Leseprobe

240 H Heinrich Tessenow wird gern und zuerst mit Wohnhäusern für Handwerker und Kleinbürger in Hellerau in Verbindung gebracht. Mit Ausnahme des Festspielhauses wird darob des Öfteren übersehen, dass er eine Reihe von weiteren ikonischen Gebäuden entworfen hat, und dass derselbe Tessenow, der in der Kleinstadt sein Stadtideal sah, sehr wohl fähig war, für die Großstadt zu planen. In den 1940er Jahren widmet er sich vermehrt städtebaulichen Projekten. Das Wohnhaus blieb ihm aber während seiner ganzen Berufszeit wichtig. Zwischen 1909 und 1919 schreibt und zeichnet er drei wichtige Bücher. Gelehrt hatte er nach Trier in Wien, in Dresden und in Berlin. Bevor sich seine Studenten an den großen Maßstab wagen durften, mussten sie ein kleines Wohnhaus entworfen haben. Nach dem Krieg vergessen, wurde er Ende der 1960er Jahre wiederentdeckt und sein Werk und Denken erneut wirksam. Vor Hellerau: Tessenows berufliche Vorbereitung Als er im Alter von 33 Jahren zur Mitarbeit an Hellerau eingeladen wurde, die er im September 1909 begann, hatte er erst eine kleine Pension in Schönberg (1902/03) und drei Häuser für städtische Straßenbahner in Trier (1906/07) gebaut. Anstelle eines akademischen Diploms konnte er eine abgeschlossene Zimmermannslehre (Rostock, 1894–1896), den Besuch von Baugewerkschulen in Neustadt und Leipzig, die Tätigkeit als Eisenbahnbauassistent in Danzig, Studien als Fachhörer an der TU München, die Mitarbeit in der Funktion des Bürochefs im Büro von Martin Dülfer in München, die Lehrtätigkeit an den Baugewerkschulen in Sternberg und Lüchow und die Mitarbeit in den Saalecker Werkstätten von Paul Schultze-Naumburg vorweisen, aber auch den Aufbau eines Architekturunterrichts an der Handwerks- und Kunstgewerbeschule in Trier auf Empfehlung von Hermann Muthesius, sodann ab Frühjahr 1909 die Anstellung als Assistent bei Martin Dülfer an der TU Dresden und im selben Jahr am 1. August die Anmeldung des Patents für eine neuartige Wandkonstruktion. Mit der Veröffentlichung von Gebäudeaufnahmen, zahlreichen Projekten für Wohnhäuser und mit seiner publizistischen Beratertätigkeit ab 1902, illustriert mit bemerkenswerten Zeichnungen, sowie dem Buch »Der Wohnhausbau«, 1909 erschienen, wird Tessenow bekannt. Städtebauliche Fragen werden darin nicht behandelt. Vielmehr enthält es neben Texten hauptsächlich Projekte für Einfamilienhäuser, und, in die Zukunft weisend, die Auseinandersetzung mit dem Thema Wohnen für Arbeiter und Kleinbürger, »das so wichtige Gebiet der Arbeiterwohnungsfrage«.1 Tessenow schreibt: »Der Kleinwohnungsbau, so wie er mit der jüngeren Baugeschichte mehr und mehr verstanden wird, steckt noch durchaus in den Kinder1 u Gartenstadt Hellerau. Gesamtplan 1913 (Die Bauten von Tessenow sind rot markiert). u Hellerau Garden City: Complete site plan 1913 (Tessenow’s buildings are coloured red).

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