete für die Staffagemaler der Meissener Manufaktur eine Neuerung. Bislang »bekleideten« sie im Rahmen gewisser Vorgaben die Meissener Figuren. Nun legte Scheurich sehr detailliert fest, wie seine Figurenentwürfe zu staffieren seien. Die Figuren-»Mode« wurde vom »Thema mit Variation« zur präzisen Haute Couture. Wie exakt der Künstler die Staffage festlegte, verdeutlicht seine Staffageanweisung zur Figur »Die Entführung«. Das Blatt aus dem Archiv der Manufaktur zeigt die Figurengruppe aus allen Richtungen und enthält zusätzliche Arbeitsanweisungen. Zur Figur »Tanzender Zwerg« ist Scheurichs signierte Vorgabe zur Goldstaffage als Modell erhalten. Working with Paul Scheurich involved figure painters at the Meissen Manufactory entering new territory. Hitherto, they had “clad” their figures to a specified set of rules. Scheurich, though, set forth in great detail how he wished the figures he designed to be coloured. The prevailing “fashion” of “variations on a theme” was replaced by pinpoint Haute Couture. Just how demanding the artist was in his stipulations is underlined by the colouring instructions for his “Elopement” figure group. A page of sketches held in the Manufactory archives shows the group from all directions and contains added written instructions on how the painters were to proceed. An actual model exists showing how Scheurich wished his “Dancing Dwarf” figure to be gilded. Scheurichs Staffage Scheurich’s approach to figure colouring Dame mit »Mohrenknabe« · Lady with “Moorish” Attendant ohne Staffage · Ausformung 1956 · Formnummer A 1012 · H 28×B 27×T 24 cm · Modelljahr 1919 · Ankauf 1919 · Meissen Porzellan-Stiftung · Inv.-Nr. MPS 007555 39

Staffierung 1 · Ausformung 1920 – 1923 · Formnummer F 274 · H 28×B 29×T 25 cm · Modelljahr 1919 · Ankauf 1919 · Provenienz: Sammlung Michael und Margot Newman, London · Privatsammlung 40

Staffierung 2, Urstück Nr. 6 (ausgeschliffen) · Ausformung 1920–1923 · Formnummer F 274 · H 28×B 29×T 25 cm · Modelljahr 1919 · Ankauf 1919 · Privatsammlung Unikat · Ausformung 1920–1930 · Formnummer F 274 · H 28×B 29×T 25 cm · Modelljahr 1919 · Ankauf 1919 · Provenienz: Sammlung Wolfgang Müller von Baczko · Privatsammlung 41

Wirtschaftlich schwierige Zeiten behinderten Anfang der 1930er Jahre Modellankäufe durch die Meissener Manufaktur. Nach der politisch begündeten Entlassung Max Adolf Pfeiffers 1933 kam die Produktion bereits angekaufter Scheurich-Modelle zum Erliegen. Erst als 1936 Wolfgang Müller von Baczko die Direktion übernahm, ließ dieser bereits angekaufte Modelle erstmals ausformen oder fertigstellen. Das Modell »Flora« von 1931 wurde erst 1937 produziert. »Spanische Tänzerin« und »Spanier« waren 1933 noch weiß ausgeformt worden, kamen aber erst 1937 staffiert auf den Markt. Nach dem Ankauf der »Stürzenden Reiterin« 1933 wurde deren Ausformung mit einem Aufschrei »aus Gründen des Anstands« blockiert. Die fertige Figur gewann bezeichnenderweise auf der Weltausstellung 1937 in Paris einen Grand Prix. The economically fraught years of the early 1930s saw a downturn in models purchased by the Meissen Manufactory. The production of master models already bought from Scheurich ceased once Max Adolph Pfeiffer was dismissed on political grounds in 1933. Three years were to pass before, at the behest of Wolfgang Müller von Baczko, who assumed the directorship in 1936, casts were made of the models already purchased. The master model of “Flora” made in 1931 was not produced in porcelain until 1937. “Spanish Dancer” and “Spaniard” were cast in the white in 1933 but not marketed in coloured form until 1937. The “Falling Horsewoman” bought in 1933 caused an outcry and its production was halted on the grounds of indecency. Ironically, though, the finished figure won a grand prix at the 1937 Paris Exhibition. Ein Grand Prix und ein neuer Förderer für Scheurich Grand prix and a new promoter for Scheurich Uhr mit Jägerin und Hund · Clock with Huntress and Hound Ausformung 1937–1948 · Formnummer A 1193 · H 27,5, ×B 37×T 16,5 cm · Modelljahr 1932 · Ankauf 1932 · Provenienz: Sammlung Wolfgang Müller von Baczko · Privatsammlung 77

