Leseprobe

318 Plauen im Sozialismus Die Nachkriegs­ jahre (1945–1949) Plauen am Ende des Krieges Das Furchtbarste waren die Toten. 2358 Frauen, Män- ner und Kinder starben in Plauen im Bombenhagel. Dies ist die offizielle Zahl der Todesopfer, die wahre liegt ganz sicher höher. Dann : die Verwüstung der Stadt. Plauen glich einem riesigen Trümmerfeld. Auf die Stadt waren zwischen 45000 und 50000 Bomben abgeworfen worden – pro Quadratkilometer 158,87 Tonnen. Damit hatte es Plauen unter allen sächsischen Großstädten sowie Zwickau mit Abstand am schlimmsten getroffen. (Zum Vergleich : Dresden 62,2 Tonnen, Leipzig 88,6 Tonnen, Chemnitz 108,3 Tonnen, Zwickau 32,1 Tonnen.) Tausende Plauener standen von heute auf morgen ohne Dach über dem Kopf da. Es gab keinen Strom, kein Gas, kein Trinkwasser; dafür überall ausgebrannte und eingestürzte Häuser und von Bombeneinschlägen zer- furchte Straßen und Plätze. Und über allem lag der bei- ßende Geruch der zahllosen Schwelbrände. Vier von fünf Wohnhäusern in der Stadt waren zer- stört oder beschädigt worden. Am schrecklichsten unter dem Bombardement gelitten hatte die obere Bahnhofs- vorstadt, wo nahezu kein Stein mehr auf dem anderen lag. Nach einer Schätzung des Plauener Tiefbauamts aus dem Jahr 1950 betrug der Zerstörungsgrad in diesem Stadtbezirk 99 Prozent. Schlimm zugerichtet worden waren auch die Brückentorvorstadt (zwischen Weißer Elster und Hofer Straße, 90 Prozent), die Südvorstadt (65), die Neundorfer- und die Straßberger Vorstadt (50), die Hofer Vorstadt (Meßbacher und Weischlitzer Straße, 50) sowie das Stadtzentrum und Haselbrunn (je 40). Tausende Menschen verließen die Stadt, der ersten amtlichen Nachkriegszählung zufolge hatte Plauen im August 1945 noch 80827 Einwohner (1944 : 115040). Noch nie in seiner Geschichte war Plauen von einer solchen Katastrophe heimgesucht worden. Das kommu- nale Tiefbauamt bilanzierte fünf Jahre nach Kriegsende, dass in Plauen etwa zwei Millionen Kubikmeter Trümmer Andreas Krone und Schutt beräumt wurden – 1,8 Millionen Kubikmeter als unmittelbare Folgen der Bombardierung und weitere 200000 nach Sprengungen und dem Abriss einsturz- gefährdeter Gebäude. Bloß : Wie veranschaulicht man einen Trümmerhaufen von zwei Millionen Kubikmetern? Würde man diese Menge auf dem etwa 80 mal 50 Meter großen Plauener Altmarkt aufschichten, er- gäbe dies einen Quader von 500 Metern Höhe. Wer schon einmal unter dem Berliner Fernsehturm gestan- den und nach oben geschaut hat, kann sich eine Vor- stellung von knapp 370 Metern Höhe machen. Da müsste noch das Leipziger Völkerschlachtdenkmal (91 Meter) oben drauf – und es würden immer noch 40 Meter (in etwa der Plauener Bärensteinturm) fehlen. Heute, fast acht Jahrzehnte später, erscheint es einem nahezu unvorstellbar, wie die Menschen es schaffen konnten, ihre Stadt von einer solch unglaub- lichen Last zu befreien. Noch dazu unter den damali- gen Lebensbedingungen. Einer 1995 vom Leipziger Leibniz-Institut für Landeskunde veröffentlichten Stu- die über Kriegszerstörungen in Deutschland zufolge kamen in Plauen auf jeden Einwohner 15 bis 20 Kubik- meter Trümmermenge. Damit rangierte die Vogtland- stadt unter allen deutschen Großstädten (Stand 1939) auf einem Platz im oberen Mittelfeld. Die Aufräumar- beiten dauerten Jahre – und die Bevölkerung einer so stark zerbombten Stadt wie Plauen musste dabei Überdurchschnittliches leisten, was auch folgender Zahlenvergleich verdeutlicht : Deutschland Plauen in Prozent Trümmermengen (geschätzt) 400 Mio. m 3 2 Mio. m 3 0,5000 bei Einwohnern (Volkszählung vom 29. Oktober 1946) 65 137274 84778 0,0013 Trümmermengen im Verhältnis zur Einwohnerzahl US-amerikanische Besatzung Am 16. April 1945 besetzten zwei Bataillone des 347. In- fanterieregiments der US-Armee Plauen. Bereits tags darauf ernannte der erste US-Stadtkommandant, Major Arthur B. Ebbers, den 68-jährigen Juristen Dr. Max Schlotte wieder zum Oberbürgermeister. Schlotte ge- hörte in der Weimarer Republik der nationalliberalen Deutschen Volkspartei an, er war seit 1923 Bürgermeis- ter und ab 1932 Oberbürgermeister von Plauen gewe- sen, ehe ihn die Nationalsozialisten 1933 aus dem Amt gejagt hatten. Auch der frühere Dezernent des Wohl- fahrtsamts, der Sozialdemokrat Ernst Diez, kehrte im Mai 1945 auf seinen Posten zurück. Ansonsten nahmen die bisherigen leitenden kommunalen Beamten, sofern sie sich noch in Plauen aufhielten, ihre Dienstgeschäfte zunächst weiterhin wahr. Bei der Polizei wurden die auffälligsten Hitler-­ Anhänger aussortiert, alle anderen Beamten verblieben, ↥ Untere Bahnhofstraße zwischen Rädelstraße und Konsument- Warenhaus, 1974 Walter-Ballhause-Archiv, Walter Ballhause 16. April 1945

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