Spanier · Spaniard Ausformung 1933 · Formnummer A 1191 · H 19,3×B 7,5×T 7 cm · Modelljahr 1932 · Ankauf 1932 · Privatsammlung Spanische Tänzerin · Spanish Dancer Ausformung 1933–1948 · Formnummer A 1248 · H 27,3×B 10×T 10 cm · Modelljahr 1931 · Ankauf 1931 · Privatsammlung 78

Stürzende Reiterin · Falling Horsewoman Ausformung 1937–1948 · Formnummer A 1258 · H 39×B 36×T 14 cm · Modelljahr 1932 · Ankauf 1933 · Privatsammlung 79

Sich bäumendes Pferd · Horse Rearing Böttgersteinzeug · Ausformung 1951 · Formnummer A 1270 · H 31,9×B 28×T 12 cm · Modelljahr 1934 · Ankauf und Erstausformung nicht registriert · Privatsammlung 84

Dose mit Frauenbüste auf dem Deckel Covered box with bust of woman as finial Böttgersteinzeug · Unikat · Ausformung 1937 · Formnummer A 1259 · H 18,8 cm×D 11,4 cm · Modelljahr 1937 · Ankauf 1937 · Privatsammlung Puderdose mit liegendem Putto auf dem Deckel Covered powder box with recumbent cherub as finial Böttgersteinzeug · Unikat · Ausformung 1937 · Formnummer A 1262 · H 11,8 cm×D 12,1 cm · Modelljahr 1937 · Ankauf 1937 · Privatsammlung 85

Blumenschale mit plastischem Blumenbelag Cachepot sprigged with flowering sprays Ausformung 1937 · Formnummer A 1293 · H 19×D 25,5 cm · Modelljahr 1937 · Meissen Porzellan-Stiftung · Inv.-Nr. MPS 035789 Viereckige Schale · Rectangular bowl Ausformung 1994 · Formnummer A 1290 · H 10×B 17,5×T 17,5 cm · Modelljahr 1937 · Meissen Porzellan-Stiftung · Inv.-Nr. MPS 020020 92

Blumenschale mit Reliefbukett Cachepot with relief-moulded bouquet Ausformung 1937–1945 · Formnummer A 1274 · H 17,8×D 37,5 cm · Modelljahr 1937 · Meissen Porzellan-Stiftung · Inv.-Nr. MPS 019791 Blumenschale mit zwei Reliefbuketts Cachepot with two relief-moulded bouquets Ausformung 1937–1945 · Formnummer A 1274 · H 17,5×D 37 cm · Modelljahr 1937 · Meissen Porzellan-Stiftung · Inv.-Nr. MPS 016720 93

120 Bronzen Bronzes Großformatige Bronzeplastiken von Paul Scheurich wurden fast alle im Zweiten Weltkrieg zerstört. Neben einigen Bronzeabgüssen nach Porzellanvorbild existieren seltene, ausschließlich in Bronze gefertigte Arbeiten von ihm. Mit der Figur »Kronprinz Wilhelm von Preußen« ist so eine sehr frühe plastische Arbeit des Künstlers aus dem Jahr 1911 erhalten. Der »Weibliche Akt« nimmt Bezug auf seine porzellanene »Jägerin« für die Schwarzburger Werkstätten. Die Figur »Bruder Lutz« zeigte Scheurich in der Ausstellung der Berliner Secession 1919/20. In Illustrationen von 1921 zeichnete er »Bruder Lutz« als literarische Gestalt in Christian Martin Wielands »Die Wasserkufe«. Das »Springende Pferd« war ein Vorentwurf für das Denkmal eines Wiesbadener Feldartillerie-Regiments. Almost all large-format bronze sculptures by Paul Scheurich were destroyed in World War Two. Besides a number of bronze casts based on prototypes in porcelain, there also exist rare works of his executed exclusively in bronze. One very early sculptural piece by the artist dating back to 1911 has been preserved and bears the title “Crown Prince William of Prussia”. His “Female Nude” is a variation on his “Huntress” porcelain for the Schwarzburger Werkstätten. Scheurich’s “Brother Lutz” figurine was shown at the Berlin Secession exhibition of 1919/20. He illustrated the character of “Brother Lutz” in an edition of Christian Martin Wieland’s “Die Wasserkufe” published in 1921. His “Horse Jumping” was a forerunner of the monument to the Wiesbaden field artillery regiment.

Kronprinz Wilhelm von Preußen · Crown Prince William of Prussia Bronze · H 26,8×B 6×T 6 cm · 1911 · Privatsammlung 121

Jägerin entkleidet · Huntress Undressed Bronze · H 28,3×B 8×T 10 cm · Privatsammlung 122

Venus Bronze · H 38,3×B 8×T 8 cm · Provenienz: Sammlung Wolfgang Müller von Baczko · Privatsammlung 123

Paul Scheurichs grafisches Schaffen

Paul Scheurich as a graphic artist

132 Frühe Werbegrafik Early commercial art Paul Scheurichs grafisches Schaffen übersteigt seine Porzellanentwürfe zahlenmäßig bei Weitem. Er entwarf allein mehr als 200 Plakate für verschiedene Druckereien, wie die Berliner Druckerei Hollerbaum und Schmidt. Diese hatte in der deutschen Plakatkunst und frühen Werbegrafik eine Vorreiterrolle inne. Bereits seit den 1850er Jahren gab es Litfaßsäulen als Träger für das Werbemedium Plakat. Aber erst nach 1900 beschleunigte sich das Verkehrsaufkommen in deutschen Großstädten so, dass sich moderne Werbeplakate mit wenig Text und klaren Bildaussagen durchsetzten. Scheurich entwarf in dieser Bildsprache verschiedenste Produktplakate und regelmäßig auch Zeitschriftenwerbung. Für den Berliner Tauentzienpalast gestaltete er Filmplakate, für Max Reinhardt schuf er Theaterplakate und ab Mitte der 1930er Jahre entwarf er Plakate für die Deutsche Oper in Berlin. Paul Scheurich’s output of graphic art far exceeded that of his porcelain models. He designed over 200 posters for various printing houses alone. Of these, the Berlin firm Hollerbaum und Schmidt played a pioneering role in poster art and early commercial art in Germany. A system of pillars for public notices had been introduced in the 1855s that was soon adopted for the display of advertising posters. As levels of road traffic in German cities began to swell in the early 20th century, a more modern form of poster with little text and clear visual messages began to assert itself. Scheurich designed a great variety of product posters and, on a regular basis, promotional material for magazines in this pictorial language. He produced film posters for Berlin’s Tauentzienpalast cinema, theatre posters for Max Reinhardt and, from the mid1930s, posters for the Deutsche Oper in Berlin.

Bruno Kastner in: »Der Schwur« · Bruno Kastner in: The Oath Lithogra e · 142,9×95,2 cm · Dinse, Eckert & Co., Berlin 1919 · Essen, Museum Folkwang, Deutsches Plakatmuseum, Bild-Nr. 68540 133

Theater an der Alster · Theatre on the Alster Farblithogra e · 48×71,4 cm · Hollerbaum & Schmidt, Berlin 1910 · Essen, Museum Folkwang, Deutsches Plakatmuseum, Bild-Nr. 68538 134

Saman Tee · Saman Tea Farblithogra e · 34,2×45 cm · Hollerbaum & Schmidt, Berlin 1909 · Essen, Museum Folkwang, Deutsches Plakatmuseum, Bild-Nr. 68539 135

geboren in New York als Sohn deutscher Eltern; Paul Scheurich behielt zeitlebens die amerikanische Staatsbürgerschaft 24. 10. 1883 Born in New York to German parents; Paul Scheurich remained a US citizen for the whole of his life Kindheit und Jugend im Arzthaushalt der Großeltern in Schlesien, humanistische Bildung, erste Zeichnungen und Skulpturen, erster Unterricht in Bildhauerei 1884–1900 Childhood and youth spent at his grandparents’ home in Silesia, grammar-school education with Latin and Greek, first drawings and works of plastic art, early training in sculpture Studium der Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in Berlin, zeitweise tätig bei Bildhauer Adolf Schlabitz und Maler Wilhelm Müller-Schönefeld 1901–1904 Studies Sculpture at the Berlin Fine Arts Academy and works for a time with the sculptor Adolf Schlabitz and the painter Wilhelm Müller-Schönefeld erste Buchillustrationen 1902 First book illustrations Teilnahme an der Großen Berliner Kunstausstellung 1904 Represented in the Great Berlin Art Exhibition Tätigkeit als Plakatkünstler, Zeichner und Buchillustrator ab 1938 onwards Active as a poster artist, drawer and book illustrator Heirat der Malerin und Bildhauerin Katharina (Käthe) Soder 1906 Marries the painter and sculptress Katharina (Käthe) Soder Paul Scheurich lernt Max Adolf Pfeiffer kennen, den Gründer und damaligen Leiter der Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in Unterweißbach, Thüringen 1909 Makes the acquaintance of Max Adolf Pfeiffer, founder and, at the time, director of the Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in the Thuringian town of Unterweissbach Biography Biografie Paul Scheurich Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen, Unternehmensarchiv, Signatur FA 0324 164

Paul Scheurich mit Ehefrau Käthe und Sohn Caspar in den späten 1920er Jahren Paul Scheurich with wife Käthe and son Kaspar in the late 1920s Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen, Unternehmensarchiv, Signatur FA 0329-1 Geburt des Sohnes Caspar 1912 Son Caspar born erster Modellverkauf zur Ausformung in Porzellan an die Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in Unterweißbach/Thüringen 1912 First prototype for casting in porcelain sold to the Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst Verkauf der Figurenserie zum Russischen Ballett an die Porzellan-Manufaktur in Meissen, wo Max Adolf Pfeiffer mittlerweile kaufmännischer Direktor ist 1913 Sells Russian Ballet figurine series to the porcelain manufactory at Meissen, where Max Adolf Pfeiffer has been appointed commercial director in the meantime Porzellanmodelle für die Manufakturen in Nymphenburg, Meissen und Berlin 1913–1917 Designs models for production in porcelain for the manufactories in Nymphenburg, Meissen and Berlin vertragliche Bindung an die Porzellan-Manufaktur in Meissen, gefolgt von einer intensiven Schaffensphase; gleichzeitig weiterhin tätig als Zeichner, Grafiker und Bühnenausstatter 1918 Phase of intense creativity after signing an exclusive contract with the porcelain manufactory in Meissen; also continues to work as a illustrator, graphic artist and stage designer Arbeiten für die Majolika-Manufaktur in Karlsruhe 1920 Produces work for the majolica factory in Karlsruhe krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit 1923–1928 Unable to work due to ill health Verleihung des Professorentitels im Zusammenhang mit der geplanten Übernahme eines Meisterateliers in der Meissener Manufaktur; aus gesundheitlichen Gründen übernimmt Scheurich jedoch nie ein solches Atelier 1924 Appointed professor as future Head of a master studio at the Meissen manufactory; for health reasons, never able to carry out his teaching assignment 165

Paul Scheurich (geb. 1883 New York, gest. 1945 Brandenburg) war einer der bedeutendsten Porzellangestalter in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Anlässlich seines 75. Todestages geht die Ausstellung auf Spurensuche. Seine Porzellanentwürfe für Meissen und andere deutsche Manufakturen, ergänzt durch seltene Bronzestatuen, Zeichnungen, Illustrationen und Werbegrafiken aus der Hand des Künstlers, vermitteln ein vielfältiges Künstlerporträt. Paul Scheurich (* 1883 New York – † 1945 Brandenburg) was one of the most important porcelain modellers in the first half of the 20th century. On the occasion of the 75th anniversary of his death, the exhibition goes in search of traces. Just how versatile Scheurich was as an artist is underlined by his work in porcelain for Meissen and other German manufactories as well as by his drawings, illustrations, forays into commercial art and a modest number of bronze statues. SAND ST E I N 9 783954 986736

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1